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Auf eine Spezi mit Hassan Narci

Inspiriert von der Zeit Serie „Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt“ wird es eine Reihe an Interviews mit verschiedenen Personen aus und in Erfurt geben. Den unterschiedlichsten Menschen soll eine Stimme gegeben werden, um ihren Blickwinkel auf Erfurt einen Raum zu geben, keine allgemeinen Fakten, möglichst viel persönliche Geschichten, die ungleich allen anderen sind. Allerdings nicht bei einer Zigarette, sondern bei einer Spezi, denn wir wollen doch alle eigentlich schon längst mit dem Rauchen aufgehört haben.

Auf eine Spezi mit Hassan Narci

Hassan Narci, Chef des Pizza Kebab Haus am Boyneburgufer, ist der erste aus der Reihe „Auf eine Spezi mit…“. Schon seit 1995 arbeitet er in dem Laden am Ende der Johannesstraße, also schon seit 24 Jahren – eine lange Zeit mit reichlich Wandel, auch bedeutender Wandel für Hassan und sein Geschäft.

Geh ich bisschen in den Osten. Zwei, drei Monate, bisschen umschauen, bisschen gucken.

Ein Bekannter suchte einen Mitarbeiter, und so kam er an das Boyneburgufer. Damals hatten sie eine nette Chefin, schöne hübsche Blondine, viel gefeiert, hat gepasst. Aus Neugierde am Osten Deutschlands nahm er das Angebot an und zog von Hessen nach Thüringen, „geh ich bisschen in den Osten. Zwei, drei Monate, bisschen umschauen, bisschen gucken.“. Der soziale Kontakt war ihm am Ende wichtiger, als groß Geschäft zu machen. Der Zufall hatte ihn wohl hergebracht, fast zweieinhalb Jahrzehnte später ist er immer noch dort in diesem Laden, von welchem er wohl nie erwartet hatte so lange umgeben zu sein und irgendwann einmal der Chef zu werden.

Foto: Hannah B.

Als ich den Laden betrete, fallen mir sofort die neuen Lampenschirme an der Decke auf. ‚Sieht gut aus‘ denke ich mir und werde von dem typischen Hassan ‚Hallohoo‘ begrüßt. Vorne am Tresen warten noch zwei, drei Kunden auf ihr Essen. Ich setze mich an den vordersten Tisch, neben der Tür, die offen steht und etwas Wind und Sonne hineinlässt. Die zwei Spezis stelle ich auf den Tisch, gerade noch vom Späti an der Ecke aus dem Kühlschrank geholt. Normalerweise gibt es keine Spezi in Hassans Laden, doch heute macht er eine Ausnahme.

„Na, wie geht’s, bist du bereit?“ frage ich. Er lächelt. Die kleinen Fältchen um seine Augen zeigen, dass er das wohl sehr oft tut. Nachdem er die letzte Kundin bedient hat, setzt er sich zu mir an den Tisch, nimmt die offene Spezi, probiert und fragt nochmal nach, was genau da eigentlich drin sei. Schmecken tue sie ihm aber.

Viele kennen diese kleinen sozialen Beziehungen, die man im Alltag sammelt und die diesen immer wieder bereichern:  Irgendwann ist man mit den Menschen in seiner nahen privaten geschäftlichen Umgebung per Du und fängt an sie zu grüßen, auch auf der Straße wieder zu erkennen. Es handelt sich hauptsächlich um kleine wiederkehrende Tätigkeiten wie Bier vom Späti kaufen, ohne es erstmal bezahlen zu müssen, oder dass die Mädels hinter der Bar einem nett zu lächeln und sich mindestens genauso zu freuen scheinen wie man selbst, dass man wieder zum Feiern vorbeigekommen ist. Man kennt sich, man schätzt sich, man hat sich irgendwie gern. Und so geht es mir mit Hassan. Ich gehe gerne dort hin, denn bei ihm bekommt man nicht nur etwas zu essen, sondern ab und zu auch einen schwarzen Tee mit einem guten Gespräch.

Mich interessiert nicht wer was macht, ich muss gucken was ich mache.

