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Mentale Gesundheit und Queer-Sein

UNGLEICH X QueErfurt

Triggerwarnung: Dieser Text beschäftigt sich mit Depressionen, Angststörungen und Suizidgedanken. Betroffene oder Menschen, die das potentiell belastet, sollten eventuell nicht weiterlesen. Am Ende des Textes gibt es Infos zu kostenlosen und anonymen Beratungsstellen.

Wichtige Fakten vorab
Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, welche sich psychotherapeutisch behandeln lassen, hat sich innerhalb der letzten elf Jahre mehr als verdoppelt. Psychische Probleme können sich z.B. als Depressionen, Ess-, Angst-, Belastungs- und Anpassungsstörungen äußern. Das Risiko, psychische Erkrankungen zu entwickeln, ist bei sexuellen Minderheiten (LGBTQ+) wesentlich höher, als bei Personen, die sich als heterosexuell und cisgender definieren. Ursachen dafür können erlebte oder befürchtete Diskriminierung, erhöhter Stress oder ein geringes Selbstwertgefühl sein. Denn Menschen, die nicht den heteronormativen Erwartungen entsprechen, werden auch im Jahr 2021 immer noch diskriminiert und Opfer psychischer und physischer Gewalt. Die sexuelle Orientierung wie auch die Geschlechtsidentität selbst, ist jedoch nicht die Ursache für psychische Erkrankungen und sie bedarf auch keiner Therapie. Ganz im Gegenteil: So genannte Konversionstherapien sind wirkungslos und gefährlich (Neurologen und Psychiater im Netz, 2019). 

Mein Erfahrungsbericht

Im Alter von 14 Jahren bin ich auf ein Internat mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt gegangen. Diesen Punkt sehe ich als Beginn meiner Geschichte an. Um diese zu verstehen, muss ich inhaltlich etwas ausholen. Ich war sehr gut in der Schule und hatte einen hohen Leistungsanspruch an mich selbst. Umgeben von vielen neuen Mitschüler:innen, die meiner Wahrnehmung nach alle noch intelligenter waren als ich, gehörte ich in der neuen Schule nicht mehr zur Leistungsspitze. Die Lehrer:innen machten uns enormem Druck, mit dem ich nicht gut umgehen konnte. Ich hatte noch nie ein angemessenes Selbstwertgefühl, aber dieser Druck ließ mich noch stärker an mir zweifeln. Erschwerend kam das Internatsleben hinzu. Ich war nicht mehr in meiner gewohnten Umgebung, weg von meiner Familie und meinem Zuhause, in einem Internatszimmer mit fünf anderen Mädchen. Ich wollte nicht an diesem Ort sein, aber ich hatte auch nicht die Kraft, wieder an meine alte Schule zurückzukehren. In meinen Augen hätte ich damit versagt. Ein Teufelskreis. Ich wurde depressiv und verschiedene Ängste begleiteten meinen Alltag. Ich lebte nicht mehr, sondern existierte nur noch. In meiner Freizeit lag ich oft in meinem Bett und hatte kaum Energie etwas zu machen. Jeder Tag war eine Überwindung und ein scheinbar endloser Kampf. Ein Zustand, der so nicht weiter gehen konnte. 


Der Weg zur Psychotherapie 

Der Entschluss eine Psychotherapie zu beginnen, war kein leichter, jedoch der einzig richtige, um mich selbst zu retten. Ich hatte Glück und bekam recht zeitnah einen Termin bei einer tollen Psychotherapeutin. Zum ersten Mal in meinem Leben gab es einen Raum, in dem ich alle meine Gefühle ungeschönt äußern konnte. Wo ich weinen und zweifeln durfte, ohne mich rechtfertigen zu müssen. Die Therapie half mir sehr, aber mein Alltag in der Schule und dem Internat hatte sich nicht verändert. Deshalb ging es mir zunehmend schlechter.

Mit 16 Jahren war ich am Tiefpunkt angekommen. Ängste bestimmten meinen Tagesablauf. Minutiös plante ich jede Aktivität, wägte Eventualitäten ab, überlegte, wen ich treffen und welche Herausforderungen auf mich zukommen könnten. Das Leben im Internat und der ständige Leistungsdruck gaben mir den Rest. Ich konnte und wollte nicht mehr. Suizidgedanken waren meine täglichen Begleiter. Das ging bis zu dem Tag, an dem mir mein Körper einen Strich durch die Rechnung machte. Mein Papa wollte mich gerade ins Internat fahren, als ich mich nicht mehr bewegen konnte, obwohl ich es wollte. Mein Körper war ausgelaugt und kraftlos, vom täglichen Kampf gegen die Dämonen in mir. Und so fasste ich in Absprache mit meiner Therapeutin und meiner Familie den Entschluss, die 11. Klasse als externe Schülerin zu wiederholen und erstmal wieder zu Hause zu wohnen. 

Neben all diesen psychischen Symptomen schlummerte tief in mir noch dieser Brocken, der mir die Luft zum Atmen nahm und mir die Brust zuschnürte. Eigentlich wusste ich es schon immer. Ein Satz, den man von vielen Menschen hört, die sich als Teil der LGBTQ+ Community identifizieren. Und genauso war es auch bei mir. Nur wollte ich es lange Zeit nicht wahrhaben und habe mich nicht getraut, es laut auszusprechen. „Ich stehe auf Frauen.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich noch in ein Mädchen aus meiner Internatsklasse verliebt.

