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„Das Schönste ist die Nähe zum Kunstwerk“

Ist man unterwegs auf einem Spaziergang durch Erfurt, passiert man Geschichte. Die Zitadelle auf dem Petersberg, die Barfüßerkirche oder der Dom St. Marien – all diese Bauwerke sind so fest im eigenen Bewusstsein verankert, das man sie kaum noch bewusst wahrnimmt, wenn man mit einem Kaffee (oder einem Eis von Riva) in der Hand über den Domplatz schlendert. Trotzdem stehen sie hier seit hunderten von Jahren – und es gibt einen Berufszweig der sicherstellt, dass sie das auch in ferner Zukunft noch tun werden. Restaurator:innen sichern den Erhalt von historischen Gebäuden und Kunstwerken und dokumentieren sie für kommende Generationen. Dabei tragen sie nicht nur eine immense Verantwortung, sondern erleben Kunst und Geschichte aus einer einzigartigen Perspektive.

Lena Reinecke ist freiberufliche akademische Restauratorin und bildet zusammen mit Janka Acht und Simone Schmiedkunz das Restauratoren-Kollektiv. Gemeinsam studierten sie an der Fachhochschule Erfurt Konservierung und Restaurierung und schlossen sich nach dem Ende ihres Studiums zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen. Als Kollektiv sind sie in verschiedenen Fachbereichen für den Erhalt von Kunst- und Kulturgut tätig und arbeiten sowohl in Erfurt, als auch deutschlandweit.

Restaurator:in, erklärt Lena, sei erst seit den 60ern ein akademischer Beruf und dabei sehr praxisnah ausgelegt. Wird man darin ausgebildet, legt man sich auf einen Fachbereich fest und spezialisiert sich darauf. Eigentlich sei es in dem Berufszweig üblich, als Freiberufler:in in projektbezogenen Teams zu arbeiten, die Zusammenarbeit im Kollektiv biete aber große Vorteile: Einerseits die Aufgabenteilung und das Abdecken einer großen Breite an Fähigkeiten durch die unterschiedlichen Spezialisierungen, andererseits sei der Zusammenschluss auch viel wirtschaftlicher und nachhaltiger, da man sich Atelier und Werkzeug teilen könne.

So, wie in vielen anderen Berufen im Kultursektor hängt auch hier das eigene Einkommen oft von öffentlichen Fördergeldern ab. Ein wichtiger Akteur ist dabei die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, andere Projekte werden wiederum durch private Kund:innen finanziert. Im Vergleich zu anderen Berufen im Kulturbereich litten Restaurator:innen allerdings unter geringeren beruflichen Einschränkungen durch die Pandemie. So seien insbesondere die ersten Lockdown-Monate und Vor-Ort Termine schwierig gewesen, so Lena, inzwischen habe man sich aber mit den Bedingungen arrangiert – mit Sicherheit auch, weil dieser Beruf, anders als viele andere des Kultursektors, unabhängig von Zuschauer:innen und Besucher:innen ausgeübt werden kann. Das sei unter normalen Umständen sogar in gewisser Weise ein Vorteil: „Was für uns alle an dem Restauratorenberuf besonders ist, ist, dass wir an Orte kommen, wo sonst niemand hinkommt. Wo für Besucher die Absperrung ist, gehen wir dahinter und fangen an zu arbeiten.“ – ein VIP-Zugang zu Kunst und Geschichte also.

„Ohne Leidenschaft ist es schwierig.“

Der Weg zu dem Restaurator:innenberuf war bei allen drei Mitgliedern des Kollektivs unterschiedlich. Aber, darüber sind sich einig, ohne Leidenschaft kann man darin nicht arbeiten. Betrachtet man die vielseitigen Arbeitsschritte und Aufgaben, die im Prozess der Restaurierung aufkommen wird schnell klar, dass die Materie, mit der sich Restaurator:innen auseinandersetzen, weit über wissenschaftliche Analysen und Reparatur herausgeht. Ruft man sich in Erinnerung, dass Restaurator:innen in ihrem Alltag mit teils Jahrhunderte altem Kulturgut umgehen, wiegt allein schon bei dem Gedanken daran die Verantwortung schwer. Einmal blöd stolpern, zack – zweihundert Jahre Geschichte den Bach runter? Naja, nicht ganz. Man bereite sich schließlich durch jahrelanges Studium genau darauf vor, diese Fehler zu vermeiden, meint Lena.

