Was heißt es, (k)eine Wohnung zu haben? Was bedeutet „Zuhause“ und wie ist es, wenn Dein Zuhause die Straße ist? Wie sieht die Lebensrealität von Menschen ohne Obdach aus? Welche Wege gibt es aus der Wohnungs- oder Obdachlosigkeit? Wie sieht ein Leben nach der Obdachlosigkeit aus? Und welche Rolle spielen Streetworker*innen und ihre Arbeit für obdachlose Menschen?
Mit unserem Projekt “Zwischen Erfurter Fassaden – Einblicke in Obdachlosigkeit”, einer Reihe von Artikeln und experimentellen Beiträgen, möchten wir euch Einblicke in die Themen prekäres Wohnen, Wohnungs- und Obdachlosigkeit geben und das Leben Zwischen Erfurter Fassaden aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Für diesen Einblick sprechen wir – zeitgleich mit der Protze Glotze – mit Streetworker*innen, Sozialarbeiter*innen und obdachlosen Menschen und geben ihnen Raum, ihre persönlichen Erfahrungen mit uns zu teilen. Dabei können und wollen wir keinesfalls den Anspruch erheben, alle Facetten und strukturellen Umstände vollständig abzubilden. Vielmehr ist das Ziel, uns aufrichtig mit dem Leben wohnungs- und obdachloser Menschen in Erfurt auseinanderzusetzen, eine Sensibilität für deren Lebensrealitäten zu schaffen, mit Vorurteilen aufzuräumen und einer Stigmatisierung entgegenzuwirken.
Was können wir tun? – Ein kleiner Ratgeber
Zunächst eine kurze Geschichte aus meinem Leben, die der eine oder die andere vielleicht selbst so ähnlich auch schon mal erlebt hat:
Als ich 11 Jahre alt war, besuchte ich meinen großen Bruder in seiner Studienstadt. Wir spazierten durch den Park und trafen einen obdachlosen Mann, der auf mein 11-jähriges Ich den Eindruck machte, er habe Hunger. Ich fragte meinen Bruder deshalb, ob wir nicht etwas für ihn tun könnten. Daraufhin holte er ein Brötchen beim Bäcker. Als wir es dem Mann anboten, lehnte er es dankend ab und wir gingen weiter. In dieser Situation damals verstand ich noch nicht, wieso er das Brötchen ablehnte.
Knapp 10 Jahre später erzählte mir ein Streetworker von einer ähnlichen Situation, in der ein Mann Lebensmittel ablehnte. In diesem Fall war der Grund für dieses Verhalten, dass er kein Essen zu sich nehmen kann, ohne dass ihm davon schlecht wird. Wir kennen die Menschen und ihre Bedürfnisse oder ihre Wünsche, die sie genauso wie wir haben, nicht. So kannte auch ich damals den Mann und seine Lebensgeschichte keinesfalls. Den Grund, warum er das Brötchen nicht annahm, ist mir bis heute unbekannt. Dafür könnten viele Hintergründe eine Rolle spielen.
Wie können wir uns eigentlich das Recht herausnehmen, zu wissen, was ein Mensch braucht oder nicht braucht, ohne mit ihm darüber zu reden? Richtig, das steht uns nicht zu! Wie ihr merkt, ist Kommunikation alles. Deshalb habe ich mich mit mehreren Streetworker*innen unterhalten, um zu erfahren, wie man am besten mit obdachlosen Menschen kommuniziert und möchte euch einen Guide mit auf den Weg geben, in dem ihr erfahrt, womit ihr Menschen ohne Obdach eine Freude bereiten könnt.
„Hey, wie geht es dir heute?“
Generell gilt, dass ihr immer nett und freundlich sein solltet. Begegnet den Menschen genauso, wie ihr es selbst auch von anderen erwartet. Ein freundliches „Hallo“ ist hier schonmal ein Anfang. Es ist auch einfach schön zu merken, dass Interesse an der Person und einer Konversation gezeigt wird, weshalb ihr einfach eine Unterhaltung starten könnt, wenn ihr merkt, dass eine Kommunikation erwünscht ist. Achtet dabei einfach darauf, wie euer Gegenüber drauf ist. Ihr werdet merken, ob sich dieser mit euch unterhalten möchte oder eben nicht. Wenn es zu einem Gespräch kommt, könnt ihr die Person dann explizit danach fragen, was sie möchte, um zu vermeiden, dass ihr etwas mitbringt, was nicht zubereitet werden kann oder die Person vielleicht auch gar nicht konsumieren darf. Wenn euer Hilfsangebot abgelehnt wird, dann respektiert das. Wir selbst wollen auch nicht alles, was man uns vor die Nase setzt. Aber allein eine gute Unterhaltung bringt uns allen Freude, vor allem in dieser Zeit.
