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UNGLEICH x QueErfurt

„Sachsen und Thüringen bundesweit an der Spitze des Unbehagens“ – das stellt die Studie „Queeres Deutschland“ des Change Centre aus dem Jahr 2015 fest. Denn damals hätte es mehr als die Hälfte der befragten Thüringer*innen als unangenehm empfunden, von neuen Bekannten für homosexuell gehalten zu werden. Dass die Akzeptanz von Personen, die sich als LGBTIQ* identifizieren, in Thüringen erschreckend niedrig ist, zeigen auch die Ergebnisse des Thüringen Monitors aus dem Jahr 2017. Ganze 23 Prozent der Befragten finden es demnach nicht in Ordnung, „wenn Menschen ihr Geschlecht ändern, z.B. durch Operationen und hormonelle Behandlungen“. Wandelnde Geschlechternormen und erhöhte Sichtbarkeit verschiedener Sexualitäten hin oder her – die Akzeptanz der LGBTIQ*-Community in der breiten Gesellschaft lässt zu wünschen übrig.

Das werden ein paar Artikeln eines kleinen (wenn auch großartigen *zwinker*) Stadtmagazins natürlich nicht ändern. Dennoch halten wir es für wichtig, uns und euch einen Einblick in das Leben queerer Menschen in Erfurt zu geben. Gemeinsam mit „QueErfurt“, einer queer-feministischen Hochschulgruppe der Universität und der Fachhochschule Erfurt, haben wir eine Artikelreihe rund um den Themenbereich LGBTIQ* auf die Beine gestellt. Welche „queer spaces“ gibt es in Erfurt und Thüringen? Wie gestaltet sich der Alltag queerer Menschen und was bedeutet queer sein für die mentale Gesundheit? Sind Coming-Outs wichtig? Wie ist es, als queere Person in Erfurt zu leben? Wie sieht es mit der gesellschaftlichen Wahrnehmung queerer Menschen aus?

Neben dem Landtag strahlt jetzt auch die Johannesstraße 52 in Regenbogenfarben – über die Eröffnung des Queeren Zentrums Erfurt

Ein in Regenbogenfarben angestrahlter Thüringer Landtag, bunte Pride-Fahnen vor REWE-Filialen oder die Teilnahme von rund 1700 Menschen beim CSD in Erfurt vor drei Wochen. Auf den ersten Blick scheint die Akzeptanz verschiedener Geschlechtsidentitäten und sexueller Orientierungen langsam in der Gesellschaft angekommen zu sein. Auch wenn das zumindest in Teilen die Realität sein wird (hallo links-grüne Studi-bubble), gibt es eben noch eine andere Seite, die zeigt, dass Vielfalt und Akzeptanz manchmal immer noch mehr Schein als Sein sind. Denn verschiedene Studien zeichnen ein etwas anderes Bild. Ein Bild jenseits von vielleicht gut gemeintem, teils profitorientiertem Regenbogenkitsch und gut besuchten CSD-Umzügen. Nämlich das einer Gesellschaft, in der das Ideal der Heteronormativität und Probleme mit Homophobie kein Schnee von gestern sind. Und das auch – oder vielleicht besonders – im grünen Herzen Deutschlands.

Über (nicht vorhandene) queer spaces in Thüringen

Zwar gibt es auch im Freistaat schon länger verschiedene Projekte oder Vereine. Dazu zählen ehrenamtliche Initiativen und Vereine wie der „QueerWeg“, die Aidshilfe Thüringen, Angebote verschiedener Selbsthilfegruppen und Frauenzentren, das Queere Jugendzentrum „QuWeer“ in Weimar, die Queere Bibliothek Jena, der Verein „Trans-Inter-Aktiv Mitteldeutschland“ und Hochschulgruppen wie „QueErfurt“. Letztere ist eine queer-feministische Hochschulgruppe der Fachhochschule Erfurt und ihr haben wir die Idee zu dieser Themenreihe zu verdanken. Nichts der bisherigen Projekte ist aber mit dem Queeren Zentrum vergleichbar. Die wenigen existierenden Initiativen sind entweder größtenteils unbekannt, erreichen trotz wichtiger Projekte nicht ganz Thüringen und werden nur von ehrenamtlichem Engagement getragen. Die Infrastruktur von Beratungs- und Anlaufstellen im Freistaat war also bisher wenig ausgebaut. Hinzu kommen Diskriminierungserfahrungen queerer Menschen, die sich in unterschiedlicher Form besonders häufig an (Aus-)Bildungsort oder in der Öffentlichkeit abspielen. Bei einer Befragung des Vereins „QueerWeg“ im Jahr 2017 gab fast die Hälfte der Menschen, die sich als LGBTIQ* identifizieren, an, schon mindestens einmal aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung diskriminiert worden zu sein.

