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Über Privilegien, Solidarität und Rassismus im Alltag – Ein Interview mit Arpana Aischa Berndt

Erfurt mag aktuell noch ein wenig stiller stehen als sonst – das gibt uns jedoch die Möglichkeit, uns Themen zu widmen, die wir sonst vielleicht in einem lokaleren Kontext diskutieren würden. Rassismus und Diskriminierung gehören nicht zur Risikogruppe des Coronavirus und ziehen deshalb weiter munter um die Häuser. Wir dürfen sie nicht vergessen – gerade jetzt nicht, wo Menschen sich nicht begegnen und Kulturen sich deshalb vielleicht für eine Zeit nicht in dem Maße näher kommen können, in dem wir uns das wünschen würden. Im Gegenteil: Menschen werden im Kontext des Virus aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert.

Diejenigen, die sich gegen die Vielfalt und Diversität von Menschen stellen, finden in ihren Weltvorstellungen und Positionen seit einigen Jahren zunehmend Zuspruch in der Öffentlichkeit. Dabei haben populistische Aussagen und besonders rechtspopulistische Kräfte als großer Gegenentwurf zur freiheitlichen Gesellschaftsordnung längst Einzug in unsere politische Landschaft gehalten.

Gleichzeitig sind diskriminierende und rassistische Erfahrungen für viele Menschen in Deutschland Alltag. Gerade jetzt im Kontext der aktuellen Krise sollte auch eine Aussprache zum Thema Rassismus stattfinden, da Menschen aufgrund ihres Aussehens verstärkt mit Menschenfeindlichkeit begegnet wird. Der 21. März als alljährlicher internationaler Tag gegen den Rassismus macht erneut aufmerksam auf eine Thematik, die im gesellschaftlichen Diskurs tief verankert ist. Als solidarische Aktion mit den Gegnern und Opfern von Rassismus verdeutlicht dieser Tag, dass Solidarität mit den Mitmenschen wieder in den Vordergrund rücken muss; dass jedem Menschen die gleiche Unterstützung und der gleiche Respekt zu Teil werden sollte und gerade jetzt der Zusammenhalt der Gesellschaft gefordert ist. Rassismus und Ausgrenzung sollte kein Raum gegeben werden. In Zeiten wie diesen sollte Solidarität als Antwort auf Angst und Hysterie gelten.

Wie kann ich mich also mit Menschen, die Diskriminierungserfahrungen erleben, solidarisieren und diese auch in meinem alltäglichen Leben unterstützen?

Mit diesen Themen kennt sich Arpana Aischa Berndt nur zu gut auf – Wir haben ihr ein paar Fragen gestellt – und sie hat uns geantwortet.

Arpana Aischa Berndt ist Autorin und in der politischen Bildungsarbeit tätig. Sie ist außerdem Communitymanagerin des Langspielfilms NO HARD FEELINGS von Jünglinge. Arpana studiert Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim und veröffentlicht Kurzgeschichten, Artikel und Podcasts online, in Zeitschriften und Anthologien. In ihren Workshops behandelt sie Fragen zu Allyship, Allianzen und Rassismuskritik und Intersektionalität. Seit 2020 sind einige der Workshops auch digital verfügbar.
Instagram: @a_aischa

Liebe Arpana, wenn du dich selbst mit einem Satz beschreiben müsstest, wie würde dieser Satz lauten?

Ich habe gegoogelt, wie ich mich in einem Satz beschreiben kann – vielleicht beschreibt mich das ganz gut.

Du hast sicherlich einige Erfahrungen mit Aussagen machen müssen, die dir vor allem außenstehende Personen zugeschrieben haben. Wie gehst du mit diesem Labeling um?

