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Sexualisierter Machtmissbrauch an der Uni Erfurt

Die Universität Erfurt stand in den letzten Tagen nicht selten in den Schlagzeilen. Der Grund: ein Urteil im Fall eines Professors an der philosophischen Fakultät, der sich Studentinnen sexuell angenähert hatte. 

Das UNGLEICH magazin schließt sich hiermit der Forderung an, gegen das Urteil des VG Meiningen zur sexuellen Annäherung eines Professors gegenüber Studentinnen, Berufung einzulegen. Wir verurteilen den Missbrauch der Machtposition des Professors scharf.

Im Folgenden soll es darum gehen, wie sich die Uni Erfurt dem Fall gegenüber positioniert, wie sie die mögliche Rückkehr des Professors an die Universität bewertet und wie die Handlungsmöglichkeiten der Studierendenschaft aussehen. Zunächst ein paar Informationen zu dem Fall: Im Jahr 2016 wandten sich mehrere Studentinnen an das Antidiskriminierungsbüro der Universität, um gegen den Professor der Wissenschaftsphilosophie Beschwerde einzureichen, da diesem vorgeworfen wurde, sich mehreren Studentinnen sexuell angenähert zu haben und somit seine Machtposition missbraucht zu haben. Nachdem das Thema über ein Jahr lang ausschließlich universitätsintern untersucht wurde, kam es erst im Dezember 2017 nach Empfehlung der Uni zur Beurlaubung des Professors durch das Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und digitale Gesellschaft (TMWWDG), da dieses der offizieller Arbeitgeber des Professors ist. Die Universität Erfurt fungiert hier lediglich als Einsatzstelle für den Beamten. Das Ministerium erhob Anklage gegen den  Professor.

2019 beschloss das Amtsgericht Erfurt dann wegen Vorteilsannahme in zwei Fällen und versuchter Nötigung eine Strafe von 200 Tagessätzen zu 117 Euro gegen den beschuldigten Professor, d.h. eine Geldstrafe von 23.400 EUR. Das zuständige Ministerium beantragte mit einer Disziplinarklage, den Professor aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Vorgeworfen wird ihm “sexuell motivierte Annäherung an Studentinnen” und sexueller Kontakt zu einer der Studentinnen (vgl. VG Meiningen). 

Am 29.10.2020 beschließt das Verwaltungsgericht Meiningen schließlich lediglich eine Gehaltskürzung von 20 Prozent über einen Zeitraum von 30 Monaten. Der Professor behält vorerst seinen Beamtenstatus und könnte somit weiterhin an der Uni Erfurt lehren. 

Das VG Meiningen begründet seine Entscheidung damit, dass die “Suche nach Sexualkontakten” noch kein Grund zur Aufhebung des Beamtenstatus sei und die Studentinnen darüber hinaus “keine Schutzbefohlenen” mehr seien. Deshalb sind “sexuelle Kontakte zwischen an einer Hochschule tätigen Lehrenden und Studierenden ohne Verletzungen der Dienstpflichten denkbar”. Im Einzelfall könne dann bewertet werden, ob der Professor übergriffig gehandelt habe.

Am 7.11.2020 veröffentlicht das VG Meiningen eine weitere Pressemitteilung, um falsch dargestellte Sachstände in der Presse richtig zu stellen. Demnach wird dem Professor   nicht vorgeworfen ”sexuelle Dienste bzw. Handlungen im Gegenzug für bessere Noten gefordert oder erlangt zu haben”. Der Gegenstand der Disziplinarklage sind “zwei in seinem Dienstzimmer geführte Gespräche mit einer Studentin, in der er diese aufgefordert habe, mit ihm eine sexuelle Beziehung zu beginnen, in einem Gespräch verknüpft mit einem Hinweis auf seine Position als Professor. Und ein einvernehmlicher sexueller Kontakt mit einer Studentin in seinem Dienstzimmer, der auf seine Initiative zustande gekommen sein soll. “ 

Bei sexueller Annäherung  von Professor*innen spielt immer die überlegene Machtposition und ihr Missbrauch eine Rolle, auch wenn dabei nicht wortwörtlich bessere Noten angeboten wurden, wie in regionalen sowie überregionalen Medien behauptet wurde. Der “Hinweis auf seine Position als Professor” lässt die Interpretation offen für Nötigung und Machtmissbrauch. Wir beachten es als äußerst kritisch, dass Aspekte des Machtmissbrauchs in dem Urteil des VG Meiningen außen vor gelassen werden. Darüberhinaus wird auch nicht klar, warum die Verurteilung wegen Vorteilsannahme durch das Amtsgericht Erfurt nicht in dem Urteil des VG Meiningen beachtet wird.

Und was sagt die Uni dazu? 

Der Präsident der Uni Erfurt nahm in der letzten Sitzung des StuRas dazu Stellung. Er zeigte sich bedacht, deutlich zu machen, dass die Universität in der Frage der Anstellung des Professors  keine Zuständigkeit hat, da sie nicht der rechtliche Arbeitgeber ist. Der Beamtenstatus eines Professors kann nur durch das zuständige Gericht aufgehoben werden. Es scheint offensichtlich zu sein, dass die Uni Erfurt diesen Professor nicht zurückhaben will und solch Verhalten klar verurteilt. 

Das Wissenschaftsministerium kann noch Berufung einlegen, da das Urteil noch nicht rechtskräftig ist.  Dafür gilt es aber zunächst, die schriftliche Urteilsbegründung abzuwarten. Die Uni Erfurt wünsche sich, dass das Ministerium die Chancen prüfe, Berufung gegen das kommende Urteil einzulegen.

