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In vier Stunden leerten wir zwölf Fässer Bier

Der Erfurter Campusclub Unikum hatte eine Geschichte weit bis in die DDR

Nachts wird es still an der Uni. Eventuell sind noch vereinzelte Studis im Hörsaal 7, aber mit wenigen Ausnahmen hoppeln, nach den Vorlesungen, höchstens ein paar Hasen durch das Licht der Laternen. Selbst beim jährlichen Campus Fest ist um 22 Uhr Schluss, die Musik verstummt, das Bier versiegt, die Menschen gehen. Im Wintersemester ist es noch schlimmer, denn wo soll denn an der Uni gefeiert werden, wenn es draußen bitterkalt ist? Doch das war nicht immer so. Bis 2012 hatte der Campus noch seinen eigenen Club, das Unikum hinter der Mensa. Fast die ganze Woche gab es dort Programm. Es wurde aufgelegt, live Konzerte und Bandcontests, sowie Kino, Kleinkunst oder Lesungen. Die Geschichte des Clubs reicht bis in die DDR zurück, als die Uni noch eine Pädagogische Hochschule war. Schon da wurde er von Studis organisiert. Die Clubräume waren zu der Zeit aber noch nicht hinter der Mensa, sondern im Obergeschoss des Verwaltungsgebäudes, sozusagen über Hörsaal 7 und SuL.

Ab den 1950er Jahren entstanden an den Hochschulen der DDR sogenannte Studentenclubs. Sie organisierten kulturelles Angebot, wie Kinos, Kneipen oder Kabarett. Von Studis für Studis. Ein solcher entstand 1967 am damaligen Pädagogischen Institut in Erfurt. Wie die anderen Studentenclubs der DDR war er der FDJ zugeordnet. „Das war aus Sicht der DDR-Regierung sicherlich eine Möglichkeit, die kreativen und potenziell kritisch Aufmüpfigen an einem Ort zu versammeln“, meint Uwe Köppe. Er studierte in den 80ern Mathe und Physik an der Pädagogischen Hochschule und war sein ganzes Studium über im Club tätig. Zur Wende war Uwe Köppe dann sogar Clubleiter.

Partys mitten auf dem Campus

Sechs Jahre nachdem der Club gegründet worden war, wurde das Pädagogische Institut vom Bildungsministerium der DDR zur Pädagogischen Hochschule erhoben. Bis zu 2500 Leute studierten dort. Besonders war der grüne Campus mit seinen kurzen Wegen. Im Zentrum befand sich das heutige Verwaltungsgebäude, in den 70ern noch mit der Mensa, einer Studi-Kneipe, der Klause und darüber im ersten Stock: der Club. Der hieß damals aber noch nicht Unikum. Wenn man das Gebäude durch den Mitteleingang betrat, wo es heute zu Studium und Lehre geht, und die Treppe hinauf ging, waren rechts und links zwei große Säle mit Bühnen. Die ganzen Büroräume von heute gab es damals noch nicht. Die Säle boten genügend Platz für bis zu 1000 Gäste und waren tagsüber durch die Fenster hell erleuchtet. „Die Lautstärke hat nachts niemanden gestört. Da lebten ja nur Studierende und die waren größtenteils im Club, oder feierten selbst in den Wohnheimen eine Flurparty. Interesse an Schlaf hatte kaum wer“, erinnert sich Uwe Köppe. Aber nicht alle wurde reingelassen. Wer auf die Partys des Clubs wollte, brauchte einen Studi-Ausweis. Für die richtig großen Konzerte mit DDR-Größen, wie Karat, Lift oder Stern Combo Meißen, bekam der Club den Audimax.

Von Studis für Studis, alles war selbstorganisiert

Zur Zeit der DDR beteiligten sich rund 80 Studis im FDJ Studentenclub. Jedes Wintersemester bewarben sich die Studis in der Aufnahmerunde. Manche wurden zwar auch im laufenden Jahr Mitglied, aber das waren Ausnahmen. Im Club teilten sich die Studierenden in verschiedene AGs auf, um die Veranstaltungen zu organisieren. AG Disco, AG Ausstellung, AG Werbung und viele mehr. Gemeinsam stellten sie den Club-Rat, der darüber entschied, was veranstaltet werden sollte. Zusätzlich zu diesem demokratischen Gremium gab es noch eine Person, die bei der Pädagogischen Hochschule fest angestellt war und die gesamte Organisation leiten sollte.

Die Mehrheit Studis engagierten sich aus Spaß an der Freude, oder vielleicht auch, weil sie dann kostenlos auf die Partys kamen. Für die Pädagog*innen in Ausbildung gab es zudem noch einen weiteren Ansporn. Im Fach Kulturästhetische Bildung und Erziehung (Käbe) konnten sie ihre Aufgaben im Club als Studiums Leistungen anerkennen lassen.