Schon als Kind wollte ich immer auf Fremdzuschreibungen und Beleidigungen reagieren. Diese Reaktionen waren immer sehr unterschiedlich und sind es noch immer, weil es auf die jeweilige Situation ankommt. Ich war ein schlagfertiges Kind, manchmal habe ich selbst direkt darauf geantwortet. Aber da ich nicht verstanden habe, dass Rassismus ein gesellschaftliches Problem ist, dachte ich insgeheim immer, es wäre etwas falsch an mir. Da konnten meine Eltern mir erzählen, was sie wollten: Ich machte das Problem an meinem Aussehen fest und nicht an den rassistischen Denkweisen der Anderen. Meine Mutter hat viele Gespräche mit Klassenlehrer*innen geführt, wenn mich Mitschüler*innen beleidigt oder getreten oder mit Schulleiter*innen, wenn mich Lehrer*innen ungerecht behandelt haben. Später habe ich vieles mit Humor zu verdecken versucht – wenn ich den rassistischen Witz zuerst mache, konnte immerhin niemand anders den mehr machen. So habe ich mich versucht zu schützen. Rassismus ist aber auch sehr subtil, deshalb ist es ja auch so mächtig, tatsächlich habe ich ganz vieles erst später verstanden. Sobald ich besser verstanden habe, was Rassismus und andere Diskriminierungsformen sind, war es mir wichtig, meine Diskriminierungserfahrungen als solche zu benennen. Das führt aber meistens zu ermüdenden Diskussionen, weil sich die Situationen ständig wiederholen und ich diejenige im Gespräch bin, die sich zum Thema informiert hat ­– mich aber auch verteidigen muss, weil mir meine Erfahrungen abgesprochen werden.


Ich habe Instagram dann als Möglichkeit genutzt, auf Erfahrungen zu reagieren, ohne das direkt in der Situation selbst zu tun. Für mich ist es hilfreich, einzuordnen was mir passiert, die Strukturen dahinter zu verstehen und es irgendwo festzuhalten. Dann muss ich keine kräftezehrenden Diskussionen in der Bahn oder auf einer Party führen, kann meine Gedanken dazu loswerden, und im Idealfall liest es eine Person, die daraus für ihr eigenes Handeln etwas lernt. Für mich ist Schreiben die beste Form der Selbstermächtigung, deshalb bin ich Autorin geworden. In der politischen Bildungsarbeit bin ich seit 2015, seit zwei Jahren liegt mein Fokus auf der Frage nach Allianzen und Verbündeten: Wie können Menschen, die von unterschiedlichen Diskriminierungsformen betroffen sind, sich gegenseitig unterstützen? Die Workshops, die ich am liebsten gebe, sind der „How to be an Ally?“-Workshop gemeinsam mit Maja Bogojević und „Let’s talk about Alliances“ mit Mine Wenzel.

Dabei haben viele Menschen, ähnliche diskriminierende Erfahrungen machen müssen, aufgrund dessen, wie sie von anderen Personen gelesen werden. Was ist für dich am wichtigsten im Umgang mit Rassismus?

Mir ist es wichtig, dass es ein Bewusstsein dafür gibt, dass alle Rassismusbetroffenen unterschiedliche Erfahrungen machen und auch unterschiedliche Bedürfnisse im Umgang mit diesen haben können. Was mir hilft, muss anderen nicht helfen. Meine Schwester ist im gleichen Kontext wie ich aufgewachsen und bekommt ähnliche Fremdbezeichnungen zugeschrieben. Dennoch sehe ich Unterschiede in den Erfahrungen und im Umgang damit.  Unsere Auseinandersetzung damit wandelt und entwickelt sich weiter. Es werden sehr oft alle Rassismusbetroffenen (in diesem Interview meine ich damit nur diejenigen, die negativ von Rassismus betroffen sind) gleichgesetzt und das ist Teil des Problems. Und mir ist es natürlich wichtig, dass deutlich wird, dass wir alle rassistische Denkweisen verinnerlicht haben, weil wir eben mit diesen sozialisiert wurden. Deshalb ist der erste Schritt immer, sich selbst zu hinterfragen.

Wenn mir Freund*innen, Bekannte oder Kommiliton*innen von ihren persönlichen diskriminierenden Erfahrungen erzählen, habe ich oftmals das Gefühl nicht entsprechend auf diese Situation reagieren zu können. Wie kann ich in solchen Momenten genügend Unterstützung anbieten?

