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Die Rechte Szene am Herrenberg Teil IV: Reaktionen auf die „Volksgemeinschaft Erfurt e.V.“ und alternative Angebote

Wie im dritten Teil schon kurz angesprochen, gibt es Sympathie für die Arbeit der „Volksgemeinschaft Erfurt e.V.“ (VG) unter einem Teil der Anwohner*innenschaft des Herrenbergs. So sei der Stadtteil etwa sauberer und sicherer geworden, seit die „Volksgemeinschaft“ existiert. Auch eine örtliche zivilgesellschaftliche Akteurin erzählte Ähnliches im Interview: „Aber sie haben ja scheinbar einen ganz guten Zulauf, also ich glaube, für viele gehört das dazu. […] Es hat sich jetzt niemand explizit dagegen gewendet“. Die Anwesenheit der VG scheint sogar für viele Anwohner*innen normal bzw. begrüßenswert zu sein. Gleichzeitig wurde aber auch berichtet, dass einige Menschen Angst davor haben, sich öffentlich gegen den Verein zu positionieren, weil sie sonst mit Repressalien wie bspw. Drohungen oder Ächtung zu kämpfen hätten. Dazu kommt noch, dass das bürgerliche Engagement im Stadtteil sowieso vergleichsweise niedrig ist. In Anbetracht dieser Faktoren ist es nicht sonderlich überraschend, dass es aus der Bevölkerung des Erfurter Südostens kaum Gegenwehr gegen den rechten Verein und seine Akteur*innen gibt.

Zivilgesellschaftliche Akteur*innen wie das Stadtteilzentrum Herrenberg (STZ) und die örtlichen Jugendklubs positionieren sich hingegen schon länger klar für Demokratie und gegen Menschenfeindlichkeit. Dementsprechend ist die VG auch immer wieder Thema in der „Stadtteilkonferenz Südost“. Diese ist ein Netzwerk verschiedenster Organisationen und sozialer Träger*innen aus dem Erfurter Südosten, die sich regelmäßig treffen und zu verschiedenen Themen, die das Gebiet betreffen, zusammenarbeiten. Auf die gemeinsame Arbeit gegen rechte Gruppen angesprochen, stellte aber eine Interviewte resigniert fest: „Es ist alles ein bisschen orientierungs- und kopflos.“ Dies liege daran, dass die unterschiedlichen Akteur*innen nicht genug Ressourcen haben und im Gremium primär ihre Eigeninteressen verfolgen, sodass keine wirkliche Zusammenarbeit zustande komme. Außerdem habe die Thematik der VG nicht für alle Akteur*innen die gleiche Relevanz. Stattdessen sei es vielmehr Einzelpersonen zu verdanken, dass das Problem zumindest wiederkehrend in der Stadtteilkonferenz angesprochen wird. Gemeinsam wurden zwar schon Veranstaltungen wie der „Tag der Vielfalt“ in den unterschiedlichen Einrichtungen organisiert, eine gemeinsame und beständige Strategie ist aber auch hier leider nicht erkennbar.

Ein weiteres Problem ist, dass lokale Akteur*innen das Gefühl haben, dass das Problem von der Kommunalpolitik nicht ernst genommen wird und lange gar nicht behandelt wurde. Das bestätigte auch ein Mitarbeiter von MOBIT: „Aber das hat halt dann leider auch erst diese diversen und über mehrere Wochen und Monate gehenden Vorfälle auch in vor allem den schulischen Zusammenhängen gebraucht, dass darüber auf kommunalpolitischer Ebene geredet wurde, indem es Berichterstattung gab“. Der Jugendhilfeausschuss der Stadt Erfurt beschäftigte sich dann erstmalig im August 2017 mit den extrem rechten Problemen am Herrenberg. Daraufhin wurden im Juni 2018 verschiedene Maßnahmen beschlossen, die insbesondere den sozialen und Jugendeinrichtungen im Erfurter Südosten helfen sollen, darunter bspw. eine bessere Förderung für Ferienfreizeiten und geringere Hürden für die Beantragung von finanziellen Mitteln. Daneben wurde gemeinsam mit verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen wie ezra, MOBIT und Radio F.R.E.I. im November 2018 ein Fachtag zum Thema Rassismus in Schule, Jugendarbeit und Verwaltung zur Weiterbildung von professionellen Akteur*innen aus diesen Bereichen organisiert. Inwiefern diese Maßnahmen dazu geeignet sind, die Lage vor Ort nachhaltig zu verbessern, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen, gab eine Sozialarbeiterin zu Protokoll. Eine positive Entwicklung ist aber definitiv, dass die Kommunalpolitik die Probleme inzwischen erkannt hat und versucht zu handeln.

