Leute, es gibt Neues aus der Johannesstraße 52! Was da nochmal war? Hier hat im Oktober vergangenen Jahres das Queere Zentrum als Anlaufstelle für die LSBTIQ* Community und alle Interessierten seine Türen geöffnet. Nun wird ein knappes halbes Jahr später in denselben Räumlichkeiten der neueste Zuwachs gefeiert: Die Queer Bibliothek – zwei pastellfarbene Regale gefüllt mit queerer Literatur, Filmen und Spielen. Aki ist gelernte Bibliothekarin und war für den Aufbau, das Kuratieren, Auswählen und Zusammenstellen der Bücher zuständig. Mit ihr habe ich über die mangelnde Sichtbarkeit queerer Themen, die einseitige mediale Repräsentation queerer Charaktere und die Relevanz der Queer Bibliothek gesprochen.
Von Diversität auf Netflix und Co.
Nimmt man Netflix als Maßstab, könnte man meinen, es habe sich in den letzten Jahren schon viel getan, was die Repräsentanz queerer Personen in den Medien angeht. Orange is the new black, Sex Education, Tales of the City, Pose, Queer Eye – in diesen und jeder Menge weiterer Serien und Filme werden etwa Leben und Beziehungen homosexueller oder trans Charaktere dargestellt. Klar, im Fernsehmainstream des deutschen Abendprogramms (zumal Prime-Time) sieht es dagegen schon anders aus und auch auf dem Büchermarkt scheint ein Wandel eher langsamer von statten zu gehen. „Streaming-Dienste wie Netflix sind sehr schnell, Trends aufzugreifen und gesellschaftliche Themen zu verhandeln und deshalb vielleicht flexibler und nicht so starr wie der Büchermarkt“, vermutet Aki.
Auch wenn sich eine Veränderung allmählich – aber immerhin – abzeichnet, sei die Sichtbarkeit von queeren Personen in den Medien nach wie vor extrem ausbaufähig und die Repräsentation unausgewogen, findet Aki. Ein Blick auf Bestseller-Listen zeigt: Queere Literatur ist hier eindeutig mehr Ausnahme als Regel. Woran das liegt? Die Dominanzgesellschaft ist eine cis-hetero Gesellschaft, die tendenziell eher zu der Art Love Story greift, in der das (cis) Mädchen von nebenan einen Crush auf den (cis) Bad Boy hat, anstatt zu einer Romanze, in der sich der High School Hottie in ein trans Mädchen verliebt. Selbstverständlich können wir aber auch nichts lesen, über das nicht geschrieben wird. Rezeption und Produktion gehen also Hand in Hand. „Du rezensiert und verlegst eben die Literatur, die zu dir und deiner Lebensrealität spricht. Das sind unbewusste Mechanismen, die solche Prozesse beeinflussen“, sagt Aki. Es liegt also nicht unbedingt daran, dass es zu wenig gibt, sondern auch daran, dass queere Literatur (unbeabsichtigt?) zu wenig publiziert und damit letztlich zu wenig sichtbar gemacht wird.
Queer ist nicht gleich queer
Hinzu kommt, dass die mediale Darstellung von queeren Lebens- und Liebesweisen häufig einseitig ist. Es genügt nicht, dass queere Personen in Büchern und Filmen vorkommen, sondern es geht auch um die Art und Weise, wie sie dargestellt werden: „Es muss darum gehen, dass queere Themen nicht nur scheinbar, sondern ernsthaft inkludiert werden. Dass in einem Roman eine queere Protagonistin vorkommt, ihr Queersein aber kein Thema ist“, findet Aki. Ihre Queerness könne ein Teil der Identität von Figuren sein, solle sie aber nicht auf diesen Teil ihrer Identität beschränken, wie es häufig der Fall ist.
Wenn queere Personen in Büchern eine Bühne bekommen, dann handle es sich oftmals um Repressionsgeschichten, die Biographie einer schwulen Person in der NS-Zeit beispielsweise, in der es um Verfolgung und Repressalien geht. Queersein wird als Problem erzählt, es geht um Inakzeptanz und Diskriminierung. Oder es sind dramatisierte und überspitzte Narrative wie „die queere Person stirbt“ oder „der schrille Paradiesvogel“, die die mediale Repräsentation dominieren. Unnötig zu erwähnen, dass die Lebensrealität queerer Menschen unendlich vielfältiger ist, als sie in den Medien gezeigt wird. Ganz gleich, ob solche Geschichten einen Wahrheitsgehalt haben – solange sie die einzigen Erzählungen bleiben, sind sie gefährlich (herzlichster Konsumtipp an dieser Stelle: der wunderbare TED Talk „Danger of a single story“ von Chimamanda Ngozi Adichie). Gefährlich, weil eine solch einseitige Perspektive auf die LSBTIQ*Community die unbewusste (Re-)Produktion von Stereotypen bewirkt. Neben tragischen Erzählungen muss es deshalb auch lustige, romantische und inspirierende Geschichten geben. Werden queere Themen mit all ihren Widersprüchen und in ihrer Vielschichtigkeit dargestellt, entsteht ein diverseres öffentliches Bild. Das fördert Awareness und Akzeptanz in der Gesellschaft.
