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Ein Leben für den Leistungssport: Junge Wintersportler:innen in Oberhof 

Bei den olympischen Winterspielen dieses Jahres gingen neun Medaillen an Sportler:innen aus Oberhof. Das Wintersportgebiet in Thüringen ist allerdings nicht erst seitdem bekannt. Schon zu DDR-Zeiten wurden hier viele Größen des Wintersports ausgebildet, wie zum Beispiel der Biathlet Frank Ullrich – mehrfacher Olympia-Goldmedaillenträger und heutiger Bundestagsabgeordneter.

In diesem Artikel soll es um junge Menschen aus Thüringen gehen, die ihr Leben dem Leistungssport widmen. Hierfür haben drei Wintersportler:innen über ihre Ausbildung im Sportinternat, ihre Anstellung bei der Bundeswehr, ihren Alltag in Oberhof und die Rolle der mentalen Gesundheit im Sportsektor berichtet. 

Ludwig Mannhardt (22) ist professioneller Skeletonfahrer (so genannter Skeletoni). Bei dieser Sportart, die zum Bobsport gezählt wird, legt sich der Athlet bäuchlings, mit dem Kopf voran, auf einen besonderen Rodelschlitten und fährt durch einen Eiskanal. Bei der letzten Junioren- Weltmeisterschaft belegte Ludwig den sechsten Platz, zudem landete er schon zweimal auf dem vierten Platz bei der Junioren-Europameisterschaft und war mehrfach deutscher Juniorenmeister. 

Emilia Görlich (19) ist Nordische Kombiniererin. Sie hat sich also sowohl auf das Langlaufen als auch auf das Skispringen spezialisiert. Da die Nordische Kombination bis heute bei der Olympiade nur von Männern ausgeübt wird, gilt Emilia als eine der Pionierinnen ihrer Sportart und war schon auf vielen internationalen Wettkämpfen unterwegs. So hat sie 2019/20 bei der Junioren- Weltmeisterschaft teilgenommen und wurde in der gleichen Saison Fünfte bei den Youth Olympic Games. 

Tim Wolter (22) ist Biathlet und war, bis er letztes Jahr zu alt wurde, Teil der Jugendnationalmannschaft Deutschlands. Weil Biathlon eine weiter verbreitete Sportart ist, ist er hauptsächlich auf nationalen Wettkämpfen unterwegs. Er hat aber auch – wie die anderen – das Ziel, eines Tages bei den olympischen Winterspielen teilzunehmen. 

Ausbildung auf dem Sportinternat

Das Sportinternat in Oberhof hat eine lange Tradition. Schon zu DDR-Zeiten – damals noch Kinder- und Jugendsportschule genannt – wurden junge Menschen hier zu Profisportler:innen ausgebildet. Die Schule fördert ausschließlich Wintersportarten: Biathlon, Langlauf, Nordische Kombination, Skisprung, Rennrodeln, Skeleton, Bob sowie Schieß- und Bogensport werden dort als Disziplinen trainiert.  Aktuell besuchen 208 Schüler:innen das staatliche Gymnasium, von denen 150 im Internat untergebracht sind. Je nach Sportart kommen sie normalerweise zwischen der fünften und der achten Klasse auf die Schule, um ihren Schulalltag besser mit dem Sport vereinbaren zu können.

Auch Ludwig, Emilia und Tim sind im Laufe ihrer Schulzeit von ihren heimischen Schulen auf dem Thüringer Land auf das Sportinternat in Oberhof gewechselt. 

„Du lernst, schon früher reif und selbstständig zu sein. Dort oben ist man letztlich eine kleine Familie.“

Sie sind sich einig, dass ihr Besuch im Sportinternat der einzige Weg war, um wirklich Erfolge im professionellen Leistungssport zu erzielen, da man so schon in jungen Jahren viel lernen kann und Zugang zu diversen Trainingsmöglichkeiten hat.