Außerdem gab es über mehrere Jahre hinweg immer wieder Gerüchte, dass der VG auf Initiative des Stadtteilbürgermeisters gekündigt worden sei, bzw. dass sogar Räumungsklagen gegen den Verein laufen würden. Teils gab es dazu Gegendarstellungen von Seiten des Vereins. Inzwischen soll die Immobile an eine Genossenschaft verkauft worden sein, die altersgerechte Wohnungen darin bauen möchte. Es bleibt abzuwarten, was aus diesen Plänen wird und ob die VG tatsächlich ihre Räumlichkeiten verlieren wird. Gleichzeitig ist aber davon auszugehen, dass die extrem rechten Akteur*innen bereits auf der Suche nach neuen Räumlichkeiten sind und sich das Problem deshalb möglicherweise nur an einen anderen Ort verlagern wird.

Alternative Angebote

Bis 2012 gab es im Stadtteil Herrenberg noch eine Stadtteilbibliothek, die „das eigentliche kulturelle Zentrum des Herrenberges“ gewesen sei. Sie wurde aufgrund nötiger Reparaturen, die für die Stadt nicht finanzierbar gewesen wären, geschlossen. Seit einigen Jahren gibt es eine Debatte, ob sie wiedereröffnet werden solle. Der Ortsteilbürgermeister Hans-Jürgen Czentarra gab gegenüber der Thüringer Allgemeinen zu bedenken, dass eine Fahrt in die Innenstadt zur Stadtbibliothek für viele Anwohner*innen zu teuer wäre. Inzwischen hat die VG eine kleine Bibliothek in ihren Räumlichkeiten eingerichtet und nutzt folglich diese Angebotslücke für sich.

Die Anzahl der Freizeitsportangebote am Herrenberg ist sehr begrenzt. So gibt es z.B. einen Hockey-Verein und eine informell organisierte Parcouring-Gruppe. Gleichzeitig hat sich in einer Befragung unter Erfurter Kindern und Jugendlichen ergeben, dass im Erfurter Südosten für 50% der Befragten wichtig ist, dass sie sich bei Freizeitangeboten sportlich betätigen können. Auch dieser Angebotslücke nimmt sich die VG mit ihrem Kampf- und Kraftsporttraining an.

In nächster Nähe zur „Volksgemeinschaft“ gibt es seit 2014 das Stadtteilzentrum Herrenberg, das ein vielfältiges Angebot für Menschen aller Altersgruppen bereitstellt, das in erster Linie von Ehrenamtlichen getragen wird. Die Mitarbeiter*innen des STZ nehmen hier vor allem eine koordinierende, organisierende und unterstützende Rolle ein. Für Jugendliche werden bspw. regelmäßig Taekwondo und Breakdance angeboten. Ab und zu gibt es außerdem Abendveranstaltungen oder Feste. Das STZ hat jedoch mit zwei Problemen zu kämpfen: Zum einen ist die Kontinuität der Angebote teilweise nicht gegeben, wenn Ehrenamtliche ausfallen oder nicht können. Zum anderen ist das STZ mit seinem vielfältigen Angebot im Quartier noch nicht so bekannt. Letzteres verbessert sich aber sukzessive durch Mundpropaganda.

Am Herrenberg selbst gibt es nur eine reine Jugendeinrichtung: die Musikfabrik. Die habe aber ein anderes Einzugsgebiet als die VG, weil sie weiter stadteinwärts sitzt, erzählte ein Sozialarbeiter im Interview. Darüber hinaus gibt es noch jeweils einen Jugendklub in den angrenzenden Stadtteilen Drosselberg und Wiesenhügel. Im Interview erklärte ein Sozialarbeiter vom Jugendhaus, dass die Jugendlichen bei ihnen u.a. Workshops besuchen können, deren Themen sie vorher selbst bestimmt haben. Daneben gibt es noch Angebote wie einen Fitnessraum, Musik, Sport (z.B. Fußball, Basketball), Basteln, Malen, Beratungen, Lernhilfen, Computer, Billard, Dart, Tischtennis, verschiedene Gesellschaftsspiele, einen Proberaum und einen Tanzraum. Kampfsport, wie ihn die VG anbietet, könne vom Jugendhaus derzeit nicht bereitgestellt werden, weil sie weder über die passenden Räumlichkeiten noch über eine*n passende Trainer*in verfügen würden. Zumindest ersteres könnte sich aber nach einem Umbau der Immobilie im nächsten Jahr ändern. Im Moment machen die Mitarbeiter*innen aber häufig noch folgende Erfahrung: Die Jugendlichen „kommen zu uns ins Jugendhaus um 14 Uhr und bleiben bei uns bis 17:30 Uhr und dann gehen sie in die Volksgemeinschaft, [wo] sie 18 Uhr zum Training sind für eine Stunde, und dann kommen sie vielleicht danach nochmal ganz kurz hoch und holen die Kumpels ab, wenn 19 Uhr Schluss ist.“ Diese Angebotslücke im Bereich des Kampfsports besetzt die VG also auch. Viele Eltern am Herrenberg können zudem nicht den monatlichen Beitrag für ein professionelles Fitness- und/oder Kampfsportstudio aufbringen, weshalb zahlreiche Jugendliche das kostenlose Angebot der VG nutzen.