Was kann ich tun?
Gerade die laufende Pandemie betrifft obdachlose Menschen sehr: Anlaufstellen, an denen man normalerweise Essen bekommt, haben nur beschränkt geöffnet und bieten nur Nahrung zum Mitnehmen an, Kleiderkammern können auch nicht wirklich öffnen und Orte, an denen es laufendes Wasser gab, haben fast alle geschlossen. Dadurch werden sie auch in ihren sozialen Kontakten eingeschränkt. Diese fehlen nämlich nicht nur uns, weshalb ich nochmal auf eine gute Unterhaltung hinweisen möchte. Auch im Hinblick auf die steigenden Temperaturen haben sie es nicht leicht. Deshalb hier ein paar Sachen, die ihr spenden könnt:
- WASSER! Am besten ohne Kohlensäure, denn dann kann es gegebenenfalls, neben dem Trinken, auch für die Hygiene und die Vierbeiner genutzt werden.
- Hygieneartikel sind auch eine nette Idee, wie beispielsweise Zahnbürste und Zahnpasta, jedoch solltet ihr diese nicht einfach unaufgefordert hinstellen. Das ist unsensibel und kann sehr falsch rüberkommen.
- Wenn Ihr einige Kleidungsstücke überhabt und diese nicht gerade wie der Lappen aus der WG-Küche aussehen, dann könnt ihr sie spenden! Gerade im Winter werden hier auch dicke Jacken gebraucht.
- Lebensmittel werden auch gern gesehen. Diese sollten am besten für den direkten Verzehr geeignet sein. Fertiggerichte, die erst noch warm gemacht werden müssen, ergeben wenig Sinn.
- Schlafsack oder Decke
- Masken
- Nahrung für ihre Tiere
Am besten bietet ihr die Sachen den Menschen direkt an. Ansonsten gibt es auch einige Stellen, wo ihr eure Spenden in Form von Kleidung, Spielzeug und gegebenenfalls Möbeln abgeben könnt. Aufgrund der COVID-19-Pandemie können hier die Öffnungszeiten variieren. Ruft deshalb am besten vorher an und fragt nach dem nächstmöglichen Zeitpunkt, wann ihr eure Spenden abgeben könnt.
Hier sind einige von Ihnen:
Caritas-Regionalstelle
Regierungsstraße 55
99084 Erfurt
Tel.: 0361 5553300
Evangelische Stadtmission und Erfurt gGmbH
“Sozialkaufhaus”
Allerheiligenstraße 9
99084 Erfurt
Tel.: 0361 6422090
Kontakt in Krisen e. V.
“Sparstrumpf”
Magdeburger Allee 114
99086 Erfurt
Tel.: 0361 74981134
Menschlichkeit e. V.
Prager Straße 10/0207
99091 Erfurt
Tel.: 0361 7442822
Mein Fazit
Meine eigene Begegnung, von der ich zu Beginn berichtet habe, hat mich viel darüber nachdenken lassen, was es für Gründe hätte geben können, wieso der Mann unser Essen ablehnte: War es, weil er einfach keinen Hunger hatte? Dachte er vielleicht, dass wir jungen Menschen das Essen oder Geld selbst gebrauchen könnten? Verspürte er Scham oder hat sich einfach nicht getraut, es anzunehmen?
Egal welcher Grund dahinter steckt, ich werde es nicht mehr erfahren. Jedoch gehe ich zukünftig auf die Menschen anders zu. Ich werde mehr nachfragen und hinterfragen, denn nur so kann man eine Nähe zu den Menschen herstellen und mehr über sie erfahren.
Geht auf die Straße und schaut nicht einfach weg, sondern werdet aktiv, wo ihr könnt, und zeigt Interesse an euren Mitmenschen. Jeder Mensch freut sich über ein nettes Gespräch. Natürlich müsst ihr jetzt nicht gleich eine große Unterhaltung anfangen, wenn ihr das nicht wirklich wollt, schließlich wäre dies dann nur halbherzig und euer Gegenüber spürt das. Aber wenn ihr eine obdachlose Person antrefft und einen kurzen Augenblick Zeit habt, sprecht sie erst einmal an und erkundigt euch, ob es etwas gibt, was ihr der Person geben könnt. Selbst wenn es nicht um Materielles geht, können beide Seiten eine tolle Begegnung erfahren.