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Sonntag ist Zootag

Stellt euch einen Zoo vor.

Einen Zoo vor vielen Jahren. Einen Schwarzweißfotozoo.

Keinen sehr großen Schwarzweißfotozoo, eher einen ziemlich mickrigen Schwarzweißfotozoo.

Einen wär-da-kein-Zaun-drum-wär‘s-ein-Wald-und-gar-kein-Zoo-Schwarzweißfotozoo.

Über die Geschichte eben jenen Zoos ist heute nicht viel bekannt. Vereinzelte, immer weniger werdende Augenzeugen und archivierte Fotografien berichten von Rehen, einem Hirsch, Wildschweinen, Enten, australischen Trauerschwänen, einer Pavianfamilie und von bis zu vier Bären. In der Anfangszeit des Zoos, habe es sogar ein Nashorn gegeben.
Exotische Tiere trafen auf Einheimische und versammelten sich sonntags zum in Reihe stehen, Männchen machen und posierten für die BesucherInnen. Jung und Alt erfreuten sich an ihnen

Der Zoo steht auf einem Berg. Bombastischer Ausblick – selbst in schwarz-weiß.

Auf diesem Berg trennte ein Zaun den Zoo von einer Stadt. Umringt von schönen und hässlichen Häusern, wie in jeder Stadt, stand er da, der Zoo und Drumherum viele verschiedene BewohnerInnen. Die eher wenigen Menschen in den schönen Häusern trugen Stiefel und Uniformen, der Großteil der Menschen aber lebte in den hässlichen Häusern und sie alle waren gekleidet wie Zebras.

Ein summender, brummender Zaun. Der Zaun steht da, weil die Menschen in den schönen Häusern auf gar keinen Fall möchten, dass die Menschen in den hässlichen Häusern zu ihnen herüber kommen.

Die Existenz dieses etwas absonderlich anmutenden Zoos ist trotz seiner Unbekanntheit unumstritten und durch seine Freilegung im Jahre 1994, ist er heute wieder begehbar. BewohnerInnen, ob Mensch oder Tier gibt es heute zum Glück nicht mehr und auch die BesucherInnen, die vor vielen Jahren sonntags in den Zoo kamen, haben sich etwas verändert.
Im Frühjahr 1938 wurde der „Zoologische Garten Buchenwald“ errichtet, mit dem Ziel den Familien der SS-Angehörigen „in ihrer Freizeit Zerstreuung und Unterhaltung zu bieten und einige Tiere in ihrer Schönheit und Eigenart vorzuführen, die sie sonst in freier Wildbahn zu beobachten und kennen zu lernen kaum Gelegenheit“ gehabt hätten.
Betritt man heute die Gedenkstätte Buchenwald kann man sich diese perfide Situation sehr genau vor Augen führen. Man steht neben der Bärenburg, der damaligen Attraktion des Zoos, von dort sind es vielleicht 5 Schritte hin zum „summenden, brummenden“ mit 380 Volt geladenen elektrischen Zaun. Das Krematorium mit seinem Schornstein ist ein Steinwurf weit entfernt.

Der Autor Jens Raschke beschreibt in seinem oben zitierten Theaterstück WAS DAS NAHSHORN SAH ALS ES AUF DIE ANDERE SEITE DES ZAUNS SCHAUTE den Alltag im Konzentrationslager Buchenwald aus der Perspektive von fiktiven Tieren in jenem nicht-fiktiven zoologischen Garten. Wortführer unter den Tieren ist Papa Pavian. Er sorgt dafür, dass sich alle an die Regeln halten, an Sonntagen dem Publikum eine gute Show bereiten und den Gestiefelten gehorchen. Das was da drüben passiert, könne ihm und den anderen Tieren ja egal sein, solange es ihnen auf der anderen Seite des Zauns gut geht. Die Nichtexistenz von Vögeln, der leicht süßlich-bittere Geruch in der Luft und der rauchende Schornstein stören ihn nicht mehr. Da gewöhne man sich schon dran, ist sein Tipp an den neuen Bären, der das alles etwas anders sieht. Der Bär jongliert nicht für die BesucherInnen, er jagt den Häftlingen, die ihm sein Essen bringen müssen keine Angst ein. Der Bär will wissen, was in diesem Schornstein vor sich geht. Aber vor allem sieht er immer diese Menschen da drüben, Kinder, Frauen und Männer.

Sie sind dürr wie Winterzweige. Gestreift wie Zebras. Aber sie gehen auf zwei Beinen.

Der Zoologische Garten Buchenwald war nur ein Teil dieses riesigen Lagers und es ist verständlich, dass so etwas zwischen all den schrecklichen Verbrechen vor Ort in Vergessenheit oder zumindest Unbekanntheit gerät. Das Leben der Tiere im Zoo gegenüber der Gefangenschaft der Menschen im Lager ist keines Vergleiches wert. Dennoch sieht man, dass sich hier die „heile Welt“ Propaganda und Verbrechen so nah gekommen sind, wie an wenigen anderen Orten. 

Raschkes Stück ist keine alberne Tiererzählung, keine KZ-Horrorgeschichte, keine Polemik.

Es ist ein poetisches Plädoyer für mehr Zivilcourage. Sowohl dieser Text als auch ein Besuch in Buchenwald, stellt einen selbst an jenen Punkt, wo man sich entscheiden muss, ob man hin oder weg schaut. Stellt man unangenehme Fragen oder lässt man es sein. Hat man den Mut sich gegen andere zu widersetzen oder hat man ihn nicht. Ist man bereit, Dingen auf den Zahn zu fühlen, zu hinterfragen und wenn nötig, zu verhindern. Dafür zu kämpfen.

Letzten Endes geht es um die Frage: Bär oder Pavian?

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