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Die Rechte Szene am Herrenberg Teil III:„Volksgemeinschaft Erfurt e.V.“

Im dritten Teil der Serie über Einstiegsprozesse in die rechte Szene am Herrenberg beschäftigen wir uns mit lokalen extrem rechten Akteur*innen. Dabei wird ein besonderer Fokus auf den Verein „Volksgemeinschaft Erfurt e.V.“ (VG) und seine Angebote gelegt.
Schon seit Jahren ist das gesellschaftliche Zusammenleben am Herrenberg vom rechten Milieu geprägt. Nicht umsonst sprach ein Mitarbeiter von MOBIT im Interview „von einer zweiten Generation“ lokaler extrem rechter Akteur*innen. Demnach war eine nicht gerade geringe Zahl der Bewohner*innen des Quartiers bereits in den 90ern in der rechten Szene aktiv. Viele dieser Rechten haben jetzt selbst Kinder bekommen, die die Angebote der VG besuchen. Diese familiäre Vorprägung wurde bereits im letzten Artikel angesprochen.

Entstehung, Struktur und Ideologie

Nun zur „Volksgemeinschaft Erfurt e.V.“: Der Verein wurde im Herbst 2015 gegründet und hat kurz darauf eine alte Markthalle am Erfurter Herrenberg angemietet. Diese dient ihm seitdem als Vereinssitz und Veranstaltungsort. Der Verein trat zudem durch eine Facebook- und eine Internetseite in Erscheinung, beide sind inzwischen nicht mehr erreichbar. Auf letzterer fand sich auch die folgende Selbstbeschreibung, die schnell klar macht, dass sich das Angebot des Vereins primär an Kinder und Jugendliche richtet:

„Der Verein ‚Volksgemeinschaft Erfurt e.V.‘ hat es sich zur Aufgabe gemacht, einen Ort zu schaffen, den es in dieser Form noch nie gab […] Wir bieten euch eine große Auswahl an Freizeitaktivitäten. Wir haben Billardtische, Dartscheiben, Tischkicker und eine große Auswahl an Sportgeräten. Nicht zu vergessen sind an den Wochenenden Veranstaltungen, wie zum Beispiel Billard-Tuniere etc.“ [sic] Es verwundert also nicht, dass die extrem recht Szene im Erfurter Südosten durch die Immobilie „weitere Normalitätsgewinne schaffen und gezielter Nachwuchs rekrutieren“ kann, wie in einer Untersuchung des Kompetenzzentrum Rechtsextremismus der Friedrich-Schiller-Universität Jena festgestellt wurde. Auch sog. „Angsträume“ für potentielle Opfer rechter Gewalt am Herrenberg konnten sich dadurch weiter vergrößern.

Diese wurden zunächst vor allem durch die sog. „Kammwegklause“ geschaffen, eine extrem rechte Kneipe am Herrenberg, in der zahlreiche Konzerte rechter Bands stattfanden. Inzwischen hat die Immobilie an Bedeutung verloren und die VG hat ihre Nachfolge als Treffpunkt für die rechte Szene angetreten.

Die Kammwegklause in Erfurt. © Jonas H.

Enrico Biczysko, der schon für Teile des Betriebs der „Kammwegklause“ zuständig war, stellt nun auch eine der Leitfiguren der VG dar. Er ist seit vielen Jahren ein wichtiger Bestandteil der extrem rechten Szene in Erfurt. So stellte der Soziologe Matthias Quent schon 2013 fest, dass Enrico Biczysko „als Scharnierperson zwischen den formell, informell und jugend- bzw. subkulturell organisierten Rechtsextremen in der Landeshauptstadt“ fungiere. Biczysko stammt ursprünglich aus der rechten Hooliganszene rund um Rot-Weiß-Erfurt und hat 2014 für die NPD einen Sitz im Erfurter Stadtrat errungen. Anfang 2016 fand so auch eine Parteiveranstaltung der NPD und ein Konzert mit bekannten extrem rechten Musikern in den Räumlichkeiten der VG statt. Schon Mitte des Jahres kam es jedoch zum Bruch zwischen Biczysko und der NPD, woraufhin er aus der Partei austrat und zur extrem rechten Kleinstpartei „Die Rechte“ (DR) wechselte.

Seitdem ist neben Biczysko auch der damalige Kreisvorsitzende von DR Michel Fischer an der Leitung des Vereins beteiligt. Fischer kommt aus dem Weimarer Land und ist u.a. dadurch aufgefallen, dass er in den letzten Jahren einer der häufigsten Anmelder von Neonazi- Demonstrationen in Thüringen war. Nach dem Parteiwechsel fanden 2016 in der Immobilie u.a. eine Vorstellung der Partei sowie ein „Familienfest für hilfsbedürftige deutsche Familien“ statt. Biczysko stieg schnell zum Landesvorsitzenden von DR auf, Fischer zum stellvertretenden Vorsitzenden. Der Thüringer Landesverband von DR berief sich auf den NS-Begriff der „Volksgemeinschaft“, der sich ja auch im Namen des extrem rechten Vereins wiederfindet. Aber hier hörten die Ähnlichkeiten des Landesverbandes zur Ideologie des Nationalsozialismus nicht auf.