Gepaart mit dem Mangel an spezifischen und an die Bedürfnisse von LGBTQ*-Personen angepassten Einrichtungen führte das in der Vergangenheit vereinzelt sogar so weit, dass sich Menschen gezwungen sahen, ihre Heimatorte zu verlassen – auf der Suche nach Orten, an denen sie ihre Identität nicht verstecken brauchen und Angebote für queere Menschen wahrnehmen können. So erging es Vera Ohlendorf, die sich selbst als „Exil-Erfurter*in“ bezeichnet. Die gebürtige Thüringer*in verließ Erfurt Anfang der 2000er aus genannten Gründen und lebt mittlerweile in Leipzig, von wo aus sie für die Landesarbeitsgesellschaft Queeres Sachsen e.V. arbeitet. * Unterschiedliche geschlechtliche Identitäten und sexuelle Orientierungen werden in Thüringen heute mehr akzeptiert als das noch vor 20 Jahren der Fall war. Trotzdem passiert Diskriminierung. Trotzdem kommt es vor, dass Menschen sich mit ihrer Identität und Identitätssuche einsam fühlen.

Alles muss mensch selber machen

Damit ist jetzt Schluss. Diese Einsamkeit und das Gefühl der Isolation will das Queere Zentrum auffangen. Aber mal langsam, springen wir drei Jahre zurück. Die Idee für ein Queeres Zentrum in Thüringen ist während der CSD-Woche 2018 in einer Zukunftswerkstatt geboren worden. Eine Hand voll Menschen aus der LGBTIQ*-Community traf erste Überlegungen zu einem solchem Zentrum und orientierte sich dabei an Vorbildern aus anderen Bundesländern, unter anderem an dem Verein RosaLinde Leipzig e.V. Dem hat die frisch gebackene Initiativgruppe nämlich einen Besuch abgestattet und war sich danach sicher: so etwas wollen wir auch bei uns in Erfurt. Im gleichen Jahr verabschiedete die Thüringer Landesregierung das Programm für Akzeptanz und Vielfalt, infolgedessen eine LGBTIQ*-Koordinierungsstelle eingesetzt wurde. Diese ist unter anderem für die Vernetzung und Unterstützung verschiedener Träger zuständig – so beispielsweise auch für den „QueerWeg e.V.“, den Träger des Queeren Zentrums.  Drei Jahre und viel Engagement der Initiativgruppe hat es gebraucht, bis Konzept und Strategien des Zentrums fertig ausgearbeitet waren, Mittel bereitgestellt und die Türen der Johannesstraße 52 vor zwei Wochen endlich geöffnet werden konnten.

Johannesstraße 52 – die Anlaufstelle für queere Menschen und alle Interessierten
Hoffnung in Sicht: das Queere Zentrum Erfurt

Thüringen ist damit das letzte Bundesland mit einem Queeren Zentrum oder einer vergleichbaren Einrichtung, die sich den Anliegen der LGBTIQ*-Community annimmt. Seine Eröffnung ist deshalb sowohl für die LGBTIQ*-Community als auch für die gesamte Zivilgesellschaft in Thüringen ein historischer Moment. Das Queere Zentrum Erfurt hat sich als Aufgabe gesetzt, von nun an „ein sichtbares und vorbildliches Zeichen für Freiheit, Respekt, Vielfalt und Chancengleichheit“ zu setzen. Es ist ein Ort der Ansprechbarkeit, an den sich queere Menschen mit ihren Anliegen und Bedürfnissen wenden können. Konkret bietet es Beratung, Bildung und Begegnung für queere Menschen sowie alle Interessierte. Zum Beratungsbereich zählen sowohl persönliche Face-to-Face-Beratung als auch Treffen in selbst organisierten Gruppen. Bildungsprojekte zur Sensibilisierung und dem Umgang mit LGBTIQ*-Themen werden beispielsweise für spezifische Fachkräftegruppen wie Lehrer*innen oder Verwaltungsmitarbeiter*innen angeboten. Angebote für die Community reichen von einer Schreibwerkstatt für queere Menschen, über Filmabende bis hin zu Workshops für verschiedene Altersgruppen. Das Queere Zentrum ist ein Raum, in dem queere Menschen sie selbst sein können, sich mit anderen treffen und austauschen können, die vielleicht ähnliche Gedanken und Sorgen haben. Marina Schulz ist für jegliche Koordinationsaufgaben zuständig. Für sie sind eine aktive Mitgestaltung durch die Community und das Einbringen von eigenen Ideen und Projekten besonders wichtig. Es geht dabei auch darum, alle Perspektiven miteinzubringen, weil das Team selbst nicht alle Aspekte von LGBTIQ* abdecken kann.

