Macht und Differenz, die Norm und die Abnorm sind tief verschränkt innerhalb unserer Gesellschaft. Und sie werden jeden Tag perpetuiert. Ich möchte hier einen kleinen Ausschnitt zeigen. Für manche ist das banal, nicht der Rede wert. Für manche wiederum ist es anstrengend, weil sie tagtäglich damit konfrontiert werden. Und für wieder andere liegt dies so weit außerhalb ihrer eigenen Lebensrealität, dass sie nicht mal einen Gedanken daran verschwenden.
Nicht mein Interesse am Fußball, sondern eher das an alltäglichen Konfrontationen, denen sich die Nicht-in-die-Norm-Passenden stellen müssen, war Anlass für das nachfolgende Interview. Wie ist das als Frau in Erfurt Fußball zu spielen? Dabei soll es weder um den Fußball per se gehen, noch soll irgendeine Form von Bashing, Verriss oder Hetze betrieben werden. Hierbei soll es viel eher um Erfahrungen gehen. Erfahrungen, die spiegeln, womit man sich mitunter auseinander setzen muss, wenn man in gewissen Domänen außerhalb der Norm definiert wird. Wie gesagt, für die einen ist der Mehraufwand erträglich, für andere fühlt es sich nicht nach Mehraufwand an, und wieder manchen fällt er nicht einmal auf. Ich möchte diesen Mehraufwand aber einmal zeigen. Ihn an die Oberfläche bringen, ihn aufdecken und entnormalisieren.
Ich habe mich kurzerhand mit zwei Kommilitoninnen, Line Ladner und Johanna Klipstas, verabredet und ein Gespräch geführt. Beide spielen in Erfurt Fußball – sowohl in der Hochschulliga als auch im Verein. Hier sind ihre Erfahrungen.
Ihr spielt beide in der Hochschulliga Erfurt
Fußball. Trefft ihr da oft auf andere Frauen?
Line: Ich treffe sehr oft auf
Johanna! Ansonsten gibt es vielleicht 3-4 andere Spielerinnen dort. Ich bin mir
nicht sicher.
Johanna: Also Frauen sind relativ
gesehen definitiv in der Minderzahl. Ich glaube so im Vergleich gibt es circa
300 Männer dort.
Wie ist das Verhältnis zu euren männlichen Mit-
und Gegenspielern? Trauen die euch genauso viel zu wie Männern?
Line: Es kommt natürlich immer auf
die individuelle Person an. So insgesamt kann ich sagen, dass die meisten meiner
Mitspieler im Team wissen, was ich kann und mir auch viel zutrauen. Ich fühle
mich grundsätzlich in meinem Team auch echt wohl und bin zufrieden. Was ich
allerdings auch glaube, ist dass ich mir als Frau automatisch mehr Gedanken
darüber machen muss, wie ich als Spielerin auf dem Platz wirke. Dinge, mit
denen sich Männer nicht auseinandersetzen müssen, eben weil sie die Regel
darstellen. Bei manchen Gegenspielern habe ich zum Beispiel das Gefühl, dass
ich aufgrund meines Geschlechts und nicht aufgrund meiner individuellen
Leistung bewertet werde. Ob das tatsächlich so ist, kann ich nicht sagen.
Johanna: In meinem aktuellen Team kann ich mich absolut nicht beklagen. Nur
weil ich eine Frau bin, wird meine Leistung nicht anders angesehen oder mir
weniger zugetraut. Aber ich habe auch schon in anderen Teams gespielt, bei
denen ich durchaus das Gefühl hatte, dass meine Leistung aufgrund meines
Frau-Seins anders eingeschätzt wurde. Aktuell aber wie gesagt gar nicht.
Es gibt also Situationen, in denen ihr das Gefühl
habt, dass ihr aufgrund eures Geschlechts und nicht aufgrund eurer Leistung
beurteilt werdet?
