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Traumfabrik Erfurt – Stadt als Katapult

Der Film “Weiße Witwen”, um dessen Schöpfer es in diesem Artikel geht, wird am 31. Mai hier veröffentlicht.

Träume, die im Schlaf kommen, sind wunderbar gespielte Streiche unseres Gehirns. Durch sie wird  man zum Retter der Welt, die mutigste Frau und Trägerin der Hoffnung – oder das Unterbewusstsein schickt einen ins Land der Absurdität. Träume aus der wachen Welt sind dabei ganz andere. Sie wachsen aus Ideen, Gesprächen, aus der Zeit in der man nicht an sie denkt und reifen lässt, Unvorhergesehenem und Zufällen. Als David Straub die Idee kam einen eigenen Film zu produzieren, konnte er noch nicht ahnen, dass es ihn dafür nach Indien treiben wird und für kommende Projekte noch weiter um den Globus.

Aufwachen in Lima

David ist Münchner, 24 Jahre alt, Wahlerfurter und Weltenbürger. Von 2014 bis 2018 hat er an der Uni in Internationale Beziehungen und Sozialwissenschaften studiert, ein Vollstawist also – der jedoch von Anfang an mehr im Sinn hatte, als nur Verordnungen und Gesetzestexte zu lesen. „Während des Studiums war ich Teil von Universal, der Studierendenredaktion von Radio F.R.E.I. und ich war für ein Praktikum beim ZDF. Die haben ein kleines Studio in der Marktstraße hier Erfurt, da konnte ich dann lernen wie man Videos schneidet.“ Das erzählt David aus 11.000 Kilometern Entfernung, denn gerade ist er mit seiner Freundin in Lima, Peru und bereitet sein nächstes Projekt vor. Auf die Bemerkung, er sei ein echter Autodidakt antwortet er verzögert, eigentlich gar nicht. Stattdessen kommt ein Geräusch wie ein Lächeln, ehrlicher Stolz durch den Telefonhörer und die Freude merkt man ihm an. Fast scheint es ein Kompliment für ihn zu sein. Die Arbeit für Universal hat ihm zwar immer Spaß bereitet, geträumt jedoch hat er immer von einem eigenen Film. Nicht nur Stimmen und Geräusche einfangen, auch Atmosphären, Menschen deren Geschichte man sehen kann.

David Straub
Kein Gürtel, den man tragen will

Es ist 2017, als David einem Bekannten auf einer WG-Feier wiedersieht. Der heißt Amit Tyagi, sie kennen sich schon von einer Radioreportage, die David über ein Projekt von Amit produziert hat (mehr zu Amits Engagement in Erfurt und an der Uni erfahrt Ihr hier). Amit ist ein umtriebiger Alumnus der Willy-Brandt-School of Public Policy und hatte schon ein neue Idee, die er verwirklichen wollte – als Teil der Peace Foundation Germany hatte sich Amit ein neues Herzensprojekt gesetzt, dass die kritische Lage der Baumwollbauern in Indien verbessern soll. Die beiden erkannten schnell, dass sie zusammen ihre Ideen umsetzen können. So konnte David endlich ein eigenes dokumentarisches Filmprojekt starten und Amit, der selbst Inder ist, bekam die Möglichkeit, die erschreckende Armut und Aussichtslosigkeit indischer Baumwollbauern zu zeigen. „Natürlich ist das keine rein objektive Doku geworden“, erzählt David am Telefon. „Wir sind eine Kooperation eingegangen, außerdem hat Amit wegen der Sprachbarriere die Interviews mit den lokalen Bauern und Einheimischen geführt. So konnten wir uns gegenseitig helfen.“

