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Kein Foto für Herrn K.

Im Folgenden lest ihr unsere Einordnung zu den Ereignissen letzten Freitag. Unten angehängt ist in voller Länge die Stellungnahme von Ronny Lessau, die er uns gegenüber abgegeben hat.

Fünf Monate sind scheinbar reichlich Zeit, um zu vergessen. Wer erinnert sich schon noch, was Anfang Februar passierte? Und was für Konsequenzen wir alle daraus ziehen wollten? Zur Erinnerung (für uns alle): Am Nachmittag des 5. Februar 2020 ließ sich der FDP-Politiker Thomas K. L. Kemmerich mit Stimmen der AfD und CDU zum Ministerpräsidenten von Thüringen wählen. Kemmerich trat kurz darauf als Folge des öffentlichen Drucks und politischen Zwangs seiner Vorgesetzten wieder zurück und ist seitdem in breiten gesellschaftlichen Teilen geächtet als derjenige, der den großen „Dammbruch“ verursachte, Höcke die Hand schüttelte, seine Blumen vom Boden kratzen musste. Für uns als UNGLEICH magazin ist und bleibt ganz klar: Kemmerich hat sich in jeglicher Hinsicht disqualifiziert, sein Verständnis von Demokratie ist ungesund und gefährlich. Das lässt sich nicht nur an den Ereignissen im Februar festmachen, sondern auch jüngst durch seinen Marsch auf einer Corona-Demo Schulter an Schulter mit der AfD, von seinem Stadtratsmandat mal ganz zu schweigen. Es gilt weiterhin dagegenzustehen.

(v.l.n.r.) Kemmerich, Baum und Lessau.
Screenshot eines Beitrags der Facebook-Seite von Thomas L. Kemmerich.

Einer, der das scheinbar nicht ganz so ernst nimmt oder zumindest kurz vergessen hat, ist Ronny Lessau, Inhaber der Kreativtankstelle. Letzten Freitag eröffnete er mit großem Trubel, viel Andrang und guter Stimmung das neue Biergarten-Projekt am Stadtgarten. Ebenfalls zugegen dort war Thomas Kemmerich – vielleicht der Mann mit dem höchsten Wiedererkennungswert in Thüringen (und als Präsident des Erfurter Karnevalsvereins bekanntlich ja auch mit seismographischem Gefühl für gute und angesagte Kultur). Inwieweit Herr K. nur ein paar patriotische Biere zischen wollte oder immer noch der Öffentlichkeit nicht ganz satt geworden ist, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit beantworten. Zu beobachten war jedoch: Kemmerich und Ronny Lessau unterhielten sich länger angeregt, dem Politiker wurden Getränke gebracht. Und es entstand ein Foto, zusammen mit der FDP-Politikerin Franziska Baum, welches von Kemmerich noch am Freitag bei Facebook gepostet wurde.

Nach einem öffentlichen Aufschrei baten wir Ronny Lessau um eine Stellungnahme. Auf unsere Anfrage, wie das Bild zustande gekommen sei, schreibt Ronny, er sei zu zwei Gratulanten geführt worden, von denen einer Kemmerich war, was er vorher nicht gewusst habe. Gegen ein „nettes Dankesfoto zur Überreichung dieser Geschenkekiste“ habe er im ersten Moment nichts einzuwenden gehabt. Eine Klarstellung, wofür das Foto benutzt werden würde, habe es nicht gegeben. Über die Instagram-Seite der Kreativtankstelle betonte er, wie wichtig es ihm sei, in einer Demokratie weiterhin miteinander im Gespräch zu bleiben. Auf Nachfrage, worum es denn im Gespräch mit Herrn Kemmerich gegangen sei, schreibt Ronny, dass es nur ein sehr kurzes Gespräch ohne politischen Inhalt gewesen sei. Doch für ein gelebtes demokratisches Miteinander braucht es doch politische Streitgespräche – und nicht Smalltalk und ein nettes Foto.

Widerspricht Ronny Lessau sich nicht damit selbst? Er betont ferner, wie wichtig ihm Vielfalt, Toleranz und ein offenes Miteinander seien und dass er mit dem Stadtgarten und der Kreativtankstelle auch in Zukunft genau dafür stehen wolle. Das ist mit der Erfahrung aus den bisherigen Projekten von WirGarten, Kreativtankstelle und Stadtgarten auch durchaus zu erhoffen. Am letzten Freitag ließ er jedoch davon ab, den eigenen politischen Versprechungen Taten folgen zu lassen, sich ganz klar zu positionieren und Kemmerich Handschlag und Foto zu verweigern.

Eine erste kurze Stellungnahme von Ronny Lessau am Montag den 6. Juli 2020 via Instagram.