Sie betrachtet diese alltägliche Verantwortung nicht als Last, sondern als eine Ehre: „Man verspürt eine Ehrfurcht dem gegenüber, womit man arbeitet. Wenn ich diese Baukunst sehe und das Kunsthandwerk und den Gestaltungswillen, dann ist das ergreifend und ich will das für die Nachwelt erhalten.“

Lena Reinecke und Simone Schmiedkunz

Entgegen dem, was man sich vielleicht unter der Aufgabe von Restaurator:innen vorstellt, geht es in der Arbeit nicht darum, Kunstwerke und Objekte wieder in ihren Urzustand zu versetzen. Das Ziel ist nicht Erneuerung, sondern die Verfallsprozesse zu verlangsamen, denn ein Aufhalten dieser sei nicht möglich. „Im Vordergrund steht Konservierung. Es geht nicht darum, Neues zu schaffen, sondern das Objekt zu verstehen und dann kreative Lösungen zu finden, um das Objekt in die Zukunft zu tragen – und wenn das auch nur als Dokument ist.“ Dabei wird versucht, Objekte aus der Perspektive der Künstler:innen zu betrachten:

Was waren die Gedanken bei der Schaffung, was war die Intention hinter dem Kunstobjekt und wie kann all das erhalten werden? In diesem Prozess spielt auch Ethik eine wichtige Rolle, insbesondere, wenn Kunstobjekte bereits andere Restaurierungen durchlaufen haben: Wie sollte mit Veränderungen an dem Objekt umgegangen werden? Was gehört zu dem Werk, das die Künstler:innen schaffen wollten, und was wurde nachträglich hinzugefügt?

Bedenkt man all diese Einflussfaktoren und das Hintergrundwissen, das es bedarf, um diese Informationen ein- und zuzuordnen scheint es, als würden Restaurator:innen eigentlich nicht einen Beruf ausüben, sondern drei auf einmal: Handwerker:in, Künstler:in und Historiker:in zugleich. Lena fällt eine Zuordnung natürlich leichter: „Wir verstehen uns nicht als Künstler, weil wir nichts Neues erschaffen. Es braucht ein Einfühlungsvermögen in das Kunstwerk und dessen Herstellungstechnik. Wir arbeiten restauratorisch handwerklich und auch geisteswissenschaftlich, da es wichtig ist, das Objekt kunsthistorisch einordnen und verstehen zu können.“ In ihrem Beruf sei man von allem ein bisschen, räumt sie ein, aber in erster Linie eben Restaurator:in.

Simone Schmiedkunz

Nun gibt es ja in vielen Berufen ein Projekt, ein Ziel, eine Show, auf die Menschen in diesem Feld hinarbeiten. Musiker:innen wollen nach Las Vegas, Elon Musk will auf den Mars – gibt es einen „Heiligen Gral“ für Restaurator:innen? Ja, sagt Lena, zumindest gebe es Wunschprojekte. Die sehen aber bei jeder aus dem Kollektiv anders aus. Für Simone ist es die Restaurierung einer Leinwandbespannung in Wolkramshausen, für Janka ein ornamentaler Gipsestrichboden in der Nordkappelle des Erfurter Doms, und für Lena selbst die Freilegung romanischer Wandmalereien in der Peterskirche auf dem Petersberg. Letztere sind aber gerade noch zu großem Teil versteckt unter Kalktünche, also Augen offenhalten auf dem nächsten BuGa-Besuch. Wenn alle drei sich ein gemeinsames Wunschprojekt aussuchen könnten, dann die Restaurierung eines antiken Mosaiks in Pompeii.

Im Gespräch mit Lena wird schnell deutlich, wo ihre Leidenschaft für den Restaurator:innenberuf entspringt. Es geht nicht nur darum, Objekte vor dem Verfall zu bewahren; Restaurierung ist ein Blick in die Vergangenheit, wodurch ein einzigartiger Zugang zu Geschichte und Kultur ermöglicht wird – und eine Nähe zu Kunstwerken, die sonst in dieser Form nicht erreicht werden kann.

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