Search

Die Kunst im Verborgenen – Tapetenwechsel Erfurt

Kunst gibt es nur in einer wohl temperierten und gut beleuchteten Galerie? Weit gefehlt! Der sogenannte Tapetenwechsel Erfurt bringt Kunst heraus aus dem vertrauten Umfeld an einen unbekannten Standort. Wer sich die Ausstellung ansehen will, muss sich anmelden, erst dann wird die geheime Ausstellungsadresse weitergegeben. Der Tapetenwechsel ist eine Tradition, die seit 2017 in Erfurt in unregelmäßigen Abständen stattfindet. 

Unter dem Motto: „1 Sonntag. 1 Stadtteil. 3 Orte. Viele KünstlerInnen“ fand die diesjährige Ausstellung in Daberstedt in dem Kellergewölbe einer Musikschule statt. Mit den sonstigen Traditionen des Tapetenwechsels brechend, nämlich dass die Werke an drei verschiedenen Orten ausgestellt werden und die Besucher:innen sich von einem zum nächsten begeben müssen, wurden diesmal zwar alle Künstler:innen an einem Ort untergebracht, bekamen aber dennoch großflächig Räumlichkeiten zur freien Gestaltung. 

Vor Ort bekommen Besucher:innen eine Taschenlampe in die Hand gedrückt. „Einmal links, dann geradeaus am Klavier vorbei, Treppen runter, dort aufpassen und nicht stolpern, durch die Tür und schon seid ihr in der Ausstellung.“ Mit diesen Worten wird man in den Tapetenwechsel im November 2022 hineingeleitet und betritt einen riesigen Gewölbekeller, von dessen hohen Decken und bröckeligen Wänden die aus einzelnen Räumen dringende Musik und leise gesprochene Worte der wenigen anderen Besucher:innen, die sich gleichzeitig in der Ausstellung befinden, widerhallt. 

Drei Erfurter Künstler:innen zeigen ihre Projekte im Kellergewölbe

Der Erfurter Musiker Avau, unter anderem auch Songwriter und Produzent für internationale Künstler:innen wie Robin Schulz, Miss Nine and Bec Lavelle, projiziert das Musikvideo seines Songs Torn and Broken, dessen Klang sich besonders durch die hohen Gewölbe des dunklen Raumes entfaltet, an die Kellerwand. Das Besondere daran ist, dass das Video 2019 in ebendiesem Raum aufgenommen wurde. Über die abgebrochenen Fliesen bewegen sich zwei Tänzer:innen und vermitteln das Gefühl von Zerrissenheit und fehlendem Selbstvertrauen in modernen Beziehungen. 

Tapetenwechsel-Raum von Saskia Widdison

Saskia Widdison arbeitet seit 2021 in Erfurt und hat sich für den Tapetenwechsel dem Thema Sicherheit gewidmet. Zu diesem Zweck studierte sie Farbtheorien und Farbwirkungen. Ihren tunnelartigen Raum hat sie in Baker-Miller-Pink bemalt, das nachweislich aggressives Verhalten bei Menschen reduzieren und eine beruhigende Wirkung entfalten soll. Besucher:innen ertrinken in einem pinkfarbenen Meer, den Ankerpunkt bildet ein trauriges Kindergesicht, das vom anderen Ende des Raumes zum Ausgang blickt. Außerdem hat die Künstlerin einige weitere ihrer Ölmalereien aufgehängt. Diese ebenfalls im thematischen Kontext der Sicherheit ausgewählten Bilder zeigen ausschließlich Landschafts- und Naturmotive. Sie möchte damit den Wunsch nach Rückzugsorten und Ruhe in Krisensituationen ausdrücken, ebenso wie das Bedürfnis nach dem unbeschwerten Leben der Kindheit. 

Der dritte Künstler, Dirk Rauscher, gibt dem letzten Raum ebenfalls – in Form einer Filmprojektion – eine neue Tapete. In seinem dreiteiligen Filmprojekt kann man abstrakten Schwarz-Weiß-Figuren beim Wachsen und Wuchern zusehen, Formen zerspringen, fallen auseinander und setzen sich in neuen Konstellationen wieder zusammen. Der Designer, Künstler und Regisseur arbeitet normalerweise an Videos und Shows für Clueso, Tokio Hotel, Fritz Kalkbrenner, Materia, Sarah Connor und viele mehr. 

Projektion von Dirk Rauscher

Künstlerische Kellerfunde der Besucher:innen werden auch ausgestellt

Vor dem Ausstellungsgebäude werden kleine Speisen und entsprechend der kalten Jahreszeit köstlicher Birnenpunsch angeboten. Und auch dort gibt es ein kleines, künstlerisches Extra: Zur Anmeldung für den Tapetenwechsel sollten Besucher:innen Fotos der Dinge einsenden, die sich in ihren Kellern verstecken. Eine Lichterkette beleuchtet also Prints von alten Werkzeugen, Bücherstapeln, Verbotsschildern und den ganzen anderen Gegenständen, die normalerweise vor allen Augen verborgen bleiben.

Das Team des Tapetenwechsels 2022 hat sich alle Mühe gegeben, die Ausstellung zu etwas Besonderem zu machen, die Erfurter Kunstszene zu motivieren und war sicherlich noch in der Nachbereitung der Veranstaltung mit einem weiteren Tapetenwechsel beschäftigt (zum Beispiel, um die pinke Farbe wieder von den Wänden zu bekommen). 

Wir freuen uns schon auf den Tapetenwechsel im Jahr 2023. 

Write a response

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

*

Close
Ungleich Magazin © Copyright 2019. All rights reserved.
Close