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Ungleich Kneipenbummel: Wohlfühlschuppen mit rechtem Einschlag

Schon oft ist der Satz: „Erfurt ist ungleich allen anderen Städten.“ in diesem Magazin gefallen. Doch was macht Erfurt eigentlich so ungleich? Für mich gehören da eindeutig die vielen Bars und Spelunken dazu, die als sehr „ab vom Schuss“ gelten und vor allem von Studis noch selten besucht, oder vorschnell abgestempelt werden. Da ich der Meinung bin, dass diese Läden sehr viel Potenzial haben, begebe ich mich auch gern öfters dort hin. Und warum nicht meine Meinung einfach mal lauthals im Internet kundtun? Ich habe gehört das macht man heutzutage so.

So begeben wir, ein ungleicher Kollege und ich, uns in den Norden Erfurts. Wir wagen uns hinein in die, meiner Meinung nach zu Unrecht vorschnell abgestempelten Plattenbauten, mitten in ihr Herzstück: den Nordstadt-Treff. Noch bevor wir das Etablissement betreten, kommt der Satz: „Wollen wir da denn wirklich rein?“ auf. „Na klar!“ sage ich und winke jegliche Zweifel mit einem „Stell dich nicht so an!“ ab. Denn ein paarmal war ich hier ja schon und habe bis dato immer einen guten Abend verbracht.

Der Nordstadt Treff

Noch bevor wir den Laden betreten, entdecken wir den ersten Yakuza-Pulli, und doch treten wir ein. Es wird direkt klar: für Nichtraucher ist diese Kneipe nichts, es riecht nach Zigaretten und Bier. Eigentlich genau das, wonach man (ich zumindest) in einer guten Kneipe sucht. Also braucht es nur ein kurzes „Moin“ und ein kleines Bier, für das man übrigens genau halb so viel zahlt wie für ein Großes, bis ich mich irgendwie angekommen und heimisch fühle. Und das trotz der Tatsache, dass es draußen noch hell ist und ich hier offensichtlich nicht hingehöre. Doch nun sitzen wir hier. Zwei quasi Fremde, die noch nie länger als fünf Minuten miteinander geredet haben. Aber natürlich will man so einen entspannten Kneipenabend dann doch nicht allein verbringen und Erfurts Geheimtipps an Kneipen und verruchten Bars nicht im Alleingang unsicher machen. Auch wenn man wohl nie völlig allein wäre, denn bis auf den Yakuza-Typen und uns ist an jenem Montagabend auch eine Männergruppe mit eindeutiger Stammtischatmosphäre und -lautstärke im Lokal anwesend.

Allesamt sammeln wir Striche auf unseren Bierdeckeln, während am Nebentisch lauthals verkündet wird, man solle Reinhold in Ruh‘ lassen und MDR Jump im Hintergrund düdelt. Was mir an Dschingis Khan und ähnlicher Kneipen-Mukke fehlt, wird durch das gelegentliche Klopfen einer Faust auf unseren Tisch wett gemacht, jedes Mal, wenn jemand kommt oder geht. Und so verläuft der Abend weiter. Unterhalten wird sich über dies, das und jenes. Immer mal wieder tönt ein „Lasst doch den Reinhold in Ruhe!“ vom Nebentisch rüber. Doch wir lassen uns nicht beirren. Wir sind auf einer Mission. Und wenn wir die Letzten sind, die hier sitzen. Wir werden die Atmosphäre in uns aufsaugen und der Welt erzählen, was uns in diesem Schuppen wiederfahren ist. Immer weiter wird klar: für Nichtraucher ist diese Kneipe nur im Sommer was, und zwar draußen. Selbst der Tresenfachmann, nennen wir ihn Manni, fluppt hinter der Bar was das Zeug hält. Allein die blauen Streichholzpackungen, auf denen noch DM-Preise angeworben werden, sprechen für sich. Auf die Frage, wie lange es diesen Laden hier schon gibt, antwortet Manni nur: „Uff, schon immer.“. Er selbst arbeitet wohl schon seit circa 5 Jahren in dem Schuppen und lässt sich das durch seine, fast sympathisch wirkende, brummige Art auch anmerken.

Bier und Kippen

Schließlich wollen wir doch wissen, wie die anderen Gäste hier so drauf sind und setzen uns zu den hinterbliebenen Stammtischjungs an den Tisch. Ein Fehler? Vielleicht. Denn schnell lenken die anfangs harmlosen Gespräche sich fast automatisch auf Politik um. Es wird klar: Sie sind für unseren Geschmack etwas zu rechts. Wir für ihren wohl zu links. So wird hin und her diskutiert. Die sogenannte Flüchtlingskrise, politisch motivierte Gewalt, der Islam, kein potenzielles Streitthema wird ausgelassen. Zwar wird schnell klar, dass wir auf keinen einzigen gemeinsamen Nenner kommen werden und wir unsere Meinungen weitaus politisch mittiger darstellen als sie eigentlich sind, muss man den Stammgästen der Nordtreffs eins lassen: immer blieben sie höflich und akzeptierten unsere Meinung, möge sie auch anders sein als deren eigene. Zwar wurden wir schnell als zu jung und idealistische angesehen mit den Worten: „Wartet‘s nur ab, in ein paar Jahren werdet ihr das anders sehen“, aber das konnten wir nun doch ziemlich gut ignorieren.

Also alles in allem eine Bar, die zwar offensichtlich AFD-Wähler mit sich bringt, jedoch für einen guten Abend mit günstigem Bier (und auch einer schwer zu empfehlenden „schwarzen Johanna“) sorgt. Ich habe auf jeden Fall noch einiges zu verdauen und werde bei meinem nächsten Besuch das Thema Politik weitläufig meiden. Zurückkehren werde ich jedoch auf jeden Fall. Denn diese Bar, in der wohl schon Generationen ihre besten Jahre verbracht haben, hat es geschafft echtes Nostalgie-Gefühl zu wecken. Trotz, oder gerade wegen, des verruchten Ambientes, den etwas altbacken wirkenden Möbeln und dem großen Holztresen kann man hier eindeutig einen lustigen Abend verbringen. Außerdem toppt der Nordtreff mit einer Darts-Scheibe und mehr als fairen Bier-Preisen so ziemlich jede Kneipe, die ich in der Innenstadt kenne. Daher lohnt sich ein kleiner abendlicher Ausflug (oder auch vormittags, denn der Nordtreff mach schon um 10 auf) ins Rieth allemal. Mit all seinen Macken bietet der Treff die perfekte Oase inmitten von Plattenbautenromantik und gefühltem Großstadt-Dschungel. Denn eins ist gewiss: jemandem zum schnacken und ein günstiges Kaltschalengetränk findet man hier allemal.

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