Um das besprechen zu können, wäre es hilfreich, ganz konkret die Situationen durchsprechen zu können. Die Frage ist: Wie sieht die Situation ganz genau aus? Damit meine ich zum einen die Erfahrung, die dein*e Freund*in erlebt hat, aber auch die Situation, in der sie dir das erzählt. Wer spricht da mit wem? Wer ist noch anwesend? Wenn ich einer anderen Rassismusbetroffenen von meinen Erfahrungen erzähle, kann diese ganz anders damit umgehen als eine weiße Person, schließlich kann sie meine Erfahrung zumindest nachvollziehen. Alle Erfahrungen und Begegnungen sind ganz individuell, deshalb gibt es da kein Geheimrezept, sondern nur die Möglichkeit diese versuchen zu dekonstruieren. Der Fokus in allen Situationen sollte aber immer auf den Bedürfnissen der betroffenen Person sein. Diese lassen sich nicht erraten, sondern nur erfragen oder durch Angebote wie „Würde dir helfen, wenn wir darüber in Ruhe reden?“  ertasten.

Was bedeutet für dich persönlich Allyship?

Allyship bedeutet im Kontext von Rassismus, dass zum Beispiel weiße Personen Verbündete für diejenigen sind, die negativ von Rassismus betroffen sind. Verbündete sein heißt eben, die Interessen und Bedürfnisse der betroffenen Person in den Fokus zu setzen, und die müssen sich nicht decken mit den eigenen Bedürfnissen. Es kann zum Beispiel für eine weiße Person sehr sinnvoll erscheinen, das rassistische Handeln einer Person in einer Situation auszudiskutieren. Vielleicht möchte das auch die betroffene Person, vielleicht will aber auch die betroffene Person einfach so schnell wie möglich aus dieser Situation verschwinden und braucht dabei Unterstützung. Vielleicht braucht die Person auch gar keine Unterstützung und kommt auch sehr gut selbst zurecht. Aber sowas lässt sich ja nicht erahnen, deshalb ist hier Kommunikation sehr wichtig. Allyship im Kontext von Rassismus heißt für mich zum Beispiel, auch als Verbündete für Menschen zu handeln, die von Anti-Schwarzen-Rassismus und/oder antimuslimischen Rassismus oder Antisemitismus betroffen sind, weil diese Diskriminierungsformen keine negativen Auswirkungen auf mich haben. Kompliziert wird es dann, wenn andere Diskriminierungsformen zu beachten sind, weil sie sich überschneiden.  Deshalb beschäftigen Mine Wenzel und ich uns auch mit der Frage nach Allianzen: Wie können wir als Menschen, die von unterschiedlichen Diskriminierungsformen betroffen sind, miteinander solidarisch sein?

Wie du bereits erwähnt hattest, haben wir alle (oft unbewusste) rassistische Denkmuster verinnerlicht. Wie können hier die eigenen Privilegien hinterfragt, diskriminierende Strukturen erkannt und auch durchbrochen werden?

Um anzufangen, finde ich es hilfreich, sich einfach mal aufzuschreiben, in welchen Diskriminierungsdimensionen – zum Beispiel in Bezug auf Rassismus, Sexismus, Ableismus – man Privilegien hat. Wenn wir uns nicht damit auseinandersetzen, werden uns die Privilegien ja gar nicht bewusst, weil uns im Alltag die Aspekte viel schneller auffallen, die negative Auswirkungen auf unser Leben haben. Wenn eine Person sich ihr Leben lang nicht mit Rassismus auseinandersetzen muss, dann vermutlich, weil sie keine Einschränkungen oder Benachteiligungen auf Grund von Rassismus erlebt hat – das ist ein Privileg. Diskriminierende Strukturen zu erkennen ist Übungssache. Je mehr ich mich damit beschäftige, desto mehr fällt mir auf. Und es ist auch sehr spannend, sich damit auseinanderzusetzen, weil ich mich, mein Umfeld und die Gesellschaft besser verstehen lerne. Deshalb ist mein Tipp: Nutzt vielfältige Bildungsangebote von Expert*innen zu den jeweiligen Themen. Es reicht nicht, ein Buch zum Thema zu lesen, sondern ihr müsst versuchen, verschiedene Perspektiven nachzuvollziehen. Es braucht ja auch immer ein bisschen Zeit, um Gelerntes zu verarbeiten. Dein zweiter Antirassismus-Workshop wird ganz anders sein als dein erster, weil dich dann ganz andere Fragen beschäftigen und sich dein Wissensstand erweitert hat. Es ist also sinnvoll, sich immer weiter zu bilden.

