Cesy Leonard ist Künstlerin und gemeinsam mit Katharina Haverich Gründerin der »Radikalen Töchter«. In unserem Gespräch mit ihr reden wir über Aktionskunst, Empowerment und darüber, ob politische Bildung ein Imageproblem hat.
Wie macht man das eigentlich mit der politischen Aktionskunst?
Setzt man sich in Deutschland mit politischer Aktionskunst auseinander, gibt es kaum ein Herumkommen um das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS). Der Zusammenschluss aus Künstler*innen setzt sich seit Jahren medienwirksam dafür ein, durch künstlerische Projekte politische Veränderung zu motivieren. Eine der bekanntesten Aktionen des Zentrums ist beispielsweise der Nachbau eines Holocaust-Mahnmals vor dem Haus des AfD-Politikers Höcke.
Vor der Gründung der Radikalen Töchter war Cesy Leonard selbst als Künstlerin für das ZPS aktiv, heute gibt sie Workshops zum Thema politischer Partizipation. Die Radikalen Töchter betrachtet sie als Weiterführung der Arbeit des Zentrums – politische Aktionskunst für Jeden, herausgetragen aus der Bubble von Theatern und Universitäten, hinein in die Klassenzimmer von Berufsschulen.
„Wir haben gemerkt, dass Leute mit leuchtenden Augen vor uns sitzen, und man sie eigentlich politisch anzünden kann […] und dann ist uns die Idee gekommen, dass man etwas gründen müsste, was Leuten die Möglichkeit bietet, mit dieser Aktionskunst in Berührung zu kommen.“
Entgegen der ersten Erwartungen, die der Name mit sich bringt, handelt es sich bei den Radikalen Töchtern zwar schon um Feminist*innen, Geschlechtergleichheit ist aber nicht das Hauptanliegen der Community. Im Fokus liege vielmehr politische Emanzipation, also die Befreiung aus der Unmündigkeit und der Prozess hin zur (politischen) Selbstbestimmung. Angesprochen werden dabei insbesondere Erstwähler*innen in den neuen Bundesländern. Die Zielgruppe beschränkt sich explizit nicht auf Frauen: „Wir wollten ein Zeichen setzen, dass es Radikale Töchter braucht. Das heißt nicht, dass da nicht Männer oder Söhne mitarbeiten können; wir brauchen auch radikale Väter, die dann radikale Töchter erziehen.“
Die Community will Menschen inspirieren, politisieren und dazu zu motivieren, Wandel anzustoßen. „Warum ich politische Kunst gemacht habe, ist, weil ich die Welt verändern möchte – das hört sich platt an – aber, schon Veränderung bringen möchte.“
Radikal rebellisch, radikal demokratisch
Die Radikalen Töchter, so Cesy, wollen weg von dem konformen Bild, dem junge Menschen ausgesetzt sind: „Das Provokative ist spannend. Viele junge Leute erleben Politik oder Bundespolitik als etwas sehr Konformes. Die Welt ist aber nicht konform, sie ist provokant.“
Wähler*innen müsse das Gefühl gegeben werden handeln zu können, dass die eigene Stimme einen Einfluss hat. Dieses Gefühl könne man beispielsweise über Provokation und Emotionalität vermitteln, denn Grenzüberschreitungen generieren Aufmerksamkeit.
Diese Technik wird in Deutschland vor allem von rechten Parteien und besonders öffentlichkeitswirksam von der AfD genutzt. Die Radikalen Töchter wollen diese Stelle neu besetzen und rechten Akteur*innen das Monopol für Provokation nehmen.
Um das zu erreichen, sind ihre Aktionen laut, auffällig und bewegen sich teils an den Grenzen der Legalität. Diese Atmosphäre wird auch in den Workshops vermittelt.