Und tatsächlich „Weiße Witwen“, so der Titel, begleitet auf sechsundzwanzig Minuten Amit, wie er im Bundesstaat Maharashta im Dorf Dhanoli Menschen ihre Geschichte erzählen lässt. Das im „Suicide Belt“ gelegene Dorf in Zentralindien lebt von der Landwirtschaft, vor allem von der mit Baumwolle. Doch weil genmanipulierte Sorten den Markt beherrschen, das Wunderpestizid wunderbar wirkungslos ist, fehlende Erträge und Verschuldung die Bauern in die Verzweiflung treiben, bleiben im Selbstmordgürtel Indiens die Frauen zurück – man nennt sie deshalb “Weiße Witwen”. „Wir waren vier Wochen in Indien, allein eine Woche hat es gedauert, um zu den Menschen vor Ort eine gute Verbindung aufzubauen“, so David. Und tatsächlich transportiert der Film sehr wohl, dass das Projekt nicht jedermenschs Vorstellung einer guten Ordnung im Dorf entspricht. Ziel ist es nämlich, Webstühle im Dorf aufzubauen und der Bevölkerung vor Ort die Chance zu geben, ein Produkt herzustellen und nicht nur den Rohstoff zu liefern. Während der Dreharbeiten stellte David fest: „nicht alle Bauern waren offen für diese Idee. Eigentlich profitieren sie davon, das Dorf, aber es gibt eben auch Bauern ohne Landbesitz.“ Von den Bauern mit Landbesitz, denen es nicht bedeutend besser geht, seien schon fast feudale Bestrebungen ausgegangen, erklärt David weiter. So offenbaren sich derweil konfliktgeladene Ebenen, die nicht nur das Leid der Bauern insgesamt eröffne. Ebenso die Unterschiede innerhalb der Community, auch die Schwere, eine neue Lebensperspektive vorzustellen, zehrt an den Beteiligten. Von Amit berichtet David weiterhin, dass er es nicht leicht hatte mit seinem Projekt und es noch nicht abgeschlossen ist. Regelmäßige Präsenz vor Ort und der Austausch mit der Bevölkerung scheint dafür unerlässlich, damit im besten Fall alle vom Konzept der Ernte von Baumwolle und der Verarbeitung in Eigenverantwortlichkeit profitieren können.

Es hat sich nicht ausgeträumt

Auch, und das gibt David gern zu, wenn „Weiße Witwen“ ein Erstlingswerk ist, dem man die Einfachheit der Dinge anmerkt, aber deshalb nie böse ist, erfüllt es ihn mit Freude. Eine gebrauchte Spiegelreflexkamera, abgekauft vom ehemaligen Mitbewohner, ein Aufnahmegerät, mehr brauchte es nicht, damit er seinen ganz persönlichen Traum umsetzen konnte. Weiterhin steht für ihn und seine Freundin Paulina, die in „Weiße Witwen“ die Off-Stimme eingesprochen hat, die Traumfabrik nicht still. Das nächste Projekt, ein Film über ein indigenes Volk in Brasilien, ist sodann schon in der Vorbereitung. Seitdem Jair Bolsonaro der Präsident des südamerikanischen Landes ist, werden indigene Völker massiv eingeschränkt in ihrer Lebensfreiheit. Diese Bedrohung möchten David und Paulina einfangen und an Mitmenschen transportieren, sie mit ihnen teilen. Auch für dieses Projekt konnte er wieder Robert Schwarz begeistern, der die Postproduktion, den Schliff vom Rohdiamanten zum fertigen Film, übernehmen wird. Robert war auch schon vom ersten Film so überzeugt, dass er gleich für den zweiten zugesagt hat.

Fragt man David, wie Erfurt ihn auf diese Erfahrungen vorbereitet hat, ist er nicht lang um eine Antwort verlegen. Durch sein Studium bekam er die die politische, soziale und globale Einsicht zu sehen, dass es Themen gibt, die bewegend sind. Für ihn ist Erfurt eine Stadt, die Initiative aufbaut, der kleine konzentrierte Rahmen macht es möglich Mitstreiterinnen und Mitstreiter für ein Projekt zu finden oder sich selbst einem anzuschließen. Auch die familiäre Atmosphäre zwischen Studierenden und Lehrenden beschreibt er als sehr großes Glückmoment, eine nahbare Umgebung die den persönlichen Austausch fördert und den Mut gibt, Dinge selbst anzupacken.

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