Alle drei geben an, kaum Heimweh gehabt zu haben: „Heimweh hatte ich eigentlich gar nicht, es war eher aufregend für mich auf dem Internat, wie ein Abenteuer“, so Emilia. Bei Problemen haben sie vor allem ihre Freund:innen als Bezugspersonen gesehen. Durch den strikten Tagesablauf (feste Essens-, Trainings- und Hausaufgabenzeiten) müssen die Kinder auf der Schule schon früh Eigenständigkeit und Disziplin lernen. „Du lernst, schon früher reif und selbstständig zu sein. Dort oben ist man letztlich eine kleine Familie“ bestätigt Tim.

Tim (links) beim Verfolgungswettkampf des Deutschlandpokals, 2022. Bild: Robert Zurawski

Zwar wurden die Erzieher:innen primär als Autoritäts- und nicht als Elternfiguren gesehen, trotzdem herrschte zum Teil ein inniges Verhältnis: „Im Endeffekt haben mich in der Zeit ja die Erzieher, und nicht meine Eltern, erzogen. Ich habe mehr Kontakt zu denen gehabt als zu meiner Familie“ meint Ludwig.  Emilia erzählt, dass sie sich immer noch regelmäßig mit zwei der ehemaligen Erzieherinnen trifft.

Die Klassen auf dem Sportinternat sind, im Vergleich zu anderen Schulen, sehr klein. In Ludwigs Klasse gingen anfangs nur sieben Schüler:innen – ohne Parallelklassen. Dadurch war der Unterricht familiärer, aber auch intensiver als in anderen Schulen: “Der Nachteil daran ist: Wenn verschiede Sportarten auf Wettkämpfen sind, sitzt du alleine oder zu zweit im Unterricht”, so Tim.

Während in der Mittelstufe nur fünf Mal in der Woche nachmittags trainiert wird, haben die Schüler:innen in der Oberstufe bereits drei Mal in der Woche zusätzlich vormittags Training. Um diese acht Trainingseinheiten in der Woche unterbringen zu können, geht die Schulzeit hier länger als in anderen Gymnasien Thüringens – also bis zur 13. Klasse.

„Ich war in meinem Abiturjahr von September bis Februar, wenn es hoch kommt, 20 Tage in der Schule.”

Viele der Schüler:innen sind in der Oberstufe häufig auf Wettkämpfen unterwegs. Ludwig, der zu dieser Zeit bereits im Europacup angetreten ist, hatte in der Oberstufe kaum Freizeit: „Ich war in meinem Abiturjahr von September bis Februar, wenn es hoch kommt, 20 Tage in der Schule“. Die Lehrkräfte sind daran gewöhnt und geben den Athlet:innen Aufgabenstellungen zum selbstständigen Bearbeiten mit. Dafür ist gute Selbstorganisation nötig. „Manchmal fiel es mir schwer, mich voll auf den Wettkampf zu konzentrieren, wenn ich im Hinterkopf hatte, dass ich in der darauffolgenden Woche innerhalb von zwei Tagen drei Klausuren nachschreiben muss. Oft hat man einen langen Tag hinter sich, musste noch seinen Schlitten präparieren, alles vorbereiten und dann ist es schon später Abend, wenn man sich noch zum Lernen hinsetzt.”

Die Doppelbelastung durch Sport und Schule führte häufig zu Stress: „Du hast ja den Druck von der Schule, gute Noten abzuliefern. Aber auch den Druck, im Sport gute Leistungen zu erbringen. Ich war zu 100 Prozent auf Sport und Schule konzentriert. Das erste Mal Freizeit hatte ich in der letzten Schulwoche. Da konnten wir dann mal richtig durchatmen und auch feiern und etwas trinken“, so Ludwig.

„Früher war es schon härter. Da kam mehr Druck vom Staat und es wurde damals noch rigoroser aussortiert.“

Zwar wurden die Jugendlichen mit Druck und Anstrengung konfrontiert, jedoch achtet man heute im Leistungssport viel mehr auf die Bedürfnisse der einzelnen Sportler:innen als in der Vergangenheit. Tim, dessen Eltern bereits in der DDR Sportgymnasien besuchten, meint: „Früher war es schon härter. Da kam mehr Druck vom Staat und es wurde damals noch rigoroser aussortiert. Mittlerweile achtet man mehr auf unser körperliches Wohlbefinden“. Auch Emilia sieht die Lage heute entspannter: „Unsere Trainer haben gut darauf geachtet, dass es nicht zu viel wurde. Mir haben die Struktur und der Ausgleich von Schule und Sport eigentlich gut gefallen“.

