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Der Schmelztiegel in der Johannesvorstadt – Ein Erlebnisbericht über das Zockerstübchen

An der Ecke Friedrich-Engels-Straße, Fritz-Büchner-Straße steht ein – nicht mehr oder weniger im Saum der Altbauten untergehendes – Haus, das durch grauen Putz getarnt beinahe untergeht. Dank entsprechend großen Reklametafeln an der Fassade wird das umherschweifende Auge mit harten Fakten konfrontiert: „Zockerstübchen die Erlebniskneipe“. Soso, dachten meine aus Dresden angereisten Freunde und ich im Einklang. Dann wollen wir mal! Und so schritten wir durch die Eingangstür und landeten nur durch Zufall im Zockerstübchen. Man möchte dem hohen Besuch ja etwas bieten und „etwas“ ist in dem Falle etwas Neues gewesen. Dass wir ins Zockerstübchen gingen, lag vornehmlich daran, dass wir im Gespräch mit zwei Fremden auf der Straße darauf kamen, wo man denn noch hingehen könnte, wenn man mal etwas Neues probieren möchte. So empfahl man uns das Etablissement und so empfahlen wir uns.

Der lange dunkle Holztresen verläuft fast durch den gesamten Raum, macht eine kleine Biegung, die Wand nachahmend. Selbigen hatten zu dem Zeitpunkt ein paar Gäste in Anspruch genommen, meist männlich, dreißig aufwärts, Arbeiter, Familienväter (vermeintlich), Rentner (vermeintlich, trennscharf ließ sich das ohne Weiteres nicht bestimmen). Die wenigen Frauen im Lokal waren Äquivalente, nur eben weiblich, bis auf eine. Vom Alter her ließ sie sich nicht einordnen, vom Pegel und der Uhrzeit her schon, es war gegen zehn Uhr und ich diagnostizierte starken Alkoholismus. Immerhin ein seltener Anblick, studentische Ausgehmöglichkeiten bieten diesen Blick nicht, sie sperren ihn aus. Nicht so im Zockerstübchen. Hinter dem langen Tresen stand Holger. Groß, umfänglich, schnauzbärtig, verständig. Wir setzten uns an einen der wenigen aber freien Tische. Sie stehen ein wenig erhöht, durch ein Geländer vom Schankraum unmerklich separiert. So setzten wir uns, machten Holger durch Zuruf und Handzeichen verständlich, dass wir gern vier Bier hätten und packen die Zigaretten und das Skatblatt auf den Tisch. Wir gaben uns als Studenten klar zu erkennen, durch Kleidung und Alter, aber es störte niemanden. Beim Hineingehen haben wir alle auf den Tresen geklopft und den Anwesenden wissend zugenickt, eine Handlung, die wie automatisch war.

Wir verköstigten unser Bier, das weder besonders lecker noch nennenswert teuer aus dem Zapfhahn rann, doch es kam dank Holger pünktlich, wenn das alte nicht mehr ist. In den Phasen des Biertrinkens spielten wir natürlich auch Skat. Dem Kneipennamen musste man ja schließlich gerecht werden. So spielten wir Spiel um Spiel, Runde um Runde. Und ohne es bemerkt zu haben, war die Stimmung im Zockerstübchen ausgelassen geworden, heiter, froh. Neuankömmlinge und uns Verlassende klopften pflichtschuldig auf unseren Tisch, an der Dartscheibe versuchten einige ihr Können unter Beweis zu stellen und am Tresen stand die Mischung aus Menschen, die man selten einfach mal so sieht. Anwohner, Leute von der Spätschicht, Alkoholiker. Und alle sangen gemeinsam Lieder aus der deutsch-roten Vergangenheit. Die wir, als Nachwendegeneration, natürlich nicht kannten. Aber Holger drehte seine scheppernde Musikanlage noch ein bisschen mehr auf und alle waren froh. Die einen, weil sie noch einmal im Alten stöbern konnten, andere, weil sie jemanden zum Anlehnen gefunden hatten. Der Nächste, weil er endlich Feierabend hatte, einfach froh, weil es Bier gab oder weil sie alles auf einmal hatten.

Wir jedenfalls sind dann irgendwann gegangen. Nach diversen Getränken und Spielen, aber ohne uns am Dart versucht oder Geld im Spielautomaten versenkt zu haben. Von Holgers Musikanlage klingelten uns beim Verlassen noch ein wenig die Ohren, wir hatten die DDR-Hymne und die der Sowjetunion auf Maximallautstärke miterlebt, inklusive des Chors der Tresenbesetzer. Und so hatten wir den Freitag zum Samstag gemacht, nicht viel Geld für unsere Getränke gelassen, gut Skat gekloppt und Einiges erlebt. Auch der Dresdner Besuch war hellauf begeistert.

Zu erreichen ist die Kneipe eures Vertrauens wie folgt: Zu Fuß zur Friedrich-Engels-Straße 64 in 99086 Erfurt. Was bedeutet, man ist in 10 Minuten vom Leipziger Platz dahingelaufen. Den erreicht man mit den Straßenbahnlinien 9 und 2.

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