Es hadert wie so oft – an der Finanzierung

Aber ein Problem gibt es da noch. Anscheinend schätzen nicht alle (hust, manche Politiker*innen) die Relevanz des Queeren Zentrums gleichermaßen ein. Das Queere Zentrum wird aktuell vom Land Thüringen gefördert. Begegnungen (also das physische Zusammenkommen von Menschen) im Zentrum will das Land aber nicht fördern mit der Begründung, dass hier nur die Erfurter Bevölkerung teilnähme und sie daher in den Zuständigkeitsbereich der Stadt fallen. Die wiederum ist aber bisher nicht bereit gewesen, dem Queeren Zentrum Mittel zur Verfügung zu stellen. Und auch ein weiteres Sorgenkind in puncto Geld wirft einen Schatten auf die Eröffnung des Zentrums: Gerade wird im Landtag der Haushalt für 2022 diskutiert. Noch steht nicht fest, ob und wenn ja, wie hoch die finanzielle Förderung des Queeren Zentrums für das kommende Jahr sein wird. Das wird sich voraussichtlich erst Anfang 2022 zeigen und damit auch, wie die Zukunft des Queeren Zentrums aussehen wird. Marina findet: „Es ist ein Unding, dass das Land Thüringen erst etwas fördert und mit aufbaut und dann aber unklar ist, wie es weiter geht. Eigentlich müsste klar sein: Wir haben das angefangen, also führen wir das natürlich weiter.“ 

Bunt war´s auch bei der Eröffnungsveranstaltung des Queeren Zentrums vor zwei Wochen
Was die Zukunft bringt?

Trotz dieser Unsicherheit und dem spürbaren Unmut über die Politik überwiegt erst einmal die Freude über die Eröffnung, das große Interesse der Öffentlichkeit am Zentrum und ein gesunder Optimismus. Marina hofft, dass das Queere Zentrum Erfurt nicht das einzige seiner Art in Thüringen bleibt. Sie wünscht sich den Aufbau weiterer Anlaufstellen, die über zusätzliche Kapazitäten verfügen, um Projekte nicht nur punktuell umsetzen und dann auch wirklich in den ländlichen Raum wirken zu können. Außerdem wünscht sie sich für das Queere Zentrum, dass über die queere Community hinaus Allianzen entstehen und gemeinsam mit anderen Initiativen, die ihren Fokus auf Themen wie Flucht oder Menschen mit Be_hinderung haben, intersektional an Themen und Projekten gearbeitet wird.

Bei aller Euphorie bleibt abzuwarten, wie es für das Queere Zentrum im neuen Jahr weiter geht und ob es wirklich eine langfristige Perspektive darstellt, wie es auf der Website betont wird. Auch wenn die Zukunft des Zentrums also gewissermaßen in den Sternen steht, sind wir voller Hoffnung, dass der Regenbogen in der Johannesstraße 52 nicht nur eine kurzweilige Erscheinung bleibt. Und vielleicht kann das Zentrum dann auch weiter über Erfurt hinauswirken. Schon jetzt sind telefonische oder Online-Beratungen möglich, Workshops sollen für Schulen in ganz Thüringen angeboten werden. Außerdem sind für das Jahr 2022 bereits Partnerschaften mit zwei thüringischen Städten angedacht und Veranstaltungen auch außerhalb Erfurts geplant. „Momentan ist eine flächendeckende Angebotsstruktur aufgrund der begrenzten Personalstellen leider nicht möglich“, sagt Marina. Wir hoffen mit ihr, dass das im nächsten Jahr angegangen werden kann – und nicht nur die REWE-Fahnen thüringenweit regenbogenfarben im Wind wehen.

*Als Projektmitarbeiterin hat Vera die Ausstellung „Solche Leute gibt´s hier nicht“ , die das Leben queerer Menschen im ländlichen Raum Sachsens sichtbar machen will, mitorganisiert. Die Ausstellung ist noch bis zum 19. November in der Johannesstraße 52 oder online zu sehen.

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