Emilia Görlich in der Einkleidung des deutschen Teams

Alle drei sind froh, dass sie auf das Internat gegangen sind. Ludwig sieht seine Schulzeit rückblickend sehr positiv: „Die Internatszeit möchte ich nicht missen, das war bisher echt die schönste Zeit meines Lebens.“

Heutige Situation

„Wir sind wahrscheinlich die einzige WG in Oberhof“

Auch heute noch leben Emilia, Ludwig und Tim in Oberhof. Ludwig ist nach seinem Abitur mit zwei Rodlern in eine WG in Oberhof gezogen: „Wir sind wahrscheinlich die einzige WG in Oberhof. Nach dem Abitur muss man sich fragen, ob man wirklich Leistungssportler werden will und ob man auch eine gute Perspektive damit hat. Da wählen viele lieber den Weg abseits des Sports. Aus unserer Klasse haben im Leistungssport nur vier von dreizehn Leuten weitergemacht“. Ludwig ist immer noch viel auswärts auf Wettkämpfen eingebunden. Zwischen September und Weihnachten ist er insgesamt circa eine Woche in Oberhof. Im Moment fokussiert er sich ganz auf den Sport, möchte aber irgendwann anfangen zu studieren – „irgendwas mit Sport, vielleicht Sportmanagement“.

Ludwig beim Start des Europacuprennens, 2021. Bild: stepro.photo

Emilia ist schon mit 17 Jahren aus dem Internat ausgezogen. In ihrem letzten Schuljahr 2020 mussten alle Schüler:innen das Sportinternat aufgrund der Corona-Situation verlassen und so blieb ihr nichts anderes übrig, als zurück zu ihren Eltern zu ziehen. Dort konnte Emilia aber nur eingeschränkt trainieren: „Wir haben es wirklich versucht. Unser Trainer hat uns sogar Gewichtsstangen nach Hause gebracht, aber so richtig gut ging das Training nicht.“ Schließlich beschlossen sie und die andere Nordische Kombiniererin ihrer Schule, zusammen nach Oberhof in eine eigene Wohnung zu ziehen. 

Alltag in Oberhof

Zwar gibt es auch im Sommer Wettkämpfe (beim Skispringen auf grünen Mattenschanzen und beim Langlaufen auf Rollskiern), die Hauptsaison ist aber trotzdem im Winter. Das Training fokussiert sich im Sommer bei allen dreien auf die Athletik, während im Winter die Disziplin selbst im Mittelpunkt steht. Ihr Tagesablauf besteht meistens aus Vormittags- und Nachmittagstraining mit Physiotherapie oder Materialversorgung zwischendurch. Zwar findet das Training meistens in kleineren Gruppen statt, jede:r hat aber einen individuell angepassten Trainingsplan.

Die Bundeswehrkaserne am Rennsteig. Foto: Karina Hessland

Hierher kommen die Sportler:innen regelmäßig zum Essen oder zur Physiotherapie. Insgesamt gibt es hier 82 Sportsoldat:innen (14 Frauen und 68 Männer).

Wettbewerbserfolge können den Sportler:innen Geld einbringen, beispielsweise von der deutschen Sporthilfe. Um sich den Lebensunterhalt zu finanzieren, gibt es vier gängige Wege für Sportler:innen: eine Anstellung bei Zoll, Bundeswehr, Landes- oder Bundespolizei. Tim, Emilia und Ludwig werden alle von der Bundeswehr finanziert. Tim hat als einziger die normale Grundausbildung als Soldat gemacht, wird aber für den Sport vom Dienst freigestellt. Für ihn liegt der Vorteil darin, neben dem Sport studieren zu können. Emilia und Ludwig wurden in die Sportfördergruppe der Oberhofer Bundeswehr aufgenommen – trotz begrenzter Platzzahl und regelmäßigen Leistungsnachweisen. Von den Aufgaben normaler Soldat:innen sind sie freigestellt. Die Zeit nutzen sie zum Trainieren. Finanziell machen sie sich keine Sorgen: Die Mieten in Oberhof seien im Vergleich zu Erfurt sehr günstig.