Unabhängig davon, weshalb sie sich engagierten, die Studis führten den alten Club im Verwaltungsgebäude als ein eingespieltes Team. „In vier Stunden schenkten wir teilweise zwölf Fässer Bier aus – also 600 Liter. Wir haben den Hahn aufgedreht, einer hat ein Glas nach dem anderen gefüllt und die anderen haben sie verteilt und kassiert,“ erzählt der frühere Clubchef Köppe vom Geschehen hinter der Bar. Alles geschah in Eigenregie. „Wenn man mit dem Studium durch war, hatte man alle Handwerke mal ausprobiert. Gemalert, gebaut oder gemauert, neben der Kultur haben wir auch das alles gemacht.“ Natürlich gehörte aufräumen und putzen zu den Aufgaben der Clubmitglieder. Nach einer Party mit 1000 Leuten und jeder Menge Bier sicherlich kein beneidenswerter Job.

Wie Mensa Jürgen zum DJ wurde

Obwohl kein Studi, war Mensa Jürgen selbstverständlich beim Club Team mit dabei. Er arbeitete ab 1976 überall mit: half an der Garderobe, sammelte die leeren Gläser ein und legte natürlich auf. Im Studentenclub debütierte er als DJ. Die damalige Clubleiterin, genannt Ele, wusste von Mensa Jürgens großer Plattensammlung (in der DDR nicht selbstverständlich) und kam auf die Idee, er solle doch mal auflegen. Die Clubs waren damals der eine Ort für moderne Musik, die DJs Trendsetter. „Jürgen hatte einen superguten Musikgeschmack und konnte sich für fast schon hunderte Schallplatten merken, wo welcher Titel ist“, erinnert sich Uwe Köppe. Wenn Mensa Jürgen selbst vom alten Club im Verwaltungsgebäude spricht, schwingt eine gewisse Nostalgie in seiner Stimme mit „Es war immer viel los. Und es gab Faschingspartys, die gingen drei Tage lang.“ Eines der größten Ereignisse des Jahres, mit ca. vier Wochen Vorbereitung und einer Lastwagenladung Krepppapier, um die Saalwände zu dekorieren. Die Studis haben für die Faschingsfeiern ihre eigenen Lieder gedichtet und gesungen, auch ein vierzeiliges für Mensa Jürgen.

Um 15 Uhr gingen die Studis erstmal in die Kneipe am Campus

Das Leben auf dem Campus war zu der Zeit noch ein wenig anders als heute. Mensa Jürgen berichtet grinsend: „Um 15 Uhr machte die Klause auf und dann sind die Studenten in die Gaststätte gestürmt und haben erstmal einen gebechert und Lieder gesungen“. An der Pädagogischen Hochschule sei deutlich mehr Alkohol getrunken worden als heute an der Universität. Das bestätigte auch Uwe Köppe. Das Studium an sich wäre viel entspannter gewesen, die Leistungsansprüche waren geringer und es wäre leichter gewesen, sich nebenher zu engagieren. Köppe steht heute noch im ständigen Kontakt mit den Studierenden, denn er ist im Bereich Psychosoziale Beratung in Erfurt, Nordhausen, Eisenach beim Studierendenwerk angestellt.

Tagsüber gab es im Club bis zuletzt ein ruhiges Café, vergleichbar mit dem, was Hörsaal 7 oder das Hilgenfeld an der Bibliothek heute sind. Die Wohnheime waren hingegen nicht so gemütlich. Deswegen sei man schon Sonntag, nach der Anreise, direkt in den Club zum Spieleabend gelaufen. Mittwochs wurden Kinofilme gezeigt, von anspruchsvoll bis unterhaltsam, damals noch mit den großen Rollen. Zum 6. Dezember lief regelmäßig die Feuerzangenbowle. Auch eine Kabarett- und Theatergruppe trat regelmäßig auf und alle zwei Wochen gab es Lesungen.

Mit dem Mauerfall veränderte sich auch das Clubgeschäft

Schon vor der Wende wurde der Club jedoch kleiner. Ein bis heute bekanntes Problem am Campus, der Platzmangel, führte dazu, dass der Teil über dem heutigen Hörsaal 7 an die neuen Musikpädagog*innen abgetreten wurde. Nach der Wende wurde umstrukturiert, der FDJ Studentenclub wurde zunächst zum S.C. PHauker, angelehnt an die Pädagogische Hochschule, aber es wurden weniger Leute, die mitorganisierten. „Feiern gingen sie alle gerne, aber Veranstaltungen organisieren bis hin danach putzen, da hatte dann niemand mehr Lust drauf,“ berichtet Uwe Köppe traurig. Er selbst wurde mit der Wende vom Leiter des Clubs zum Mitarbeiter im Studierendenwerk, zuständig für Kultur.