Der Präsident sprach auch die nicht unwahrscheinliche Situation an, dass das Urteil rechtskräftig wird. In diesem Fall hat die Universität keine andere Wahl, als dafür zu sorgen, dass der Professor wieder an seinen Arbeitsplatz zurückkehren kann. Der Präsident zeigt sich hier zum jetzigen Zeitpunkt noch ein wenig überfordert, zu erklären, wie das funktionieren könnte. Seiner Meinung nach wäre es die einzige Möglichkeit, die Ereignisse so offen und transparent wie möglich anzusprechen. Das bedeutet, dass der Professor sich offen gegenüber der Uni erklären und mögliche Fragen beantworten müsste. Zudem sollte garantiert werden, dass dieser Professor, zumindest für eine längere Zeit, keinen 1:1-Situationen mit Studierenden ausgesetzt wird. Leider wäre es in dem Fall der Rückkehr nicht möglich, ihn von der Lehre abzuziehen und in eine reine Forschungsprofessur zu setzen, da eine solche Entscheidung einerseits nur vom Ministerium getroffen werden könnte und andererseits vorausgesetzt sein müsste, dass es keine Nachfrage nach Lehrpersonen gäbe (und die gibt es eigentlich immer). 

Schließlich forderte der Präsident Bauer-Wabnegg auch den StuRa (und alle anderen Studierende) auf, sich laut und deutlich zu dem Fall zu äußern und öffentlich die Position zu vertreten, die die Universität aus politischen Gründen in diesem Umfang nicht einnehmen könne. 

Das Urteil des VG hält die Annäherungsversuche für “denkbares Verhalten” und beachtet dabei nicht, dass sich Studierende IMMER in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den Lehrenden befinden, die sie benoten. Immerhin können Professor*innen den weiteren Studienverlauf und potenziell auch die weitere Berufslaufbahn maßgeblich beeinflussen. Das akademische und universitäre Milieu ist von hierarchischen und patriarchalen Strukturen noch immer stark geprägt. Patriarchale Strukturen werden dadurch bestärkt, dass der Frauenanteil der Professor*innen nur bei 26 % liegt (Stand 2019). Die Strukturen im universitären Umfeld begünstigen natürlich auch, dass die verhältnismäßig große Macht von Professor*innen gegenüber ihren Studierenden und wissenschaftlichen Mitarbeitenden ausgenutzt werden kann. Das Urteil reflektiert unserer Meinung nach nicht das bestehende Abhängigkeitsverhältnis und Machtgefälle und den Machtmissbrauch, den eine Annäherung wie die vom Professor darstellt. Das geringe Strafmaß zeigt vielmehr, dass dieser sexuelle Machtmissbrauch noch immer teilweise toleriert wird und wie schwer es ist, Professor*innen für ihre Taten zu belangen. 

Wir als ungleich MAGAZIN finden es überaus wichtig, dass dieses Verhalten des Professors klar verurteilt wird und Konsequenzen daraus resultieren, denn Fälle von Missbrauch einer Machtposition und auch von Sexismus sowie sexualisierter Gewalt sind leider keine Einzelfälle an Universitäten und Hochschulen. Sie sind strukturelle Probleme, die auch mit rechtlichen Urteilen, sowie mit hochschulinternen Maßnahmen und öffentlichen Diskussionen angegangen werden müssen. Dass ein Professor seine Position ausnutzt, um sich Studentinnen sexuell anzunähern und dann auch noch auf seine Machtposition hinweist überschreitet, angesichts des Abhängigkeitsverhältnisses und der ungleichen Machtverhältnisse, in dem sich Studierende und Lehrende befinden, eine klare Grenze. Die Taten und Urteile müssen allseits bekannt sein und sollten auch dafür genutzt werden, für die Themen Sexismus sowie sexualisierte Gewalt und die scheinbar fast unantastbare Machtposition von verbeamteten Professor*innen an Universitäten mehr zu sensibilisieren und mögliche Maßnahmen zu diskutieren. An der Universität Erfurt habe man daher als Konsequenz aus den Erfahrungen nun eine “Richtlinie zum Schutz gegen Diskriminierung, Belästigung und Gewalt” erarbeitet, Beschwerdestrukturen überarbeitet sowie das Beratungsangebot ausgebaut. Jedoch sollte auch die Uni öffentlicher mit den Themen sexualisierter Gewalt und Sexismus umgehen, immer wieder auf Beratungsangebote und Anlaufstellen hinweisen und sexistisches Verhalten oder Fälle von sexualisierter Gewalt klar verurteilen. Denn leider kursieren viele Gerüchte anderer Fälle sexualisierter Annäherung und Sexismus an der Uni, was wiederum darauf hindeutet, dass wenige Fälle an die Öffentlichkeit gelangen und vieles einfach so hingenommen wird.

Der StuRa fordert in einer Pressemitteilung ausdrücklich “das zuständige Ministerium dazu auf, im Disziplinarverfahren gegen den Professor Berufung einzulegen”. Mit der Forderung des StuRas und des Präsidenten an die Studierendenschaft möchten auch wir dieses Anliegen bestärken, öffentlich Druck zu machen, sodass gegen das Urteil des VG Meiningen Berufung eingelegt wird. 

Nicht nur in diesem Fall gilt es, sich mit Betroffenen sexualisierter Gewalt und Sexismus zu solidarisieren. Der StuRa macht deutlich: “Sexualisierte Gewalt muss überall und jederzeit angezeigt und verurteilt werden, bis ein gesamtgesellschaftlicher Wandel hin zu einer offenen und tatsächlich gleichberechtigten Gemeinschaft stattgefunden hat.”

Mitarbeit: Till Holland.

Bei weiteren Vorfällen von offensichtlichem Machtmissbrauch, Sexismus oder sexualisierter Gewalt, können sich Studierende an das Gleichstellungsbüro oder an die Antidiskriminierungsstelle der Uni wenden.

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