Tim Wolter beim Sprintwettkampf des Deutschlandpokals, 2022. Bild: Robert Zurawski

Im Moment fokussiert sich Emilia komplett auf den Sport, sie möchte aber auch in diesem Jahr anfangen, Bauingenieurwesen zu studieren. Hierfür muss sie sich einen Mehrjahresplan für die Bundeswehr anlegen, worin sie ihre sportlichen Ziele während des Studiums darlegt: „Ich versuche es so zu timen, dass ich vor den nächsten olympischen Spielen fertig werde, oder ich lege dann ein Urlaubssemester ein.“

Leben in Oberhof 

Mit ihrem Leben in Oberhof sind die drei größtenteils zufrieden: „Für einen Sportler ist es wirklich perfekt, hier zu leben. Würde ich keinen Wintersport machen, würde ich nicht hier wohnen wollen, weil einfach nichts los ist“, so Emilia. 

„Hier triffst du immer nur die gleichen Leute. Deine paar Mann – du kennst alle.“

Auch Tim fehlt das Großstadtfeeling ein wenig: „Hier triffst du immer nur die gleichen Leute. Deine paar Mann – du kennst alle. Es ist nicht wie in Erfurt, dass du eine WG-Party machen kannst und da kommen dann schnell mal 30 bis 40 Leute.“ Jedoch stehe es im Winter nicht im Vordergrund, ausgehen zu können: „Ein großer Teil meines Freundeskreises ist auch im Leistungssport und im Winter ist dann eh jeder weg und unterwegs. Ich habe schon Lust feiern zu gehen, aber man ist oft kaputt und dann ist der Drang danach auch nicht so groß. Während der Saison trinke ich auch fast keinen Alkohol“.

„Außerhalb der Saison haben wir schon versucht, unsere Jugend auszuleben.“

Auch Ludwig genießt es, manchmal nach Erfurt zu fahren, um unter Leute zu kommen und am Wochenende in ein Café oder eine Bar zu gehen: „Das hast du hier gar nicht. Nur der Sport, ansonsten gibt es nicht viel. Es gibt ungefähr 30 Leute in unserem Alter, die hier wohnen. Ansonsten leben hier nur die Schüler und ein paar junge Familien, der Rest sind ältere Menschen. Es gibt eine Bar, da treffen wir uns manchmal, da sind wir dann aber immer unter uns Sportlern. Im Sommer gibt es auch manchmal eine Hausparty.“ 

Angst etwas zu verpassen, verspürt Emilia trotzdem nicht: „Ich kann nicht sagen, dass ich zu viel verpasst hätte. Wir sind ja hier mit Gleichgesinnten und wir versuchen, uns die Zeit so schön zu machen, wie es geht. Außerhalb der Saison haben wir schon versucht, unsere Jugend auszuleben“. Auch Ludwig und Tim sind mit ihrem Leben in Oberhof größtenteils zufrieden: „Wir haben uns ja bewusst dazu entschieden, hier zu leben.“

Mentale Gesundheit

„Die Leute sollten dich nicht nur wegen dem Sport mögen.“

Die Drei sind sich einig, dass die mentale Gesundheit ein wichtiger Punkt beim Leistungssport ist. Tim hat mit der Zeit gelernt, gut mit dem Druck und der Belastung umzugehen: „Du kannst körperlich der beste Sportler sein, aber wenn du mental nicht fit bist, hast du keine Chance“. Zwar ist jeder mal enttäuscht nach einem schlechten Wettkampf, aber in seinen Kreisen können alle ganz gut mit dem Druck umgehen. „Es ist wichtig, dass man mich immer noch als normalen Menschen sieht, und nicht nur als Leistungssportler. Die Leute sollten dich nicht nur wegen dem Sport mögen“. Unter seinen Freund:innen spürt Tim kein Konkurrenzdenken, auch von der Familie kommt wenig Druck.