Auf seiner ehemaligen Internetseite bezeichnete sich der Landesverband zudem als „national“ und „sozialistisch“. Daneben legte er besondere Schwerpunkte auf die Bereiche: Förderung deutscher Familien, Bildung, „Heimatschutz“ durch Umweltschutz, „Volkswirtschaft“ und Bekämpfung der Pharmaindustrie. Hier liegt also ganz klar ein neonazistisches Weltbild zugrunde. Im November 2017 kam es zum Streit zwischen dem Thüringer Landesverband und dem Bundesverband von DR. Neben Fischer und Biczysko trat daraufhin nahezu der gesamte Landesverband aus DR aus, weshalb dieser sich auflöste.

Nach der Abkehr von DR folgte eine längere Annaäherungsphase der Aktivist*innen an die militante extrem rechte Kaderpartei „der dritte Weg“, die sich selbst als Avantgarde versteht. „Kaderpartei“ meint in diesem Zusammenhang, dass nicht jede Person, die darauf Lust hat, einfach Mitglied der Partei werden kann, sondern nur bestimmte ausgewählte Personen aufgenommen werden. Die Annäherungsphase endete damit, dass sich die Erfurter Aktivist*innen der Partei anschließen durften. Es lässt sich also durchaus von einer Art parteipolitischer Odyssee der VG und insbesondere von Biczysko durch extrem rechte Kleinstparteien innerhalb der letzten Jahre zu sprechen. Wie es scheint, hat diese ihr vorläufiges Ende beim „dritten Weg“ gefunden. So zeigt sich auch eine sehr große ideologische Nähe der Erfurter Aktivist*innen zur Partei. Der „dritte Weg“ fordert in seinem „Zehn-Punkte-Programm“ u.a.: die „Schaffung eines Deutschen Sozialismus“, eine „Raumgebundene Volkswirtschaft“, mehr „Deutsche Kinder“ sowie „die Einführung der Todesstrafe für Kindermord“, eine Bewahrung der „Heimat“, „Umweltschutz“ als „Heimatschutz“ und „Soziale Gerechtigkeit für alle Deutschen“. Des Weiteren versteht sich die Partei als „national“, „revolutionär“ und „sozialistisch“. Diese Forderungen und Selbstbeschreibungen sind nahezu gleich mit denen des ehemaligen Landesverbandes von DR (s.o.).

Logo des “dritten Weges” an einer Hauswand. © Jonas H.

Seit dem Anschluss an den „dritten Weg“ ist eine verstärkte Aktivität rund um die Immobilie am Herrenberg festzustellen. Dort, wo früher ein „Volksgemeinschaft“-Graffiti auf der Wand prangte, sieht man nun Logos des „dritten Weges“. Die Immobilie wird vermehrt für Parteiveranstaltungen genutzt. So fanden dort u.a. eine Parteivorstellung, eine Rechtsschulung und ein Neujahrsempfang statt. In Erfurt tritt die Partei immer wieder durch Infostände in Erscheinung und einige Akteur*innen aus dem Umfeld der VG kandidierten 2019 erfolglos für den Erfurter Stadtrat, darunter auch Biczysko und Fischer. Daneben gab es mehrere Flyerverteil-Aktionen und Proteste gegen den Christopher-Street-Day.

Angebote und Aktivitäten

Auf der Kinder- und Jugendarbeit liegt seit der Gründung ein besonderer Schwerpunkt. Somit ähnelt das Angebot dem eines Jugendklubs: Kraft- und Kampfsporttraining, Hausaufgabenbetreuung, Nachhilfe, Musikunterricht, Kicker, Dart und Billiard. Die Immobilie hat zudem regelmäßig abends und nachmittags geöffnet. So war auf der Facebook-Seite des Vereins von abendlichem Barbetrieb, Konzerten, Partys und Fußball-Public-Viewing die Rede. Darüber hinaus bieten die Aktivist*innen Bewerbungstraining, eine Bibliothek, Computer mit Internetzugang, Drogen- und Suchtberatung, Unterstützung bei Ämtergängen an. All diese Angebote sind kostenlos und geeignet, Menschen verschiedenster Altersklassen anzusprechen.
Die extrem rechten Akteur*innen übernehmen folglich nicht nur Aufgaben im Rahmen der Freizeitgestaltung, sondern auch solche, die üblicherweise in den Bereich der Jugend- und Sozialarbeit fallen. Bei diesen Angeboten „wird […] eine Gemeinschaft suggeriert“, wie ein Sozialarbeiter erklärte. Dieser (vermeintliche) Zusammenhalt fällt in einem Stadtteil, in dem sich viele ausgeschlossen fühlen, auf fruchtbaren Boden. Einer der Hauptgründe, warum Menschen die VG besuchen, ist außerdem, dass die Immobilie vor Ort und dadurch leicht erreichbar ist. Insbesondere die Angebote, die einem Jugendklub ähneln, scheinen gut frequentiert zu werden. Ein Mitarbeiter des Jugendhauses am Drosselberg erzählte im Interview: „von dem Jugendklub, wo ich bin, von 50 gehen vielleicht regelmäßig fünf hin und unregelmäßig vielleicht zehn“. Bei dieser Anzahl an Jugendlichen lässt sich nur schwer von Einzelfällen reden, zumal die Zahl der Jugendlichen, die in der VG aktiv sind, wahrscheinlich deutlich höher liegt. Die meisten Kinder und

