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Grünzeug ist auch gut für die Karriere! Ein Besuch im Pop-Up-Store der Bundeswehr

Ein Erfahrungsbericht von Helen Breunig und Johann Heinrich

Ihr könnt die blumige Innenstadtidylle und die Tourist:innen mit ihrem Zucker-und-Zimt-Eis in der Hand nicht mehr sehen? Ihr seid gelangweilt von anderthalb Jahren Corona-Pandemie und wollt einfach mal etwas machen, „das wirklich zählt“?

Na, dann wird es wohl Zeit für einen Ausflug der besonderen Art. Oder wie die Bundeswehr sagen würde: „Rein ins Abenteuer!“

Auf direktem Weg zur Bundesgartenschau – übrigens der ausschlaggebende Grund für die Standortwahl – hat seit dem ersten Juli eine mindestens genauso umstrittene Institution ihre Zelte (äh, wir meinen natürlich: ihre STUBE!) aufgeschlagen. Die Rede ist vom deutschlandweit dritten Pop-Up-Store der Bundeswehr, der nach Stationen in München und Wolfsburg nun bis Anfang September in einem ehemaligen Lederwarengeschäft in der Marktstraße geöffnet hat (Nachfolger wird wohl „irgendwas Veganes“ – Nice!). 

Ihr fragt euch: Was kann man (oder frau*) da denn kaufen? 

Wir uns auch. Angelockt vom Slogan auf der Straßenbahnlinie 3 Richtung Europaplatz – „Grünzeug ist auch gut für deine Karriere!“ – haben wir uns also mal umgeschaut. 

Herausgestellt hat sich, dass man (oder frau*) eigentlich gar nichts kaufen kann. Zwar könnte man (oder frau*) das sehr hippe Konzept leicht mit dem K11-Pop-Up-Store schräg gegenüber verwechseln.  Doch statt personalisierter T-Shirts (schade eigentlich, wir hätten mit Sicherheit nichts gegen so ein praktisches Hemd gehabt, an das wir unsere Namen mit Klettverschluss drankleben könnten) bekommt ihr kostenlose Karriereberatung – und Goodies in Tarnfarben gratis obendrauf.

Offiziell handelt es sich nämlich nicht um einen Store im engeren Sinn, sondern um eine Karrierelounge, die nicht nur das Nachwuchsproblem der Bundeswehr bekämpfen (haha, Wortwitz), sondern vor allem die Sichtbarkeit der Institution „in der Mitte der Gesellschaft“ erhöhen soll. Dass der Store von einigen Passant:innen trotz Flachbildschirm mit der Aufschrift „#Extrem“ und niedlichen Panzermodellen aus Bastelpapier im Schaufenster übersehen wird – daran ist wohl das Erfurter Ordnungsamt schuld, das aufmerksamkeitsgenerierende (und gemütliche) Maßnahmen wie einen kurzzeitig platzierten Sitzsack in Tarnfarben auf der eh schon zu engen Marktstraße zunichte machte. Und dann ist da ja noch die (ziemlich große) Überwindung, sich erstmal durch drei Staatsbürger:innen in Uniform durchzuquetschen, die, sagen wir mal, mindestens so viel Autorität ausstrahlen wie die Security am Cosmo-Eingang, um überhaupt in die Karrierelounge hineinzukommen. 

Zu sehen: Die Bundeswehr Karrierelounge.

#HYGIENE NACHLADEN! Und los geht es

Habt ihr das dann mal geschafft – ganz dem Hashtag „#HYGIENE NACHLADEN“ entsprechend natürlich mit desinfizierten Händen – steht ihr dann in einer Modell-Stube, die ein wenig an die IKEA-Jugendzimmer-Abteilung erinnert. Neben den Tarnfarben scheinen Flachbildfernseher das Leitmotiv der Bundeswehr zu sein. Diese befinden sich nicht nur in überdimensionaler Größe im Schaufenster und an der Wand, sondern gehören, wie unser Berater betont, auch in den ältesten Kasernen der Bundeswehr zur Standard-Ausstattung (genau wie ein Mini-Kühlschrank, lol). Das Gefühl, irgendwie fehl am Platz zu sein, ist ganz gut vergleichbar mit dem, wenn man (oder frau*) sich in einem überteuerten Dessous-Geschäft befindet. Doch es wird gleich abklingen, denn im selben Tempo, wie man (oder frau*) sich in besagtem Unterwäschegeschäft dann mit drei Spitzen-BH’s in der GARANTIERT richtigen Größe in der Umkleidekabine wiederfindet, werdet ihr auch schon von einer:m Türsteher:in (äh, Soldat:in) in ein Gespräch verwickelt. Unseres stellte sich entgegen unseren Vorurteilen als überraschend angenehm heraus. 

