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Stell dir vor es ist Wahl – und niemand geht hin.

An Stura-Wahlen beteiligt sich grundsätzlich nur ein Bruchteil

Hurra! Vom 20. bis zum 23. Mai können die Studierenden der Universität Erfurt ihren Rat wählen. Gelebte Demokratie, um sich selbst zu verwalten und eine Gruppe zu finden, die für die Studi-Interessen eintritt. So zumindest die Theorie, bei der Wahlbeteiligung hört die Euphorie jedoch auf. 

Mit 22,4 Prozent haben im Mai 2018 vergleichsweise viele Studis gewählt, allerdings lag das wahrscheinlich an der Abstimmung zum Semesterticket, die zeitgleich stattfand. Passend zur niedrigen Wahlbeteiligung kandidieren kaum Leute für den Studierendenrat. 2018 gab es weniger Kandidierende als Plätze und über die Legislatur hinweg haben einige das Gremium wieder verlassen. Deshalb wurde im November nachgewählt, da gaben aber nur 5,5 Prozent ihre Stimme ab.

Dabei bestimmt der Stura über einen ordentlichen Geldtopf und verhandelt beispielsweise mit der Bahn darüber, wieviel das Semesterticket kosten soll. Die geringe demokratische Legitimation ist bei letzterem keine Hilfe.

Warum beteiligen sich so wenig Studis an den Sturawahlen?

Auf dem Unicampus habe ich mal die Studis nach ihrer Meinung gefragt, warum sich so wenig Leute an den Stura-Wahlen beteiligen:

Was sagen die Studierenden?

Schlecht informiert, kein Interesse oder schlichte Faulheit. So begründen viele, dass die Wahlbeteiligung im Keller ist. Aber es ist überhaupt schwierig in den Kreis des Sturas hineinzukommen. Der beste Weg dafür ist es, sich schon vorher als freie Mitarbeiter*in zu beteiligen, aber nicht jede*r von denen möchte sich mit einem Mandat binden.

Doch die Universität Erfurt ist mit der niedrigen Wahlbeteiligung nicht allein. Beispielsweise wählten an der Fachhochschule Erfurt im vergangenen Jahr lediglich 32,4 Prozent der Studierenden und das ist ein hoher Wert. 2017 waren es nur 4,2 Prozent und im Jahr davor wählten 17,9 Prozent.

Kein Erfurter Problem

Auch über Erfurt hinaus lässt sich das beobachten. An der Europa-Universität Flensburg, die mit knapp über 5000 Studis ähnlich groß wie die Uni Erfurt ist, wählten nach Angaben des Astas in den vergangenen drei Jahren maximal 14,09 Prozent das Studierenden Parlament. 2017 waren es lediglich 10,61 Prozent.

Ein demokratietheoretischer Blick

André Brodocz, Dekan der Staatswissenschaftlichen Fakultät und Dozent der Demokratie-Theorie-Vorlesung, erklärt auf Anfrage, dass die geringe Beteiligung mit der kurzen Zeit zusammenhängt, die die Studis an der Uni verbringen. Die individuellen Studis müssten sich ihrer gemeinsamen Interessen erstmal bewusst werden. „Dies braucht ein, bei vielen auch zwei Jahre, weil sie zur selben Zeit sich erst einmal im für sie neuen Kontext des universitären Alltags orientieren müssen“, so Brodocz. Zudem frustriere die Gremienarbeit, da es dort auch um Themen geht, die die Studierenden nicht persönlich betreffen. Für André Brodocz könnte das Interesse an den Wahlen gesteigert werden, wenn der Repräsentationsanspruch weniger auf den aktuellen Studierenden und mehr auf denen der Zukunft liegen würde. „Das aktive und passive Wahlrecht für universitäre Gremien müsste also als Verpflichtung betrachtet werden, Verantwortung für zukünftige Generationen von Studierenden zu übernehmen“, schließt Brodocz.

 Für die Wahlen 2019 haben sich 18 Personen aufgestellt und es gibt 17 Plätze. Einige Plakate sind auch schon auf dem Campus zu sehen. Beinahe spannend, wer es nicht in den Stura schafft und wie viele Mitglieder es noch in einem halben Jahr sein werden.

Ganzes Statement von Brodocz:

„Die niedrige Wahlbeteiligung von Studierenden an universitären Gremienwahlen hängt meines Erachtens damit zusammen, dass spezifisch studentische Interessen zwar dauerhaft an Universitäten existieren, doch die konkreten Individuen diese Interessen nur vorübergehend, zumeist nicht mehr als drei bis vier Jahre an einem Universitätsstandort tragen. In dieser Zeit müssen sie sich zunächst dieses Interesse bewußt machen. Dies braucht ein, bei vielen auch zwei Jahre, weil sie zur selben Zeit sich erst einmal im für sie neuen Kontext des universitären Alltags orientieren müssen. Dazu gehört auch, dass sie sich noch über ihre Partizipationsmöglichkeiten in universitären Gremien und deren Kompetenzen informieren müssen. Auch darüber vergeht Zeit. Zugleich machen sie in dieser Zeit die Erfahrung, dass Studierende an Entscheidungen – wie etwa die über Studienordnungen oder neue Professorinnen und Professoren – mitwirken, die sie persönlich nicht mehr betreffen – das frustriert. Der persönliche Nutzen zu wählen oder sich zur zu Wahl stellen, stellt sich vor diesem Hintergrund offensichtlich für viele als zu gering dar. Vielleicht lässt sich eine höhere Mobilisierung erreichen, wenn der Repräsentationsanspruch der Studierendenvertreterinnen und -vertreter geändert wird. Er sollte sich nicht auf ihre aktuellen Mit-Studierenden, sondern dezidiert auf die Interessen zukünftiger Studierender beziehen, die sich – weil sie noch nicht an der Universität sind – jetzt nicht selbst vertreten können. Kurz: Das aktive und passive Wahlrecht für universitäre Gremien müsste also als Verpflichtung betrachtet werden, Verantwortung für zukünftige Generationen von Studierenden zu übernehmen.“

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