Ronny hat Recht mit der Sorge und dem Unmut, dass so ein Foto viel Positives überschattet. Deswegen sei die Arbeit der Helfenden bei der Stadtgarten-Eröffnung an dieser Stelle ganz ausdrücklich gelobt, sie sollten nicht vergessen werden. All das ändert jedoch absolut nichts an dem unüberlegten Fehltritt, den er sich als Einzelner geleistet hat. Den in vollem Maße anzuerkennen und sich von Kemmerich konkret zu distanzieren, ist Ronny noch schuldig geblieben. Nun ist Kemmerich nicht Höcke und der Stadtgarten 2.0 wird morgen auch nicht zum AfD-Stammtisch. Doch sollte man aus dieser Aktion lernen und das nächste Mal zwei Mal nachdenken, bevor man sich mit Herrn K. ablichten lässt, ihm vielleicht auch mal sagen, dass man alles scheiße findet, was er macht und jegliche Geschenke ablehnen – auch wenn das erstmal unangenehm sein mag.

Für uns als UNGLEICH magazin bleibt klar: Mit Steigbügelhaltern wird nicht gekuschelt und erst recht kein Bier getrunken. Wer nun den Stadtgarten mit seiner Abwesenheit straft, kann das natürlich tun, das ist euer gutes Recht. Fakt ist aber auch, dass das gesamte Team des Stadtgartens viel dafür gibt, Erfurt ein Stück weit lebenswerter zu machen. Das sollte, trotz der Aktion von Ronny Lessau am Freitag, nicht vergessen werden.

Die ausführliche schriftliche Stellungnahme von Ronny Lessau vom 07. Juli 2020:

Christian Seidel (GF Agentur Samt und Seidel), der für uns als KreativTankstelle bereits mit Dienstleistungen seiner Kreativagentur tätig war und der mit dem Thüringer Landtag eine Demokratie Kampagne umgesetzt hat, bei der wir ebenfalls Unterstützer waren, kam auf mich zu, um mich zu zwei Gratulanten zu führen. Um wen es sich dabei handle, sagte er nicht. Zu diesem Zeitpunkt hatten uns bereits sehr viele Menschen zur Eröffnung gratuliert, darunter auch weitere Vertreter anderer Parteien. Als ich zur Konzertmuschel kam, traf ich auf Franziska Baum, welche ich noch als Ansprechpartnerin verschiedener Gründerprojekte aus ihrer Zeit bei THEX Mentoring hier in Erfurt kannte.  Dass die zweite Person Herr Kemmerich war, hatte ich in diesem Moment noch nicht realisiert. Da es sich bei dem Gastgeschenk um das Bier einer lokalen Erfurter Brauerei handelte, das wir auch im Portfolio haben, hatte ich für ein nettes Dankesfoto zur Überreichung dieser Geschenkkiste im ersten Moment nichts einzuwenden.

Der Zweck und die Verwendung dieses Fotos wurden weder mit mir abgestimmt, noch freigegeben, auch in unserem kurzen Gespräch danach nicht. Ich hätte mein Einverständnis auch nicht erteilt.

Bei dem Gespräch ging es vorrangig um den verwandelten Ort Stadtgarten 2.0 und Gründerkultur allgemein. Das Gespräch dauerte nur wenige Minuten und hatte keine politischen Inhalte.

Unser Anspruch war es, und wird es auch immer sein, einen Ort für Begegnungen zu schaffen und niemanden dabei auszugrenzen. Aus diesem Antrieb heraus sind Toleranz, Vielfalt und ein offenes Miteinander Werte, die jeder im Stadtgarten 2.0, inklusive mir, lebt und für die er auch öffentlich einsteht  da spreche ich einmal stellverstretend für alle in meinem Team.

Grundsätzlich haben wir immer gesagt, dass Demokratie auch bedeutet, Menschen die Tür nicht vor dem Gesicht zuzuschlagen, sondern zuerst mal allen die Möglichkeit auf Teilhabe zu geben, solange sie die freiheitlich demokratische Grundordnung wertschätzen. Auch diskriminierende oder verachtenden Symbole bzw. Äußerungen tolerieren wir nicht. Wir möchten aus dem Grund darauf hinweisen, dass wir keine Aushängeschilder für politische Parteien sind und den Tag der Eröffnung in keiner Weise zur politischen Positionierung nutzen wollten. Insofern hoffen wir, dass wir diese Botschaft nun auch auf diesem Wege noch einmal etwas tiefgreifender vermitteln dürfen.

Als Sachse und Ur-Dresdner kenne ich die politische Situation in diesen Regionen ganz gut und bin der Meinung, dass sich viele Probleme ohne zu reden nicht lösen lassen, sondern sich nur verschärfen werden. Dennoch sind für mich rechte Positionen und Weltanschauungen an sich indiskutabel und werden entsprechend auch im Stadtgarten keine Plattform finden.

Ein Satz zum Schluss. Mir tut es wahnsinnig leid für all die fleißigen Helfer und Akteure des Stadtgarten 2.0, dass ein kurzer unbedachter Moment meiner Person alles Weitere derart überschattet. Dennoch freue ich mich auf die zahlreichen Anlässe und Begegnungen der nächsten Zeit, die uns hoffentlich die Chance geben, zu zeigen, wie weltoffen und tolerant der Stadtgarten 2.0 und sein Team sind.

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