„Gehst du manchmal zu anderen Dönerläden?“ frage ich, „Nein geh ich nicht, ich schau mir keine anderen an.“, sagt er und fährt fort: „mich interessiert nicht wer was macht, ich muss gucken was ich mache.“ – „Und wenn man dich zwingen würde?“, hake ich nach. „Habe kein Favorit nein, nicht weil das Essen nicht stimmt, aber die Atmosphäre stimmt nicht, ich muss mich in einem Ort wohl und warm fühlen, wenn ich das Gefühl nicht habe, dann geh ich nicht rein.“ – Recht hat er, denke ich mir, in seinem Laden fühle ich mich auf jeden Fall immer wohl und warm.

Wir stoßen an, ich erkläre ihm, dass ich heute mit ihm dieses Gespräch führe, da ich glaube, dass er eine Person ist, die einen ganz bestimmten Blickwinkel auf die Stadt und vor allem auf das Boyneburgufer hat. „Meinst du?“ fragt er erst, fängt dann aber doch an zuzugeben, dass er diesen kleinen Kosmos der Stadt Erfurt recht gut kennt.

„Was waren deine Beweggründe nach Erfurt zu gehen?“ frage ich ihn noch einmal, und er erklärt mir, dass die Ostblockländer immer etwas Entdeckenswertes für ihn waren. Er wollte eine Gesellschaft sehen, die eigentlich nicht kapitalistisch denkt, sondern ein anderes Wertesystem in sich trägt. Ob er denn wirklich einen Unterschied festgestellt hat, bestätigt er mir indem er seine Erinnerung an die Menschen in Hessen beschreibt, wie diese recht distanziert waren und ihm im Umgang etwas gefehlt hat, was er nun nicht mehr so beschreiben kann. Er hatte sich immer wohl gefühlt, dort gelebt und gearbeitet, aber hatte das Gefühl, keinen Anschluss zu finden. „Und ich möchte nicht nur in meinem Herkunftsland den Anschluss haben, dafür bin ich nicht hierhergekommen.“, fügt er hinzu. Diesen fand er dann aber in Erfurt: „Da hast du den Anschluss gefunden zu den Menschen, einfach zum Feiern, zum Einladen, zum Garten, zum Bratwurst, war gut, zum Bier trinken, zum Geburtstag feiern, das war schon bisschen schön.“ Die Menschen kamen ihm einfacher und offener vor, irgendwie direkter. Diese Offenheit hat sich nun aber wohl gewandelt, „jetzt ist vieles weg, jetzt sind die Menschen genau wie im Westen geworden.“.

Mittlerweile ist es einfacher geworden.

Wir reden etwas weiter über seine Anfangszeit in Erfurt, genau in diesem Laden, im dem er immer noch steht. Damals waren Dönerläden noch etwas Rares, es gab nur drei, vier, die Menschen haben viel geguckt, waren neugierig, sind erstmals aber noch nicht hineingekommen. Die anfängliche Kundschaft bestand größtenteils aus Westdeutschen.

Mittlerweile denkt er, dass es einfacher geworden ist. Er sieht wie in der Stadt neue Läden eröffnen, auch wenn einige davon bald darauf wieder schließen, die Menschen gehen hinein und probieren sie aus. Früher hat es da noch eine größere Distanz gegeben, meint er, doch er habe den Eindruck, dass sich die Deutschen schnell anpassen. „Warum?“ frage ich, und er fängt an mir einen kleinen Geschichtsunterricht zu geben: „Dieses Land hat in den letzten 100 Jahren ziemlich viel mitgemacht, erstmal Faschismus, dann ist weg, neues System, musst du alles anpassen, ein Mensch, neu anzupassen, das ist wahnsinnig, das ist nicht einfach. Verstehst du, das braucht Selbstüberwindung. Morgen musst du nicht mehr glauben, was du davor geglaubt hast. Das ist schwierig.“  Er versucht mir seinen Punkt mit einer Metapher besser zu erklären: „Du verliebst dich immer wieder und wieder, und du hast eine Liebe, die du abgöttisch liebst. Und morgen ist er nicht mehr deine Liebe. Was machst du dann? Kriegst du erstmal Krise. Bis du neue Liebe findest. Und das geht schnell. Gesellschaftsmäßig gesehen, nicht persönlich, verstehst?“ er trinkt einen Schluck aus der Flasche, steht auf, geht hinter die Theke und bedient die ältere Dame, die drei Döner bestellt. Während er den Teig für das Brot formt, ihn in den Ofen legt und beginnt, das Fleisch vom Spieß zu schneiden, fährt er mit seinen Erzählungen und Beobachtungen des Wandels in Erfurt fort. Im Stadtzentrum, am Anger, sei nicht viel gewesen. Bloß ein Herti und ein kleines Café, und dort wo jetzt der Italiener drin ist, war eigentlich eine Schule. „Die die einen festen Job hatten, hatten einen Job, aber der Rest: die Leute mussten erst mal das Gefühl haben ‚ich bin sicher‘, dann fängst du an das Leben zu genießen, weg zu gehen. Damals hatte ich nicht so das Gefühl, alles war etwas unsicher in der Gesellschaft.“

Foto: Hannah B.