Dort werden Schüler*innen einerseits mit künstlerisch überhöhten Bildern, andererseits mit Themen aus ihrer eigenen Lebenswelt konfrontiert. In diesem Prozess werden keine Fragen nach Parteizugehörigkeiten oder politischer Verortung gestellt, es geht vielmehr um die Basics: „Was ist deine Haltung? Lass uns mal diskutieren – wie würdest du gestalten, wärst du Regionalpolitiker*in?“
Ziel der Workshops ist ein Grundverständnis für demokratische Prozesse zu entwickeln und das Selbstbild der Schüler*innen als politische Akteure zu prägen. Dabei findet keine findet keine Positionierung gegenüber dem rechten oder linken Spektrum statt. Stattdessen sei es entscheidend, auf die Lebenswelten der Teilnehmer*innen einzugehen: „Uns ist der Kontakt zu Leuten wichtig, uns ist es wichtig, dass wir sie ernst nehmen, mit dem was sie umtreibt – das kann auch mal das Nazi-T-Shirt sein, dass man anhat.“
Unterstützt werden die Radikalen Töchter in diesem Vorhaben unter anderem von der Bundeszentrale für Politische Bildung, sowie von diversen lokalen Organisationen.
Grund für das Engagement gerade in Brandenburg, Thüringen und Sachsen, erklärt Cesy, sei einerseits die geringe Wahlbeteiligung in diesen Bundesländern, andererseits der starke Trend auch unter jungen Menschen rechts zu wählen.
Berufsschüler*innen seien dabei als Zielgruppe besonders relevant, da sie als größte Schulform Deutschlands zwar die Basis für unsere zukünftige Gesellschaft bilden, aber auf in ihrer schulischen Laufbahn kaum mit Demokratieerziehung konfrontiert werden: „Junge Menschen, die nach der zehnten Klasse abgehen, [fallen]unserer Recherche nach durch alle Bildungsraster politischer Bildung.“
Politische Bildung, das ist wichtig, meint in diesem Fall ganz konkret Empowerment: „[…] als im Sinne von, warum ist es wichtig, dass ich mich engagiere? […] Warum gehen mich die Themen der Welt an?“
Hat politische Bildung ein Imageproblem?
Uns stellt sich die Frage nach dem Selbstbild der Radikalen Töchter. Wo verordnet die Community sich zwischen traditionell politischer Bildung und Systemkritik?
Die Antwort, wie so oft: Irgendwo in der Mitte.
„Ich nenn mich ungern politische Bildnerin, weil ich davon einen ganz klassischen, lamen Anstrich im Kopf habe – den wollen wir auf jeden Fall durchbrechen.“
Zwar sei der Begriff der politischen Bildung essenziell, aber auch konnotiert mit Flipcharts und trockenen Erklärungen über Exekutive und Legislative. „Wir haben das Gefühl, dass es vor allem wichtig ist, dass wir eine junge Generation in Deutschland haben, die sich politisch engagiert. […] Da reichen herkömmliche politische Programme nicht aus.“
Die Performances oder „Ausbildungscamps“ der Radikalen Töchter betrachtet Cesy deswegen weniger als Unterricht und eher als partizipativen Akt. Aktionskunst hilft dabei, die Grenze zwischen Künstler*innen und Publikum zu überschreiten und liefert neue Perspektiven auf bekannte Sachverhalte, auf Politik und Demokratie. Gleichzeitig dient Kunst als ein Werkzeug der Veränderung. Kunst und Politik – eine Kombination die funktioniert, weil die beiden Dinge im Innersten gleich sind: „Der Kern der Kunst ist, dass wir anfangen müssen, uns an etwas Unfertiges heranzuwagen. […] Warum wir künstlerisch arbeiten, [ist]dieser Blickwinkel, dass wir alle Gestalter*innen sein müssen, sonst funktioniert eine Demokratie nicht. Dass eine Demokratie niemals fertig ist, sondern sich immer im Wandel befindet.“
Wer einen deutlicheren Eindruck von der Arbeit der Radikalen Töchter vermittelt haben will, kann sich auf ihrer Website weiter informieren oder sich ihr Werbevideo anschauen – Aufbruchsstimmung und Empowerment inklusive.