Es gibt nicht viele Gründe für einen Friseurwechsel, denn meistens verlässt man seinen Stammfriseur nicht freiwillig. Er weiß schließlich, was man möchte und was nicht. Ein Ereignis wie ein Umzug zwingt einen hingegen zu dem harten Schritt, der unter anderen Umständen vielleicht so schlimm wie Fremdgehen ist. Auch wenn man es verdrängt, bei allen mit Kurzhaarfrisur ist nach spätestens drei Wochen beim morgendlichen Blick in den Spiegel das Unheil nicht mehr zu übersehen. Man müsste mal wieder.
Salons, Friseure und Haarschnitte sind vielfältig.
Vielleicht nicht ganz so, wie die veganen und vegetarischen Essensangebote in der Erfurter Uni-Mensa, aber fast. Bei Friseuren ist es manchmal ein wenig wie mit dem Blick auf den Speiseplan und der Erkenntnis, dass es schon wieder Wok-Gemüse gibt: Man erklärt, was man für einen Haarschnitt haben möchte, die Energie hätte man sich aber eigentlich sparen können, denn ebenso wenig, wie sich in der Mensa das Essen an der Ausgabe C ändert, verändert der Friseur den Schnitt beim nächsten Kunden im Prinzip gar nicht. Am Ende sieht man aus wie der Typ, der vor einem da war und wie der, der nach einem dran ist. Der Unterschied: in der Mensa gibt es noch viele andere gute Gerichte, den Friseur mitten beim Schneiden wechseln ist dagegen nicht möglich. Das heißt: Nicht jeder Friseur kann gut Haare schneiden und nicht jeder hört einem zu. Die Chemie zwischen Kunde und Friseur muss stimmen. Sie ist die Grundvoraussetzung für jeden guten Haarschnitt.
Diese Chemie passt zwischen Ali und mir, deshalb bin ich über Jahre hinweg sein treuer Kunde. Wenn ich mal in meiner Heimatstadt bin, führt der Weg schnell zu ihm. Wir haben das, was man eine Friseur-Kunden-Beziehung nennen kann. Per Handy ist er immer erreichbar und ich weiß: Er wird alles dafür tun, noch einen Termin freizuschaufeln, um einen seiner Stammkunden zu schneiden. Und wenn man einmal warten muss, wird die Wartezeit stets mit einem Tee oder einem Wasser versüßt. Man kennt sich. Einer der anderen Friseure kommt herein mit einem kurzen „ahh, wie geht’s?“, genau diese kleinen Smalltalks machen einen einfachen Friseurbesuch zu einem Besuch bei Bekannten, sie machen einen Salon zum Stammfriseur.
Erste Berührungen mit Erfurts Friseurlandschaft
Schweren Herzens also musste ich mit dem Umzug nach Erfurt auch Ali verlassen. Die Challenge: Einen guten Friseur in Erfurt finden. In der relativ großen Friseurlandschaft – vor allem was die arabisch-orientalischen Friseure in der Landeshauptstadt angeht – musste ich mich also erst einmal zurechtfinden und ein Gespür dafür entwickeln, in welchem Salon man sein Glück versuchen könnte. Nach gut einem Jahr habe ich nun so einiges über Friseure dazugelernt. Die Erfahrungen auf dieser kleinen Reise in eine uns allen bekannte, aber dennoch spezielle Szene, waren geprägt von positiven wie negativen Ereignissen.
Die Discounter unter den Friseuren
Zuerst einmal stellte sich die Frage, wo suche ich überhaupt nach einem Friseur? Mundpropaganda ist hier natürlich ein bewährtes Mittel. Genauso zahlt es sich aus, Leute gezielt nach ihrem Friseur des Vertrauens zu fragen. Man kann auch googeln und im Internet nach einem Friseur suchen. Das ist aber nur halb so spannend und man kann sich anhand der wenigen Bewertungen nur schwer ein Bild machen. Es reicht eigentlich schon, seine Augen offen zu halten, wenn man in der Stadt unterwegs ist. So auch meine Herangehensweise. Bei jedem Gang durch die Stadt schweift mein Blick suchend in die Läden.
Außencheck: 2010er Trendfrisuren am Schaufenster
Was beachtet man also, wenn man nach einem Salon sucht und ihn erst einmal nur von draußen betrachtet? Sobald man einen Salon erblickt führt man einen schnellen Außencheck durch. Wie sieht der Blick durchs Fenster aus, wie ist der Name und befinden sich Musterhaarschnitte am Schaufenster. Letzteres Kriterium ist besonders wichtig, denn meist sind die Salons mit den besagten Frisurbildern von Standardmännerfrisuren von vor einem Jahrzehnt am Schaufenster sozusagen die Discounter unter den Friseursalons. Natürlich gibt es Ausnahmen, dann muss aber das Gesamtpacket auch hundertprozentig stimmen.