„Ohne ein funktionierendes Team im Hintergrund wäre selbst der beste Sportler nur halb so gut“, so Ludwig.

Ludwig (links) mit seinem Techniker. Bild: stepro.photo

Ludwig hat besonders bei Wettkämpfen hohe Anforderungen an sich selbst: „Ich will natürlich gewinnen, um den anderen zu zeigen, was ich draufhabe. Bei internationalen Wettkämpfen will ich auch mein Land gut vertreten, und die Leute, die hinter mir stehen und mich unterstützen“. Ludwig und Emilia haben sich im letzten Jahr sportpsychologische Betreuung gesucht. Hier haben sie sich verschiedene Techniken erarbeitet, um bei einem Wettkampf mit der psychischen Belastung umgehen zu können und lockerer zu sein. 

 „Wenn Geld mit dranhängt, tritt nochmal mehr Druck auf.“

Für Emilia war es ein wichtiger Schritt, sich Hilfe zu holen. Seitdem sie mehrmals beim Skispringen gestürzt war, hatte sie Schwierigkeiten, ihre Leistungen auf die Schanze zu bringen. „Ich sag es immer so: Mein Kopf ist mein größter Gegner. Dadurch, dass ich in der letzten Saison viel mit Stürzen zu kämpfen hatte, ist mein Selbstvertrauen etwas verloren gegangen. Jetzt habe ich meine Angst wieder relativ gut in den Griff bekommen, sodass ich ohne Furcht auf die Schanze gehen kann“.

Emilia beim Continental-Cup in Eisenerz, Österreich 2021

Sich jährlich erneut für die Sportfördergruppe der Bundeswehr qualifizieren zu müssen, steigert den Leistungsdruck durch die finanzielle Abhängigkeit: „Wenn Geld mit dranhängt, tritt nochmal mehr Druck auf. Erst durch den Kader-Status kann man bei Lehrgängen mitfahren, sonst müsste man das alles selbst finanzieren und das wäre teuer. Auch was das Material betrifft: Durch den Kader bekommen wir drei Springanzüge im Jahr. Einer davon kostet mindestens 400 Euro“.

„Ich wünsche mir, dass das Thema mentale Gesundheit in Zukunft schon früher thematisiert wird.“

Sie ist eigenhändig auf ihren Trainer zugegangen, um ihn um psychologische Unterstützung zu bitten: „Ich wünsche mir, dass das Thema mentale Gesundheit in Zukunft schon früher thematisiert wird. Präventiver zu handeln wäre besser. Wenn man das schon im jüngeren Alter etabliert, entstehen irgendwelche Probleme vielleicht erst gar nicht“.  

„Während man von den absoluten Spitzenleuten weiß, dass sie Mentaltrainer haben, wird das in jungen Jahren noch zu wenig beachtet.“

Auch Ludwig findet, dass die psychische Gesundheit deutscher Leistungssportler:innen mehr in den Vordergrund gerückt werden sollte: „Während man von den absoluten Spitzenleuten weiß, dass sie Mentaltrainer haben, wird das in jungen Jahren noch zu wenig beachtet. Aber das ist natürlich ein extrem wichtiger Aspekt: Nur wer am lockersten und am selbstsichersten ist, gewinnt am Ende des Tages“. 

Ludwig Mannhardt (Platz 3) bei der Siegerehrung des Gesamteuropacups, 2022

„Bei uns, als Weltspitze, wird schon erwartet, dass wir absolute Profis sind.“

Emilias Status als eine der „Wegbereiterinnen“ für ihre Disziplin baut zusätzlichen Druck auf: Während die Profis in den anderen Disziplinen – wie Skeleton oder Biathlon – meist erst mit Ende 20 ihren Karrierehöhepunkt haben, sind die Nordischen Kombiniererinnen an der Weltspitze deutlich jünger. Zwar gibt es die Disziplin bei den olympischen Winterspielen für Männer schon seit knapp 100 Jahren, für Frauen wurde auf internationaler Ebene aber erstmals 2020/21 ein Weltcup veranstaltet. Aus diesem Grund ist die Besetzung meist noch sehr jung: „Bei uns, als Weltspitze, wird schon erwartet, dass wir absolute Profis sind. Das sind so Situationen, mit denen müssen sich andere Sportler in meinem Alter überhaupt nicht auseinandersetzen. Die haben noch ihre festen Juniorenwettkämpfe und bei uns geht es jetzt schon zu den gehobenen internationalen Wettkämpfen“, so Emilia.