Queerness als Norm (was auch immer die Norm ist)
Dabei habe die mediale Repräsentation nicht nur einen Einfluss auf gesellschaftliche Normvorstellungen und Haltungen, sondern auch auf die Selbstbilder queerer Menschen. Wenn ihre Lebensrealitäten abgebildet werden, sie sich mit (fiktiven) Charakteren identifizieren können und sich in Geschichten wiederfinden, trauen sie sich auch mehr, zu sich selbst zu stehen und die Person zu sein, die sie sind. Die Queer Bibliothek ermöglicht es, sich als queere Besucher*innen nicht der Kategorie „der Anderen“ zuordnen zu müssen. Denn in der hier ausgewählten Literatur ist Queer-Sein die Norm. Und das macht glücklich, weiß Aki: „Die Sichtbarkeit der eigenen Lebensrealität vermittelt ein Gefühl der Willkommenheit“. Je früher wir mit Medien in Kontakt kommen, in denen unterschiedliche Lebensentwürfe, sexuelle Orientierungen, Geschlechtsbilder und Geschlechtsidentitäten als selbstverständlich dargestellt werden, desto besser ist das sowohl für die gesellschaftliche Akzeptanz als auch für die freie Entwicklung der eigenen Identität. Deshalb findet sich in dem rosafarbenen Regal auch schon eine nicht unbeachtliche Anzahl an Kinderbüchern.
Buchpat*innen gesucht
Selbstverständlich hat die Queer Bibliothek aber mehr zu bieten als Kinderbücher. Getrieben von dem Wunsch nach Repräsentation und Vielfältigkeit füllt sie bisher zwei Schränke mit queeren Filmen, Spielen und Büchern aus verschiedenen Bereichen: Romane, Comics, Sachbücher – hier ist sowohl für pädagogisches Fachpersonal als auch für alle Leseratten und Bücherwürmer was dabei. Es sind Bücher (und Filme), die Geschichten von Personen erzählen, die abseits von heteronormativen und binären Rollen und Identitäten leben und lieben – auch solche, bei denen es nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist. Und es sind Bücher, die von queeren Autor*innen geschrieben wurden. Die Bibliothek ist ein Projekt des Vereins Trans-Inter-Aktiv, die ihr Büro im Queeren Zentrum haben und wird von der Antidiskriminierungsstelle der Staatskanzlei Thüringen finanziert. Weil es Aki besonders wichtig war, dass die Queer Bib ein community-basiertes Projekt ist, hat sie die Community des Queeren Zentrums im Voraus gefragt, welche Bücher auf keinen Fall fehlen dürfen. Außerdem sollten alle Facetten von Queerness möglichst gleichermaßen vertreten sein. Sie hat also darauf geachtet, dass beispielsweise nicht nur Bücher mit schwulen, sondern auch asexuellen Figuren vertreten sind. Der (zugegebenermaßen noch recht überschaubare) Grundbestand soll natürlich im Laufe der Zeit erweitert werden. Dafür gibt es unter anderem das Buchpat*innen-Projekt, bei dem ihr ein Buch, das auf der Wunschliste der Queer Bib steht, entweder direkt oder das Geld für die Anschaffung spenden könnt. Die Bibliothek wird von Ehrenamtlichen aus der Community des Queeren Zentrums geführt. Aki hofft aber zukünftig auch auf die Möglichkeit, eine feste Stelle einzurichten, damit die Bibliothek wachsen und auch Lesungen oder Buchclubs organisiert werden können.
Bücher als Waffe für den Kampf um Sichtbarkeit
Die Idee zu einer queeren Bibliothek erwuchs also aus dem Mangel an Sichtbarkeit, der sich wie in allen gesellschaftlichen Bereichen auch in medialen Angeboten widerspiegelt. Gleichzeitig zeigt die Bibliothek aber auch, „dass es nicht so ist, als gäbe es keine Bücher zum Thema, als müsse man das eine Buch zwischen 300 suchen“, ergänz Aki noch. Im Gegenteil, es gebe bestimmt 300 Bücher mit queeren Protagonist*innen, über queeres Leben und Lieben, nur leider sind diese eben weniger sichtbar. Das zeigt sich auch daran, dass queere Literatur in herkömmlichen Bibliotheken wie der Stadt- oder Universitätsbibliothek schlichtweg nicht oder nur schwer zu finden sind. Dabei sind Bibliotheken auch Bildungseinrichtungen. Als ausgebildete Bibliothekarin weiß Aki, dass Büchern, die in einer Bibliothek stehen, eine ganz eigene Legitimation und Berechtigung zugesprochen wird. Das ist dann „gute“ Literatur. Problematisch also, wenn die Regale mit Geschichten über heterosexuelle Beziehungen und Charaktere mit binären Geschlechtsidentitäten überquellen, während die Suche nach einer Geschichte mit einer asexuellen Person mindestens genau so viel Zeit und Energie kostet wie ein Besuch beim Bürgeramt. Das will die Queer Bibliothek ändern und mit ihrem Bestand auch andere Einrichtungen inspirieren. Ihr geht es um „den Zugang von allen Menschen in Thüringen zu Literatur, Fachliteratur und anderen Medien zu LSBTIQ* Lebens- und Liebensweisen“. Es geht um die Sichtbarkeit von LSBTIQ* Personen. Es geht um mediale Darstellungen abseits des heteronormativen Mainstreams. Es geht um das Abbilden queerer Lebensrealitäten als Selbstverständlichkeit. Und es geht um die Vielfältigkeit innerhalb der queeren Community. All das, weil eine mediale Repräsentation in Büchern sowohl einen Einfluss auf das gesellschaftliche Bild als auch auf das Selbstbild queerer Personen hat.
Die Queer Bibliothek wird am Samstag, den 2. April, im Rahmen einer Walk-In-Veranstaltung feierlich eröffnet. Von 15 bis 18 Uhr könnt ihr Kurzlesungen aus queeren Lieblingsbüchern lauschen, selbst schonmal ein bisschen stöbern oder direkt Buchpat*in werden. Die Bibliothek ist dann entsprechend der Öffnungszeiten des Queeren Zentrums zugänglich. Gegen eine freiwillige Spende bei der ersten Anmeldung könnt ihr alle Bücher, Filme und Co. für zunächst sechs Wochen ausleihen. Mehr Infos hier.