Am Boyneburgufer sah es 1995 im Vergleich zu heute noch ganz anders aus. Damals wurde aufgrund der angesiedelten Behörden (Justizgebäude, Amtsgericht, Sozialministerium) die Lage am Ende der Johannesstraße für Geschäftseröffnungen empfohlen. Geschäftsleute siedelten sich an, in der Hoffnung auf eine wirtschaftliche Zukunft. Als die Stadt allerdings um ’98 beschloss, die Behörden umzustrukturieren und auf verschiedene Gebäude innerhalb der Stadt aufzuteilen, hatte dies einige negative Konsequenzen für die Ladenbesitzer: „Und dementsprechend war ja hier vorher eine Boutique, „Chantal“, hat zu gemacht, daneben war ein Zigarrenverkäufer, richtig teure Sachen, zugemacht, gegenüber Reisebüro, zugemacht, Stück weiter, war ja auch so ein Klamotten Laden, zugemacht, zwei drei Bäckereien, zugemacht. Das heißt, seitdem diese ganzen Arbeitskräfte weg waren, ist die Straße auf einmal eine Geisterstraße geworden. Das war der Tiefpunkt, das ging bis 2000/2001, und dann haben sie versucht im Gebäude vorne wieder Firmen reinzubringen. Dann ging es wieder bisschen vorwärts. Die Entwicklung hier war sehr mit den vorhandenen Arbeitsplätzen verbunden.“ Oft sagt er mir, „du musst das doch wissen, du musst doch so viel für die Uni lesen“, aber meist hat er viel mehr zu erzählen als ich.

Ein recht dicklicher Kunde kommt herein und grüßt Hassan, der grüßt zurück und erzählt etwas schneller die Geschichte des Boyneburgufers weiter. Ich frage ihn warum er glaubt, dass sich genau dieser Laden hier dennoch gehalten hat, er lacht, rückt den Stuhl etwas nach hinten, steht auf und fragt den Kunden: „Zwei Döner oder?“ – „Richtig!“, sagt dieser und Hassan lächelt stolz, „Siehst du, deswegen. Ich gucke meine Kunden an und ich weiß schon was sie wollen. Und deswegen hat sich dieser Laden gehalten.“ Er schneidet das frisch gebackene Brot auf, füllt es mit Salat und Fleisch, und während er dies tut, führt er Small Talk mit dem Kunden, aber nicht diesen unangenehmen langweiligen Small Talk, sondern diesen herzlichen Hassan Small Talk, der irgendwie besonders ist und einen sich sehr willkommen fühlen lässt.

Überall alte Bekannte.

 „Was schätzt du am meisten an Erfurt?“ frage ich ihn, nachdem der rundliche Mann den Laden wieder verlassen hat. „Das was mir gefällt, egal wo du hingehst, du kennst jemanden. Das gibt dir ein Gefühl von Sicherheit, das schätze ich sehr. Denn in großen Metropolen kennt sich keiner und Kontakte verlaufen sich. Und dieses Vitamin B ist immer gut.“ – „Und was schätzt du am meisten am Boyneburgufer?“ – „Ich weiß nicht, also was schätz ich hier. Also die Straße ist nicht lebendig und nicht tot. Wenn ich an einer versteckten Ecke gewesen wäre, wo nicht viele Leute vorbei gehen, dann hätte ich wahrscheinlich gesagt, dass es keinen Sinn macht. Ist nicht Zentrum, aber auch nicht außerhalb des Zentrums. Das gibt mir bisschen Kraft.“

Das was mir gefällt, egal wo du hingehst, du kennst jemanden. Das gibt dir ein Gefühl von Sicherheit, das schätze ich sehr.