Mit dem Ende der DDR öffnete sich der Musikmarkt und in der Woche kamen 10 bis 20 Demobänder im PHauker an. Die guten Clubbands davon wurden angerufen und dann, je nach Gagenvorstellungen, engagiert. Für einen normalen Abend mit über hundert Gästen sollten die Eintrittspreise erschwinglich bleiben. Außerdem lockerte sich die Regel, dass nur Studis in den Club durften immer weiter. 1994 entstand die Universität Erfurt und ihre erste Leitung stellte sich das kulturelle Leben im Studium anders vor, als es der PHauker organisierte. Diskutiert wurde auch über Schäden, die im Rahmen der Partys entstanden. So wurde zum Beispiel mal die Parkplatzschranke verbogen. Bis 1999 blieb der Club noch in den Räumen im ersten Stock des Verwaltungsgebäudes. Dann übernahm die Universität die Räume und der S.C. PHauker musste ausziehen. Übergangsweise zog der Club für ein Jahr in eine Baracke hinter der Sporthalle ein, die es heute nicht mehr gibt. In der Zeit richtete die Universität einen Raum hinter der Mensa ein, der vorher für die Technik vorgesehen war, mit Dampfdruckkessel und anderem. Das wurde komplett umgebaut. Uwe Köppe schaut darauf etwas resigniert zurück: „Dabei orientierten sie sich zwar nach unseren Vorstellungen, aber es war sehr viel kleiner und dunkler. Zumindest haben sie den Club nicht ganz rausgeschmissen.“

Das Unikum am Erfurter Campus

Erst die Räumlichkeiten hinter der Mensa bekamen den Namen Unikum. Die Veranstaltungen wurden weiterhin vom S.C. PHauker organisiert. Der Studi Club war zu der Zeit schon ein eingetragener Verein. Obwohl sich der Raum sehr verkleinert hatte, die Atmosphäre anders war, wurde das Unikum von den Studierenden am Campus gut angenommen. Es gab weiterhin Lesungen, Kino und Konzerte. „Die Erstsemesterpartys waren immer voll,“ bestätigt Mensa Jürgen. Er beschränkte sich im neuen Club allerdings nur noch aufs Auflegen und zog sich aus den anderen Aufgabenbereichen völlig zurück. Allerdings war er damit nicht der einzige und das war das eigentliche Problem. In der DDR waren noch 80 Leute mit der Organisation von Veranstaltungen betraut, seitdem wurden es systematisch weniger.

Egal was der Club veranstaltete, die Preise waren nie besonders hoch. In der DDR war es sowieso geregelt. Zu den teureren Veranstaltungen gehörte dann die erste Rock Kirmes Mitte der neunziger Jahre, aus der später das Campusfest hervorgegangen ist. Als es noch maßgeblich vom Unikum organisiert wurde, beliefen sich die Veranstaltungskosten auf bis zu 100.000 Mark. Das Gelände durfte damals noch abgesperrt werden und auf fünf Bühnen spielte Livemusik. Allein die Gagen einzelner bekannter Bands waren laut Uwe Köppe schon fünfstellig. Die Prinzen, Fiddler‘s Green oder Keimzeit. Trotzdem lagen die Ticketpreise nur bei 15 bis 20 Mark, ungefähr 6000 wurden davon verkauft.

Julius Dürrfeld studierte ab 2011 an der Uni Kommunikationswissenschaften und lernte hin und wieder mittags im Unikum. „Da war eine gemütliche Stimmung, man hat sich einen Kaffee geholt und kleine Snacks gab es auch“. Er selbst war hauptsächlich Besucher, ging abends gerne zu den Veranstaltungen, trat aber auch mal mit seiner eigenen Band Astronauts auf. „Ich mag eher eine kleine Location und das Unikum war ja auch kleiner als die Engelsburg.“ Besonders für die Studis, die am Campus gewohnt haben, sei der Club attraktiv gewesen, ganz simpel, weil er vor der Haustür lag.

Nach 45 Jahren verschwand der Campusclub endgültig

Anfang April 2012 gab das Unikum dann schließlich bekannt, dass es schließen wird. Es fehlte schlicht an Leuten, die sich dafür engagieren wollten. Zur letzten Bad Taste Party im Mai lud der PHauker auch seine früheren Mitglieder ein und der Laden war nochmal richtig voll. Mensa Jürgen blieb als Gast bis zum Schluss „Ich bin erst raus, da wars schon hell. Ich dachte mir, der letzte Abend, da geh ich erst raus, wenn die Tür schließt. Gibt ja dann keinen Club mehr.“

Die meisten Studierenden der Uni Erfurt kennen heute höchstens noch Gerüchte vom Unikum. Seit seinem Ende sind die Räumlichkeiten zu einem Lagerraum umgebaut worden und Veranstaltungen, wie das Campus Fest, organisiert jetzt der Stura. Die Facebookseite ist geleert und unter der Internetadresse www.uni-kum.de findet sich heute eine Seite, die über krumme Penisse informiert. Mit einem Blick auf den Campus, die Fachschaftsräte oder den Stura lässt sich sagen, dass es immer noch schwer ist, Studis zu finden, die sich engagieren wollen oder zeitlich können. Aber die ehemaligen Mitglieder des Magazins treffen sich immer noch gelegentlich und Mensa Jürgen wird im Oktober 2019 sein 50. Jahr am Erfurter Campus feiern.

Die originalen Bilder der Zeit können wir aus urheberrechtlichen leider nicht zeigen, sie können aber hier eingesehen werden.

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