„Man wollte immer mit den Jungs mithalten und den anderen beweisen, dass man an sie herankommt, obwohl man schon zu viel gegeben hatte.“

Wie sie auf die Sportart gekommen sei? „Ich konnte mich nicht für eine der beiden Disziplinen entscheiden, außerdem gab es ja auch Jungs, die beides gemacht haben.“ Auf dem ganzen Sportinternat gab es nur noch ein anderes Mädchen, das Nordische Kombination betrieben hat. Darum haben sie bis zur 11. Klasse mit den Jungs zusammen trainiert. „Als wir noch gemischt trainiert haben, haben wir Mädchen viel zu viel trainiert. Man wollte immer mit den Jungs mithalten und beweisen, dass man an sie herankommt, obwohl man schon zu viel gegeben hatte. Gerade beim Ausdauer- und Krafttraining hat man die Unterschiede deutlich gemerkt. Es wurde viel besser, als wir unser individuelles Training bekommen haben und besser auf unsere Körper hören konnten.“

„Unser Budget ist deutlich niedriger als das der Männer.“

Auch heute noch gibt es einen Unterschied zwischen Frauen und Männern: „Unser Budget ist deutlich niedriger als das der Männer. Wir müssen, wegen fehlenden Geldern Lehrgänge streichen und können nicht so viele Sportlerinnen mitnehmen, wie wir gerne würden. Die Männer hingegen bekommen sogar einen Golflehrgang finanziert”, beschreibt Emilia die aktuelle Situation. „Es entwickelt sich schon vieles, aber das könnte auch noch schneller gehen.“

Emilia bei der Deutschen Meisterschaft in Oberhof, 2021

„Es gibt keinen Arbeitsgeber, auf den man hören muss.“

Während die drei durch ihren durchgeplanten Alltag und natürlich durch Corona darunter leiden, ihre Familien und Freund:innen nur selten zu sehen, überwiegen für sie die positiven Seiten des Leistungssportner:innendaseins: So genießen sie vor allem das viele Reisen in unterschiedliche Länder: „Klar sieht man auf den Reisen eher die Sportstätten, aber ich habe schon viele Dinge erlebt, die andere in meinem Alter nie erleben werden“, so Emilia. Tim sieht auch einen großen Vorteil darin, jeden Tag mit seinen Freund:innen draußen in der Natur zu sein. Zudem seien Erfolgserlebnisse bei Wettbewerben ein unvergleichbares Gefühl. 

Tim bei der Siegerehrung vom Deutschlandpokal in Kaltenbrunn, 2022 (Platz 3). Bild: Robert Zurawski

Ludwig schätzt die Selbstständigkeit seines Berufs: „Es gibt keinen Arbeitgeber, auf den man hören muss“.  Für Emilia spielen auch die Werte, die man durch den Sport vermittelt bekommt, eine große Rolle: „Ich bin dankbar für den Ehrgeiz, die Disziplin und die Fairness, die man durch den Sport, die Wettkämpfe, das Training, aber auch das Leben im Internat vermittelt bekommt.“ 


Auf die Frage, welche Tipps sie jungen, angehenden Leistungssportler:innen geben können, sind die drei sich einig: Durchhaltevermögen sei sehr wichtig, und ein guter Umgang mit Rückschlägen. Man sollte niemals aufgeben und immer gut auf seinen Körper hören.  Emilia findet es auch wichtig, dass man nicht zu hart zu sich selbst ist: „Alles braucht seine Zeit. Solange der Sport einem Spaß macht und man dafür brennt, sollte man nicht aufgeben.”

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