Wenn also keine Bilder von abgelaufenen Trendfrisuren aus dem Jahr 2010 die Fensterscheibe zieren, hat der Laden die erste Prüfung überstanden. Ich wage einen Blick ins Innere. Zwischen Anger und der Straßenbahnstation Stadtmuseum/Kaisersaal habe ich einige Läden entdeckt. Beim Blick nach innen macht einer der Friseurläden einen besonders vollen Eindruck. Was bei Restaurants vielleicht ein positives Zeichen ist, ist es in der Friseurszene hingegen nicht unbedingt. Es zeigt nämlich, dass hier schnell gearbeitet wird. Fließbandarbeit am Kopf von Menschen. Der Druck der wartenden Kunden ist hoch. Die Friseure hören in solchen Läden kaum zu und schneiden dann so, wie sie denken. Ergebnis: Jeder hat im Prinzip eine ähnliche Frisur. Natürlich gibt es Frisurentrends und die Varianten vor allem bei Kurzhaarfrisuren sind nicht unendlich, dennoch kann man auch die Trend- oder „Standardkurzhaarfrisuren“ an die Bedürfnisse, den Stil und vor allem das Haar eines jeden Kunden anpassen. Und genau das unterscheidet einen schlechten von einem guten Friseur. Die Seiten auf null Millimeter rasiert steht eben nicht jedem, aber das muss ein Fachmann erkennen. Dann bekommt man sie eben auf zwei Millimeter oder drei, meinetwegen auf vier. Aber nicht null!
Es geht um Haare!
Ich betrete also den einen Friseurladen in der Nähe des Kaisersaals (nicht den überfüllten) und setze mich. Während der Wartezeit kann man die arbeitenden Haarkünstler schon ganz gut beim Schneiden beobachten: Sind alle voll konzentriert bei der Arbeit und sieht der Kunde zufrieden aus? Wie schneidet er die Haare des Kunden und redet er mit ihm vor den einzelnen Zwischenschritten? All das hilft mir bei der Auswahl. Wenn ein Friseur einen kompetenteren Eindruck vermittelt als seine Kollegen, nimmt man auch zusätzliche Wartezeit in Kauf. Es geht schließlich nicht um irgendwas. Es geht um Haare! Auch wenn sie nachwachsen, muss man mindestens drei Wochen mit dem Schnitt leben, ehe er rausgewachsen ist. Da wartet man lieber mal länger.
Vertrauensbruch
Fast ein Jahr lang bleibe ich bei dem Laden am Kaisersaal. Mit meinem Friseur bin ich zufrieden, er schneidet gut und nimmt sich Zeit. Zumindest in den ersten Monaten. Unsere Friseur-Kunden-Beziehung nimmt ihren Lauf. Wir quatschen viel über Fußball, immer ein gutes Friseurgesprächsthema. Nicht zu persönlich und fast jeder kann mitreden. Dann der Bruch mit dem Erfurter Salon. Seit längerem bin ich mal wieder dort und an diesem Tag muss ich lange warten. Das ist schon einmal passiert und kann mal vorkommen, sollte es allerdings nicht zu oft. Nach fast zwei Stunden bin ich dran, werde auch noch schnell „abgefertigt“. Eine weitere Chance gebe ich dem Laden aber doch noch. Diesmal ist der Friseur, bei dem ich sonst immer geschnitten habe, nicht da. Da ich keine Lust habe, an einem anderen Tag wieder zu kommen, gebe ich einem neuen die Chance. Ein Fehler! Der junge Friseur (Ausbildung fraglich!) verhaut meine Haare komplett, die Übergänge sind schief. Ali schickt mir eine Sprachnachricht, nachdem ich ihm das Unheil mit Fotobeweis gesendet habe: „Ich weiß ja nicht, was ihr da in Erfurt für Friseure habt! Aber wenn du mal wieder hier bist, komm gerne vorbei und ich schneide wieder deine Haare.“ Der Herzsmiley kommt noch hinterher.
Rettung am Fischmarkt
Doch so schnell gebe ich nicht auf, die Erfurter-Friseurszene kann auch anders. Das möchte ich außerdem auch Ali beweisen. Deshalb ziehe ich mit dem außerirdischen Schnitt am nächsten Tag wieder los. So führt mich mein Weg zu einem schon im Vorbeigehen erspähten Laden am Fischmarkt gegenüber vom Rathaus. Vom Außencheck her ist er so, wie man sich einen guten Friseur eben vorstellt. Weil nur meine Seiten so schlimm geschnitten sind und oben nichts gemacht wurde, besteht der neue Friseur die Notprüfung vorbildlich und rettet meine verschnittenen Haare. Zudem sind die anderen Mitarbeiter auch nett und der Salon ist nicht überfüllt. Man nimmt sich Zeit für die einzelnen Kunden. Ich bin froh, so schnell einen neuen Laden gefunden zu haben. Allerdings wird sich erst mit der Zeit zeigen, ob auch der Salon das Stammfriseurpotential erfüllen kann.