Apropos weiterbilden: Kannst du Informationsquellen, Autoren und Bücher oder auch Webseiten nennen, um sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen?

Als Einstieg empfehle ich immer „Exit Racism“ von Tupoka Ogette und „Deutschland Schwarz Weiß“ von Noah Sow. Die Bücher sind großartig und sehr zugänglich. Und dann gibt es unzählige weitere Bücher „Why I’m No Longer Talking to White People About Race“ von Reni Eddo-Lodge zum Beispiel. Auf Instagram machen @ffabae und @nowhitesaviours sehr viel Bildungsarbeit, und den Ted Talk von Chimamanda Ngozi Adichie muss man gesehen haben. Der Diaspor.Asia – Podcast behandelt unterschiedliche Diskriminierungsformen und Empowerment.

Im Rahmen deiner politischen Bildungsarbeit führst du Workshops wie „How to be an Ally?“ durch. Welches Ziel verfolgt der Workshop und inwiefern ist es möglich, danach die Rolle eines Ally einzunehmen?

Ich würde nicht sagen, dass man nur Ally sein kann, wenn man einen Workshop besucht hat – und schon gar nicht, dass man als Ally aus unserem Workshop kommt. Ich werde aber öfter gefragt, ob ich die Inhalte unserer Workshops mal kurz und knapp bereitstellen könnte, damit Verbündete wissen, wie sie handeln müssen. Tatsächlich kommen sehr oft Menschen in die Workshops und wünschen sich Tipps und Tricks knapp zusammengefasst, fast schon einen Leitfaden. So einen Leitfaden fände ich aber gefährlich – weil, wie ich oben schon angedeutet habe, immer ganz unterschiedliche Faktoren in Situationen eine Rolle spielen, die es alle zu beachten gilt. Es macht einen Unterschied, ob eine Situation im öffentlichen Raum stattfindet, wie in der Bahn oder Bar, oder in einem privaten Raum, wie einer Geburtstagsfeier oder beim gemeinsamen Abendessen mit den Mitbewohner*innen. Wo findet die rassistische Situation statt? Wer ist daran beteiligt? Was wird genau getan oder gesagt? Welche gesellschaftlichen Positionen haben die einzelnen Beteiligten in der Situation?  Ist es Tag oder Nacht? Wie ist die Beziehung zu der betroffenen Person? All diese Faktoren und noch weitere haben Auswirkungen darauf, welche Handlungsoptionen sich in der jeweiligen Situation ergeben. In allen Workshops, die ich gebe, spreche ich nur Situationen durch, die ich auch erlebt habe, bzw. in den Workshops mit meinen Kolleg*innen auch ihre oder gemeinsame Erfahrungen. Die kennen wir am besten und können tatsächlich auch sagen, was wir uns in der jeweiligen Situation gewünscht hätten. In den Workshops geht es darum, dass sich die Teilnehmer*innen Handlungsmöglichkeiten selbst erarbeiten, lernen über die unterschiedlichen Faktoren nachzudenken und vielleicht Aspekte zu erkennen, die sie vorher übersehen haben. Tatsächlich möchten wir dieser Idee eines Leitfadens entgegenwirken. Es ist gut, wenn die Teilnehmer*innen etwas verunsicherter sind, weil eine minimale Veränderung der Situation auch andere Handlungsoptionen ermöglicht. Jede*r Teilnehmer*in erarbeitet auch, wie sie selbst in den jeweiligen Situationen handeln könnte – und je nachdem, welche gesellschaftliche Positionierung die Teilnehmer*innen haben, ist das auch immer unterschiedlich. Deshalb bin ich vorsichtig, hier beispielhaft eine Situation durchzusprechen, weil jede*r Leser*in dieses Interviews auch andere Handlungsmöglichkeiten hat. Ich möchte nicht, dass unhinterfragt irgendwelche Regeln befolgt werden, die ich formuliere. Ich wünsche mir, dass Allys lernen, strukturellen Rassismus und die Situationen, in denen sie Rassismus wahrnehmen, zu verstehen.

Ich danke dir vielmals, dass du dir Zeit genommen hast, meine Fragen zu beantworten!

Titelfoto: ©Fritzi Schwarzbauer, @photosbyfritzi

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