Ähnlich sieht dies bei der Abendgestaltung der Minderjährigen aus. So werden etwa alle zwei Monate im Jugendhaus Partys veranstaltet. Ansonsten hat es unter der Woche jedoch nur bis 19 Uhr bzw. freitags bis 20 Uhr geöffnet. „Das reicht völlig aus für die Kids, die so bis 13 sind […]. Für die älteren Jugendlichen ist es schwierig, weil wenn man halt so 14, 15, 16, 17, 18 ist, will man vielleicht auch ein bisschen später etwas machen. Das können wir nicht abdecken. […] Wir haben zwei volle Stellen im Jugendklub, wir können nicht noch abends abdecken bis 22 Uhr oder bis 23 Uhr.“ Es ist also der sehr knappen Personalbesetzung geschuldet, dass das Jugendhaus nicht häufiger bis in die späten Abendstunden geöffnet hat. Auch in der näheren Umgebung gibt es keine anderen öffentlichen Räumlichkeiten, wo sich Minderjährige abends treffen und abhängen können. Diese Lücke besetzt die „Volksgemeinschaft“ mit Partys und Barbetrieb ebenso geschickt.

Das wenige Personal in den Jugendklubs wirkt sich zusätzlich negativ auf die Betreuungssituation aus, da in die Jugendhäuser viele Jugendliche mit unterschiedlichsten Problemen kommen, die dementsprechend viel Aufmerksamkeit benötigen. Als weitere große Probleme wurden die Bürokratie und Inflexibilität der Stadt von verschiedenen lokalen Akteur*innen angesprochen. So wäre es eigentlich sinnvoll durch die vorhandenen Strukturen weitere Angebote (bspw. im Kampfsportbereich) im Erfurter Südosten zu schaffen, „aber es hat natürlich auch immer ein bisschen was mit Ausstattung und mit Geld zu tun und da steckt generell die Stadt – wie die meisten Städte – lieber Geld in die Prestigeprojekte im Innenstadtbereich und ungern in die Randgebiete. Da, hab ich das Gefühl, kommt halt eher so ein bisschen das Nötigste an. Man müsste halt mehr ausgeben, um was zu erreichen, und nicht immer mit gleich viel mehr erwarten. [Das] funktioniert nicht“, so eine Sozialarbeiterin im Interview.

Gleichzeitig seien bei der „Volksgemeinschaft“ die Hürden für neue Angebote oder Anschaffungen niedriger, weil sie nicht finanziell von der Stadt abhängig ist. Ein weiterer Akteur erklärte, dass die Stadt Erfurt nicht noch mehr Gelder kürzen solle und offener für neue kulturelle Veranstaltungen werden müsse. Bei Jugend- und Sozialarbeiter*innen aus dem Quartier dominiert also das Gefühl, dass die Stadtverwaltung die Lage im Erfurter Südosten nicht ernst nimmt, zu wenig Geld in die städtischen Randgebiete steckt und es den zivilgesellschaftlichen Akteur*innen vor Ort unnötig schwer macht. Neben einem höheren Etat für die vorhandenen sozialen Einrichtungen wäre es außerdem gut, weitere Jugendeinrichtungen im Erfurter Südosten zu schaffen, da „bei der Masse an Jugendlichen und Kindern im Stadtgebiet […] zwei Jugendklubs das nicht abfangen [können]. Das heißt, es gibt automatisch auch wieder Nischenfreiräume.“ Hier ist also definitiv noch Verbesserungsbedarf vorhanden.

Fazit und Ausblick

Mit diesem Artikel endet die Serie zum Einstieg in die extrem rechte Szene am Herrenberg. Es wurde gezeigt, dass ein Zusammenwirken von vielen verschiedenen Faktoren dafür verantwortlich ist, dass das rechte Milieu im Erfurter Südosten so stark vertreten ist und zudem Nachwuchs rekrutieren kann. Es bleibt spannend, wie sich die Lage am Herrenberg weiterentwickeln wird. Wenn die von der Stadt angestoßenen Maßnahmen wirken und der Verein zusätzlich seine Räumlichkeiten verliert, besteht jedoch Hoffnung, dass zumindest im Erfurter Südosten in den nächsten Jahren weniger Kinder und Jugendliche in Kontakt mit der extrem rechten Szene kommen. Auch über Erfurt und Thüringen hinaus bleibt es aber stets wichtig, frühzeitig präventiv tätig zu werden, die Ursachen menschenfeindlicher Ideologie zu bekämpfen und zu intervenieren, auf „dass Auschwitz nicht noch einmal sei“, wie Theodor W. Adorno es einst formulierte.

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