Jugendlichen vom Herrenberg besuchen aber wohl lediglich die Angebote der Jugendklubs. In der „Volksgemeinschaft“ sind, anders als der Name vermuten lassen würde, nicht nur deutsche Kinder und Jugendliche aktiv. So scheinen dort auch Personen mit Migrationshintergrund akzeptiert zu werden, aber offenbar nur solche, die einen vermeintlich europäischen Hintergrund haben, wie mehrere Interviewte übereinstimmend erklärten.

Der Einstiegsprozess in der VG geschieht nicht von einem Tag auf den nächsten, sondern ist eher ein schleichender Prozess, der sich über mehrere Jahre hinziehen kann. Viele der Kinder und Jugendlichen sind noch nicht ideologisch gefestigt. Der tägliche Umgang mit den Kindern und Jugendlichen scheint so auf eine Normalisierung rechter Positionen ausgerichtet zu sein. Der Besuch der Räumlichkeiten ist für die Jugendlichen normal und alltäglich. Daraus entsteht die Gefahr, dass sie menschenfeindliche politische Einstellungen langsam übernehmen. So berichtete etwa der Ortsteilbürgermeister des Herrenbergs Hans-Jürgen Czentarra in einem Interview mit der Thüringer Allgemeinen, dass in der VG „im Rahmen der Hausaufgabenhilfe bei den Angeboten sogar die Hitler-Biografie ‚Mein Kampf‘ durchgenommen wurde.“

Teilweise reden die Jugendlichen wohl recht offen darüber, dass sie zum Sport in die VG gehen. Auf genauere Nachfragen von Sozialarbeiter*innen zu den Angeboten und dem Umgang dort antworten die Minderjährigen aber nicht mehr. Es scheint, als hätten sie in der VG die Ansage bekommen, nach außen nicht über die dortige Jugendarbeit zu reden. Hier zeigt sich ein Dilemma, in dem die Sozialarbeiter*innen der Jugendklubs gefangen sind: „Wenn wir mit den Kids über die Volksgemeinschaft reden, kriegen wir nicht so viel raus, da müssten wir sie schon ganz schön belagern und dann kommen sie vielleicht nicht mehr zu uns und das ist auch blöd.“ Wenn dieser Fall eintreten würde, könnte der Einstiegsprozess der Jugendlichen schneller voranschreiten, da sie nicht mehr für Demokratiemaßnahmen zu greifen wären. Insofern ist es positiv, dass viele Jugendliche noch Angebote der Jugendklubs nutzen, obwohl sie gleichzeitig in der VG aktiv sind. Neben dieser Schaffung von Angeboten hat die Gründung der VG zudem zu verstärkten Übergriffen geführt. So wurden bspw. Schaukästen des Stadteilzentrums Herrenberg (STZ) zerstört und Personen aus dem Umfeld der VG waren an den Angriffen auf das Autonome Jugendzentrum im Erfurter Norden ebenso beteiligt, wie auch an Gewalttaten auf Menschen, die gegen die AfD demonstrierten. Weitere Vorfälle gab es u.a. bei einem Ferienprojekt des STZ, wo ein Kind geschlagen und rassistisch beleidigt wurde, und in der Gemeinschaftsschule am Herrenberg (s. Teil 2 der Serie).

Trotz dieser Vorfälle gelingt es der VG sich als „sozialer Kümmerer“ im Stadtteil zu inszenieren und so zu einer Normalisierung extrem rechter Einstellungen und Verhaltensweisen beizutragen. Vielen ist leider immer noch nicht bewusst, welche Ideologie hinter dem Verein steht. Für Andere scheint das aber auch zweitrangig zu sein, weil sie schlichtweg froh sind, dass vor Ort Sozial- und Jugendarbeit geleistet wird.

Im nächsten Teil der Serie wird geschaut, welche alternativen Angebote es für junge Menschen am Herrenberg gibt und die Reaktionen auf die VG von Politik, Zivilgesellschaft und Anwohner*innen werden dargelegt.

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