Johanna: Ja, man kann schon öfters
beobachten, dass die Frauen in manchen Teams oft erst dann eingewechselt
werden, wenn das Team schon führt. Und das liegt nicht daran, dass sie
schlechteren Fußball spielen. Line beispielsweise spielt so guten Fußball, wenn
sie dann vom Platz gestellt wird, sobald es brenzlig werden könnte, dann denke
ich schon, dass das aufgrund ihres Geschlechts passiert und nicht aufgrund
ihrer Leistung.
Line: Es passiert auch oft, dass man
gesagt bekommt: „Für ein Mädchen spielst du aber gut Fußball“. Das ist als
Kompliment gedacht, das meint niemand böse und irgendwie freut mich das ja auch.
Aber damit unterscheidet man eben trotzdem qua Geschlecht und schätzt die
Leistung von Frauen im Fußball ganz grundsätzlich schlechter ein als die von
Männern.
Johanna: Ja, ich glaube, dass man im
Fußball auch oft dieser Form von positiver Diskriminierung ausgesetzt ist.
Dieses „Oh, für eine Frau spielst du gut Fußball“ ist nett gemeint, drückt ja
aber auch eine gewisse Art von Andersartigkeit aus. Man findet grundsätzlich
gut, dass Frauen auf dem Platz anzutreffen sind, aber oft wissen Männer einfach
gar nicht, wie sie dann mit denen umgehen sollen. Die sind irgendwie verwirrt
und wissen gar nicht so genau, wie sie sich verhalten sollen.
Hast du ein Beispiel dafür?
Johanna: Ja es gab beispielsweise
mal die Situation, dass ein Typ aus meiner Mannschaft sich nach dem Spiel von
allen verabschiedet hat – alle Jungs haben miteinander so eingeklatscht und vor
mir blieb er dann ganz steif stehen. Nachdem ich ihm gefragt habe, was los ist,
meinte er, er wüsste gar nicht, wie er sich von mir verabschieden solle. Ich
meinte dann „Hä warum? Nur weil ich eine Frau bin?“ und er antwortete darauf „Nein,
nicht weil du eine Frau bist, sondern weil du eine Frau bist, die gut Fußball spielt.“ Also in seinem Kopf
ging das irgendwie nicht zusammen. Vielleicht umarmt er Frauen normalerweise
zur Verabschiedung, keine Ahnung, aber da ich als Frau in seinen Augen sogar guten Fußball spiele, konnte er mich in
seinem Kopf nicht mehr einordnen. Das war von ihm nicht böse gemeint, aber ‚Frauen‘
und ‚guter Fußball‘ sind für ihn zwei Kategorien, die nicht zusammengehören.
Später hat er mir nochmal gesagt, dass er es generell total toll findet, dass
ich als Frau Fußball spiele… Es ist aber einfach krass, dass es teilweise noch
nicht normal ist, dass Frauen Fußball, besser gesagt, guten Fußball spielen.
Männer wissen also manchmal gar nicht, wie sie mit
Frauen auf dem Fußballplatz umgehen sollen. Wie verhaltet ihr euch denn in
gemischten Teams?
Line: Ich glaube, unbewusst spiele
ich schon anders, je nach dem, ob ich mit Frauen oder Männern spiele. Bei
männlichen Gegenspielern gehe ich beispielsweise viel stärker in den Zweikampf
rein. Natürlich ist man da körperlich oftmals unterlegen und man muss sich dann
eben beweisen.
Johanna: Ich denke einfach, dass es notwendig
ist, nicht aufgrund des Geschlechts, sondern hinsichtlich der Stärken und
Schwächen von Spieler*innen zu unterscheiden. Natürlich will ich wie ein Gegner
behandelt werden, aber ich möchte auch fair behandelt werden. Wenn man im
Vergleich zu anderen Spieler*innen beispielsweise körperlich unterlegen ist, muss
man sich gegenseitig anpassen. Es geht eben nicht darum, dass per se keine
Unterschiede gemacht werden sollen: In der Mitte spiele ich beispielsweise sehr
gut, weil ich da eine gute Übersicht habe und nicht so schnell sein muss; wenn
ich dann aber nach außen gestellt werde, weil ich dort wohl weniger Fehler
machen könnte, unterstützt das aber gerade nicht meine Stärken und wirkt eher
prophylaktisch, damit ich dem Team nicht ‚schade‘. Es geht mir also vielmehr um
eine spieltechnische Ausrichtung auf die Stärken der Spieler*innen und um Fairness.