Ich möchte ein besseres Bild von Hassan und seinen Kunden bekommen, wer denn eigentlich in den Laden kommt und wie seine Beziehung zu den Menschen ist. Auf meine Frage antwortet er mit „Ja alle“, und das habe ich während unseres Spezi-Gesprächs auch schon bemerkt. Kinder, Jugendliche, StudentInnen, ältere Herrschaften, dick oder dünn, aus Erfurt oder nicht, jede Art von Menschen findet sich hier irgendwie wieder. Dass Hassan einen guten Bezug zu seinen Kunden hat, fällt einem auf, sobald man seinen Laden betritt und dort auch etwas verweilt. „Was schätzt du am meisten an diesen Menschen frage ich. „Na grundsätzlich, ich mag Kunden halt.“, beginnt er, „Um Kunden zu mögen, musst du Menschen mögen. Grundsätzlich so. Und zweitens, wenn ich den Leuten Essen anbiete und ihnen es schmeckt, und die essen das auf, und kommen wieder, das macht mir natürlich unheimlich viel Spaß. Und drittens, natürlich, ich habe so ein Konzept, ich komme immer bisschen ins Gespräch, um Vertrauen aufzubauen, damit sie auch Vertrauen zu mir haben. Als Gastwirt, da muss erstmal der Gast kommen und nicht das Wirtschaftliche. Und der Gast kommt nicht nur hierher, um zu essen und satt zu werden, sondern auch um ein paar Worte auszutauschen. Über alle Themen – weißt du. Und das macht mir unheimlich viel Spaß, weil die Leute einen Anschluss finden. Gedankenmäßig, weißt du, denn du kannst dich unterhalten mit den Menschen.“ Er setzt damit fort, dass er glaubt, dass manche Menschen gewisse Realitäten nur durch Berichte im Fernsehen mitbekommen und wenig über verschiedene Kulturen wissen. Er sieht sich als eine Art Missionar für seine Kunden, nicht religiös, sondern in kultureller Hinsicht: „Wenn du irgendwo ins Ausland gehst, bist du Missionar eigentlich. Du musst bisschen was wissen über deine Herkunft. Was besitzt du, was hast du von diesem Herkunftsland, und was gibt’s du, was sind die Unterschiede, damit sollte jeder Mensch etwas bewusster leben – du kannst erst was lernen, wenn du weißt was du bist.“

Wir stoßen nochmal mit der Spezi an, ich sehe, Hassan hat seine schon fast ausgetrunken, meine Flasche ist noch halb voll. Ich muss mich wohl etwas beeilen, seine Geschichten und das Zuhören lässt mich ungewohnterweise mein Getränk vergessen.

Keine Geschichte. Ein Erlebnis.

„Was ist spontan deine Lieblingsgeschichte aus diesem Laden? An die du gerne zurück denkst?“ – Er überlegt kurz: „Also spontan, Geschichte würde ich nicht sagen, aber so ein Erlebnis würde ich sagen. Ich habe jahrelang einen Kunden gehabt, das war ein Lustiger, und dieser Kunde war Wirtschaftsprüfer von einer großen Gesellschaft. Die kamen immer zum Essen, und er hat zuhause immer erzählt ‚Wir gehen bei Hassen essen‘,  und irgendwann war seine Frau neugierig, sie wollte mich kennen lernen, und das war lustig einfach. Das fand ich sehr sehr lustig.“ Er lacht, „dann kam er mit seiner Frau und sagte ‚Das ist Hassan‘. Das war wunderschön, ich habe irgendwie positive Gefühle geweckt in dem Menschen, positive Gefühle gegeben. Das zu haben, das ist schön.“

„Magst du Spezi überhaupt, oder hättest du lieber ein Ayran getrunken?“, versichere ich mich, auch wenn erst am Ende unsren Gesprächs. „Nein Ayran nicht, nicht unbedingt. Ich trink auch Spezi sehr gerne, nicht jeden Tag, da würde ich ja gesundheitliche Probleme bekommen. Aber ab und zu, schadet nicht!“.

Ich trinke meine Spezi aus, Hassan ist schon längst fertig. Ein Freund von ihm betritt den Laden, setzt sich zu uns an den Tisch und witzelt: „10 Döner bitte“ – „11“ – füge ich hinzu, denn bei Hassans Freunden kann ich mir sicher sein, dass es okay ist rumzuwitzeln, auch wenn man sie nicht kennt.

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