Aber auch diesbezüglich gab mir die Therapie einen sicheren Raum, über meine Ängste, Gefühle und Gedanken zu reden, ohne verurteilt zu werden. Kraft hat mir außerdem die Musik gegeben, vor allem Lieder wie „She keeps me warm“, „Take me to church“ oder andere, die gleichgeschlechtliche Liebe thematisieren. Lieder, in die ich mich flüchten konnte und die mir für einen Moment das Gefühl von Geborgenheit und Nähe gaben. Gefühle, die ich in meinem kalten, tristen Alltag nicht fühlte. Ich malte mir Bilder und Geschichten aus von mir und meiner zukünftigen Freundin, doch das alles passierte leider nur in meinem Kopf.  

Mein Coming-out

Bei den meisten Menschen verläuft das Coming-out in zwei Phasen. Dem inneren und dem äußeren Coming-out. Das innere Coming-out umfasst das eigene Bewusstwerden der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität. Das äußere Coming-out ist dadurch geprägt, dass man Menschen des sozialen Umfeldes die Orientierung oder Identität mitteilt. 

Ich hatte nicht dieses eine „typische“ Coming-out, sondern viele kleine und bis heute gibt es immer noch Momente, in denen ich mich oute, bzw. mich anderen Personen im Hinblick auf meine sexuelle Orientierung erkläre. Die erste Person, die von meinen Gefühlen für Mädchen erfuhr, war meine Mama. Ich war 15 und wir befanden uns, samt leichtem Alkoholgehalt im Blut, auf dem Heimweg von einem Stadtfest. Ich bat sie darum, es niemandem zu erzählen. Das tat sie auch. Es folgten Outings bei meinen engsten Freund:innen und Klassenkamerad:innen. Alle verliefen unkompliziert und es gab nur positive Reaktionen. Mehr Probleme hatte mit dem inneren Coming-out und dem Gefühl, ich müsse mich vor mir selbst rechtfertigen. Die Frage, die ich mir immer wieder stellte, war: „Wie kann ich denn davon ausgehen, dass ich lesbisch bin, wenn ich noch nie etwas mit einem Mann hatte?“ Ich sehnte mich nach einer Beziehung, nach Nähe und Geborgenheit. Aber in unserer Provinzstadt gab es weder eine queere Szene, noch kannte ich andere queere Jugendliche. 

Meine Entwicklung

Im Alter von 18 Jahren ging es mir psychisch wieder besser. Ich überwand meine Depression und auch die Angststörungen wurden weniger. Nach und nach stieg auch mein Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl. Ich meldete mich auf diversen Datingplattformen an, um erste Kontakte zu anderen Frauen zu knüpfen. Endlich fand ich, zumindest in der virtuellen Welt, Mädchen und Frauen, die vor ähnlichen Herausforderungen standen wie ich, und mit denen ich mich offen und ehrlich austauschen konnte. Ich beendete erfolgreich meine Schule und begann ein Freiwilliges Soziales Jahr. Und wie durch einen Zufall, stand sie irgendwann das erste Mal vor mir. Den Abend, nach unserem ersten Kuss, werde ich nie vergessen. Das Band, was sich über Jahre hinweg immer enger um meinen Brustkorb geschnürt hatte, war vom einen auf den anderen Moment weg. Endlich konnte ich frei atmen. 

Und jetzt?

Ich bin glücklich. Ein Satz, den ich lange Zeit nicht über mich sagen konnte. Ein Gefühl, das ich sehr lange Zeit nicht gefühlt habe. In mir war nur Leere. Was mir mein Weg zeigte und was für Menschen, die sich aktuell in ähnlichen Situationen befinden, auch gilt: Es wird besser. Ich weiß, dass dieser Satz abgedroschen klingt und man ihn in einer Situation, in der es einem schlecht geht, nicht hören möchte. Aber das ist die Wahrheit. Ich bin in einer glücklichen Beziehung, kann offen über meine sexuelle Orientierung sprechen und verstecke mich nicht mehr. Natürlich gibt es hin und wieder Krisen und schlechte Tage, aber ich habe das Wissen, wie ich damit umzugehen habe. 

Wenn du gerade in einer ähnlichen Situation steckst, wie ich damals, es dir psychisch nicht gut geht oder du feststellst, dass du schwul, lesbisch, trans, bi, inter etc. bist, dann gib dir Zeit. Nichts ist wichtiger, als Zeit. Hast du das Gefühl, die Sorgen und Ängste wachsen dir über den Kopf und du kommst da von alleine nicht mehr raus? Dann such dir Hilfe. Das ist absolut nichts Verwerfliches und der erste Schritt in die richtige Richtung, denn das Leben ist nicht grau, schwer und trüb, sondern das Leben macht Spaß und ist voller toller Momente und Augenblicke. Auch wenn du denkst, dass du einfach mal mit jemandem über deine Gefühle sprechen möchtest, ohne dass du die Notwendigkeit oder den richtigen Zeitpunkt einer Therapie siehst, dann gibt es Beratungsstellen, die dir ebenfalls weiterhelfen können, wie z.B. das Queere Zentrum oder pro familia in Erfurt. Du bist, wer du bist und das ist gut so. 

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