Und vor allem sollten dabei die weiblichen Spielerinnen nicht von vornherein abgewertet
oder eben unterschätzt werden.
Und bekommt ihr öfter das Gefühl, dass das Fußballspielen
von weiblichen Spielerinnen abgewertet wird?
Line: Manchmal schon. Als ich damit
angefangen habe, in der Uniliga zu spielen, habe ich das schon öfters empfunden.
Da kamen ab und zu so Kommentare wie „Du spielst ja gar nicht so scheiße“ oder
„Hätte gar nicht gedacht, dass du so gut Fußball spielst“. Was halt zeigt, dass
die Erwartungen an mich auch schon gar nicht so hoch waren. Ich glaube nicht,
dass männliche Spieler, die dort angefangen haben, sich solche Sprüche anhören
mussten. Allerdings, ist es natürlich auch so, dass es viele cool finden, eine
Frau im Team zu haben und mir auch oft gesagt wird, dass sie gerne mit mir
Fußball spielen. Ich kann da nicht immer so differenzieren, welche Aussagen
oder welches Verhalten auf mein Geschlecht oder auf meine Leistung
zurückzuführen ist. Ich weiß wie gesagt nur, dass ich mir im Gegensatz zu
Männern dazu öfters Gedanken mache, weil sich Männer im Fußball niemals die
Fragen stellen müssen: Feiern die mich jetzt nur aufgrund meines Geschlechts?
Werde ich jetzt vom Platz genommen nur wegen meines Geschlechts? Ich weiß das
selbst ja nicht.
Johanna: Also in meinem aktuellen
Team mache ich wie gesagt relativ wenige Erfahrungen damit, aber ich beobachte,
dass Frauen in anderen Teams überdurchschnittlich oft auf die Bank müssen oder
seltener in der Startaufstellung anzutreffen sind. Oder, dass man sowas hört
wie „Ey, die darf nur rein, wenn wir 3:0 führen“ – und das eben besonders, wenn
das Team sehr gut und der Leistungsdruck hoch ist. Wenn man das als Frau
mitbekommt, ist das echt nicht cool. Einmal haben wir gegen ein Team gespielt,
das in der Unterzahl war. Und anstatt, dass mein Team dann mit geringerer
Personenanzahl spielt, wurde sowas gesagt wie: „Ne, wir spielen weiter mit 8
Leuten, aber die Achte ist ja nur Johanna“.
Und dann gibt es eben auch Männer, die dann ständig Sprüche bringen, die weit
unterhalb der Gürtellinie sind. Und da konnte ich manchmal noch so oft sagen,
dass ich das nicht möchte und auch echt nicht witzig finde. Die sind nicht in
meinem aktuellen Team, aber das sind Leute aus der Uniliga. Da kommen öfters
mal blöde und sexistische Kommentare. Ich hatte auch schon öfters Situationen, in
denen ich mit Typen Fußball gespielt habe und dabei dann ganz normal wie deren
Buddy behandelt wurde, dann bin ich mit ihnen in eine Bar gegangen und prompt wurde
mir an den Arsch gegrabscht.
Das sind Beispiele für Sexismus par excellence,
der meistens von den Übeltätern, manchmal sogar von den Betroffenen selbst,
nicht mal erkannt wird.
Line, du hattest mir auch mal erzählt, dass es allein schon mit Frauenumkleiden
bei der Hochschulliga problematisch ist?