Bemerkenswerterweise schien sich unser Berater tatsächlich an erster Stelle um die Individuen Gedanken zu machen, die vor ihm stehen, und darüber, ob der Militärdienst langfristig zu deren Leben passt. Anstelle uns also direkt Jobangebote zu machen – und das, obwohl wir mindestens drei Vorlagen dafür lieferten – tauschten wir uns mit dem ehemaligen Feldsoldaten, über seinen Werdegang und seine Erfahrungen bei der Bundeswehr aus. Deswegen fühlte sich unser Gespräch weniger wie eine „informelle Karriereberatung“ an, als das, was das Pop-Up-Konzept offiziell erreichen soll: Es brachte uns – als Teil der Zivilgesellschaft – mit einem uns ziemlich unbekannten Gefüge aus Regeln, Lebensmodellen und Hierarchien in Kontakt. Diesen Aspekt hebt auch unser Berater hervor. Seiner Ansicht nach fehlt es einfach an Berührungspunkten und an gesellschaftlicher Anerkennung für die Menschen, die, wie im Schaufenster zu lesen ist, „dafür kämpfen, dass du auch gegen uns sein kannst“. Ob die Werbestrategie, die die Bundeswehr mit ihrer Abenteuer-Rhetorik fährt, dagegen ankommen kann, da ist er sich allerdings auch nicht so sicher. 

Die anderen Berater:innen im Laden schienen weniger mit uns drei Studis anfangen zu können, die offensichtlich nicht aus Karrieregründen in den Laden gekommen sind. Der Soldat, der anlässlich der Themenwoche IT die Innovationen der Bundeswehr im Bereich der digitalen Kommunikation präsentierte (es gibt eine Bundeswehr-App und so einen kleinen Koffer, der überall auf der Welt ein mobiles Netzwerk erzeugen kann, krass!), war sichtlich verdutzt, dass wir uns für ihn interessieren, obwohl das Informatik-Studium erstmal nicht unsere Lebenserfüllung ist.

Ziel verfehlt?!

Trotz BuGa kommen die Berater:innen in der Marktstraße zwar „nur“ auf rund 50 solcher Gespräche am Tag – ausgenommen der Rentner:innen, die sich mit Brückentrüffel-Eis in der Hand in den Laden verirren. Das vorgegebene Ziel, wie in München täglich 90 Beratungsgespräche durchzuführen, ist also verfehlt. Angesichts der Pandemie sowie der Größendifferenz zwischen München und Erfurt möchten wir an der Stelle aber mal die Thüringer Uniformierten in Schutz nehmen und der Verwaltung sagen: Die Berater:innen geben wirklich ihr Bestes. Angefangen bei der Öffentlichkeitsarbeit – wir wurden von einer ambitionierten Beamtin gleich mal für den Instagram-Account der Bundeswehr-Karriere fotografiert – bis hin zur Versorgung der Besucher*innen mit Postern und Bastelbögen („Was magst du denn gern? Einen Panzer, Helikopter oder ein Militärflugzeug?“): Jede:r Besucher:in bekommt das wohlig-warme Gefühl vermittelt, eine Perspektive beim „überaus attraktiven Arbeitgeber“ Bundeswehr zu haben (Hallo Beamtentum auf Lebenszeit! Außer man (oder frau*) hat eine chronische Erkrankung, dann NATÜRLICH nicht).

Das, was wirklich zählt.

Ein Pop-Up-Store als Maßnahme der Öffentlichkeitsarbeit

Dank „Schlüssel(anhänger) zum Erfolg“, einem Logbuch „für das, was wirklich zählt“ und einem Kuli (natürlich alles in Tarnfarben), den wir zum Dank für unsere Fotobereitschaft erhielten, steht der Dokumentation unseres eigenen Abenteuers bei der Bundeswehr nun nichts mehr im Weg. Richtig überzeugt sind wir aber immer noch nicht – trotz der vielen Zukunftsperspektiven, die man (oder frau*) als Absolvent:in der Staatswissenschaften beim Bund hat. Mehr als die geringe Wertschätzung der Zivilgesellschaft für die Soldat*innen schreckt uns aber noch immer das Konzept des Pop-Up-Stores ab, das vor allem auf die Präsentation der Bundeswehr als attraktiven Arbeitgeber abzielt. Damit gliedert es sich in eine Reihe an Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit ein, etwa die Werbestände auf der Gamescom, die überdimensionalen Plakate in deutschen Innenstädten oder die teils problematischen Slogans auf den Erfurter Straßenbahnen. Das Berufsrisiko und der Zweck der Tätigkeiten beim Bund stehen dagegen im Hintergrund, genau wie die Verantwortung, die man (oder frau*) als Soldat:in trägt – im Zweifel entscheidet man ja immer noch über Leben und Tod.

Eine Stunde, nachdem wir in die Welt der Bundeswehr eingetaucht sind, stehen wir also wieder auf der Marktstraße und haben das große Bedürfnis nach einem Zucker-und-Zimt-Eis. Ja, wir sind überrascht von dem interessanten Gespräch. Trotzdem fragen wir uns schon ein bisschen, warum gerade die Bundeswehr die Schaufenster an einem so populären Standort füllen darf – wir hätten da so einige andere Ideen, was man mit ungenutztem Raum in der Innenstadt anstellen könnte. Deswegen freuen wir uns auf eine Zeit, in der auch in Erfurt freier Kunst und Kultur mehr Raum gegeben wird* oder – um realistisch zu bleiben – zumindest auf die Zeit, in der statt #FÜHREN und #KÄMPFEN dann „irgendwas Veganes“ im Schaufenster steht. 

*schaut z.B. mal bei der a34 in Hildesheim vorbei: www.a-34.de

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