Line: Ja, für Frauen gibt es da
eben keine Umkleiden. Man kann nur die Schiedsrichterumkleide benutzen auf dem
Unisportgelände. Da muss man aber auch erst vorher jemanden fragen, ob die dann
kurz aufgeschlossen werden kann. Wenn man die großen Kabinen benutzen will, werden
die dann auch für einen frei gemacht, auf jeden Fall – aber das dauert dann
eben und ändert auch erstmal nichts daran, dass es für uns Frauen dort einfach
keine Umkleiden gibt.
Johanna: Ja es ist halt einfach
bescheuert, dass es immer mit Aufwand verbunden sein muss, nur um sich mal
umzuziehen. Es geht nicht darum, dass für uns jetzt extra eine Kabine gebaut
werden muss. Aber allein, dass es keine Kabine für uns gibt, signalisiert doch
schon etwas. Wäre wenigstens die Schiedsrichterkabine immer für uns
aufgeschlossen, wäre das schon mal ein Anfang.
Line: Das sehe ich ganz genauso, das
ist einfach nervig. Einmal war ich zum Beispiel spät dran und wollte einfach
nur schnell ein Trikot wechseln. Weil es eben schnell gehen sollte, wollte ich
nicht erst noch nach dem Schlüssel und allem fragen. Ich habe das Trikot dann
einfach schnell auf dem Platz gewechselt und stand vielleicht mal für 20
Sekunden im Sport-BH da. Es gibt Männer, die ziehen sich auf dem Platz bis zur
Unterhose aus – das ist völlig normal. Aber ich hab danach gut Kommentare
bekommen, dass ich das nur für Aufmerksamkeit gemacht hätte.
Johanna: Ja, das ist lächerlich.
Jeder von den Männern kann nach dem Spiel dort ohne Mehraufwand duschen gehen. Es
gibt aber keine Frauenumkleiden und -duschen. Wenn wir dort duschen wollen, ist
das mit Aufwand und Warten verbunden. Aber das fällt denen wahrscheinlich gar
nicht auf, weil sie ja nicht betroffen sind.
Liebe Johanna, liebe Line, vielen Dank für eure
zahlreichen Beispiele! Eine Frage noch zum Abschluss: Spielt ihr Frauenfußball
oder Fußball?
Johanna: Ich spiele Fußball! Es
ist der gleiche Sport mit den gleichen Regeln. Und es heißt ja auch nicht
Männerfußball. Männer spielen nicht Männerfußball, die spielen Fußball. Ich
mache genau die gleiche Sportart wie sie, deswegen: Fußball!
Line: Unterschreib ich so!
Wieso habe ich dieses
Gespräch geführt und verschriftlicht? Weil ich möchte, dass ihr versteht. Das
Thema Feminismus ist aus meinem Alltag nicht mehr wegzudenken. Verstehst du es
einmal, siehst du vermachtete Strukturen überall. Überall. Das ist manchmal
lästig. Und ich weigere mich, zu akzeptieren, dass die große Masse diese
Strukturen nicht sieht, nicht sehen will oder nicht versteht. Natürlich gibt es
extremere Beispiele als das oben gewählte. Aber darum geht es nicht. Das
Patriarchat fängt im „Klein-Klein“ an, zieht langsam seine Kreise und „meint es
oft nicht böse“.
Ich möchte hiermit beispielhaft Perspektiven aufzeigen von denjenigen, die
nicht die Norm darstellen. Deren Geschichten sollten besonders von Menschen
gehört werden, die für gewöhnlich von den bestehenden Strukturen profitieren. Ich
fordere deswegen nicht einfach nur Verständnis. Ich fordere Empathie – und zwar
für alle, die ganz allgemein in irgendeiner Art und Weise vom bestehenden
sozialen und kulturellen, politischen und rechtlichen System und dessen
Strukturen benachteiligt werden. Für diese Empathie muss man verstehen können.
Das erfordert zumindest den Willen, auch etwas verstehen zu wollen.