Eine eigene Dokumentation auf Netflix, Jürgen Klopp als Werte-Botschafter, Workshops in Deutschlands größten Fußballstadien und Projekte auf der ganzen Welt. Der Erfurter Verein Spirit of Football hat eine beeindruckende Vita voller bekannter Namen, Orten und Kontakte. Trotzdem schlägt das Herz von Spirit of Football noch immer in Erfurt und Thüringen, wo der Verein auf lokaler Ebene aktiv ist. Spirit of Football ist dabei Name und Philosophie zugleich. Fußball dient in erster Linie als Ausgangspunkt und Veranschaulichung für die Kombination aus Respekt, Vielfalt und Teamwork – den Leitlinien von Spirit of Football. Angetrieben durch diesen Spirit will der Verein Menschen zusammenbringen und Fair-Play Kultur stärken. Ein essenzieller Teil der gesellschaftlichen Arbeit, die der Verein leistet, sind Fair-Play Workshops in Sportvereinen, Schulen und Jugendzentren. Bei den Workshops wird ein faires Miteinander durch interaktive Spiele, Übungen und Diskussionen vermittelt und erlebbar gemacht. Bei einem ihrer Schulworkshops auf dem Thüringer Land durfte ich Spirit of Football einen Tag lang begleiten.
One Spirit von Elxeben bis nach Auckland
Es ist noch dunkel in der Erfurter Altstadt, als morgens gegen 6:30 Uhr die Spirit-Teamer*innen leicht verschlafen im Büro von Spirit of Football eintrudeln. Das heutige Team besteht aus Grundschullehrer Benny, Lehramtsstudentin Francesca, Sozialarbeiter Stützi und Praktikantin Celli. Die Teamer*innen kommen aus unterschiedlichen Berufen und Generationen, sind teils leidenschaftliche Fußball-Fans und teils dezidiert fußballdesinteressiert. Die Gruppe eint aber, dass sie sich alle entschieden haben, einen Großteil ihrer Lebenszeit dem Spirit of Football zu widmen. An diesem Morgen geht es raus auf das Thüringer Land zu einer 8. Klasse nach Elxleben. „Mal schauen, wie das heute wird, eine 8. Klasse mit vielen Jungs ist nicht immer die einfachste Kombination“, bereitet Benny das Team im Auto vor. Als wir gegen 7:30 Uhr an der Schule ankommen, begrüßt uns der Klassenlehrer. Er hat im Sommer die 8. Klasse neu übernommen und will Zusammenhalt und Teamgefühl innerhalb der Klasse stärken.
Um kurz vor 8 Uhr geht es los. Obwohl der Tag unter dem Motto Spirit of Football steht, startet der Projekttag nicht auf dem Sportplatz, sondern im Stuhlkreis im Klassenzimmer. Die Schüler*innen werden mit einem High Five begrüßt, alle duzen sich. Sogar der Klassenlehrer darf heute ausnahmsweise geduzt werden. Der Tag beginnt mit einem Spiel zu Augenkontakt und nonverbaler Kommunikation. Die Klasse steht sich im Kreis gegenüber, es darf nicht geredet werden, selbstständig und nur über Augenkontakt vereinbart müssen immer zwei Schüler*innen ihren Platz tauschen. Klingt erst mal einfach, aber Achtung, es darf immer nur ein Paar zurzeit den Kreis betreten, um die Plätze zu wechseln. Aufmerksamkeit, Eigeninitiative und Rücksicht sind gefragt – Werte, die sich durch den Tag ziehen werden. Um der Klasse die Spirit-Werte Respekt, Vielfalt und Teamwork praktisch näherzubringen, wandeln die Teamer*innen Spiele und Lernmethoden in Fair-Play-Varianten um. In kurzen selbst geschriebenen Theateraufführungen zeigen die Schüler*innen, wie Fair-Play Kultur im Alltag angewendet wird und in der Teamwork-Variante von „Reise nach Jerusalem“ spielt die Klasse statt gegeneinander gemeinsam gegen den internen Spirit-Highscore im Versuch, sich gemeinsam auf so wenig Stühle wie möglich zu verteilen.
Zwischen den Spielen stellen Benny und Francesca die Philosophie von Spirit of Football vor. Als Benny einen bunten und etwas schrumpeligen Ball rausholt, wird deutlich: Der heutige Tag ist Teil von einer universellen Idee von Zusammenleben und Gesellschaft. Der leicht-müffelnde Ball wird im Stuhlkreis rumgegeben. Als Symbol von Spirit of Football ist er auf dem Weg zur Fußball WM 2014 in Brasilien durch 25 Länder gereist. Nach dem Motto One Ball – One World wurden auf dieser Reise unzählige ähnliche Seminare wie heute durchgeführt. Mit dem Ziel, das verbindende Element von Fußball zu nutzen und sich weltweit für mehr Fair-Play Kultur einzusetzen, veranstaltet Spirit of Football seit 2002 Reisen zu den Fußballweltmeisterschaften der Männer. Letztes Jahr ist der Ball das erste Mal zu der Weltmeisterschaft der Frauen nach Neuseeland und Australien gereist. Auch wenn die Klasse von der Internationalität und den vielen Projekten von Spirit of Football beeindruckt wirkt, fällt es den Schüler*innen der 8. Klasse schwer, eigene Gedanken zu Themen wie Vielfalt, Vorurteilen und gegenseitigem Respekt zu teilen und auf die Gesprächsangebote der Teamer*innen einzugehen. Da kommt der zweite Teil des Projekttages zum richtigen Zeitpunkt: Fair-Play Fußball – die fußballerische Umsetzung der Spirit-Werte steht auf dem Programm.
Fair-Play und Handicaps auf dem Fußballplatz und in der Welt
Auf dem Weg zur Turnhalle rekapituliert das Spirit-Team den bisherigen Workshopverlauf. Zwischendurch hatte die 8. Klasse immer wieder Probleme, sich auf ihre Ideen und Methoden einzulassen. Stützi sieht einen Grund dafür im Alter der Kinder: „In der Grundschule ist es noch leichter die Kinder mitzureißen und Begeisterung zu entfachen.“ Benny ist trotz der etwas zögerlichen Beteiligung optimistisch. Es sei normal, dass die Beteiligung in einer 8. Klasse, wo viele erstmal mit sich selbst zu tun hätten, geringer sei. Für ihn ist es das Ziel, mit dem heutigen Input „kleine Dellen“ bei den Jugendlichen zu hinterlassen, an die sie sich in 2-3 Jahren nochmal erinnern können. Benny ist selbst im ländlichen Raum Thüringens aufgewachsen und kennt die Lebensrealität der Schüler*innen entsprechend gut: „Mir hat diese Region so viel Identifikation gegeben, jetzt habe ich Lust, meine eigenen Kompetenzen hier einzubringen. Am liebsten, bis ich sagen kann: Geil, hier gibt es an jeder Schule einen Spirit of Football Workshop.“
Angekommen an der Turnhalle, wird endlich Fußball gespielt. Auch hier gibt es eigene Fair-Play Regeln. So darf erstens: nicht mit dem Ball gedribbelt werden – und zweitens: darf, sobald ein Spieler den Ball angenommen hat, ihm dieser nicht abgenommen werden. Während insbesondere die leidenschaftlichen Fußballer*innen sich zunächst über die neuen Regeln beschweren, wird schnell klar, was die zwei Änderungen bewirken. Die Regeln zwingen zum Abspielen, sich allein zum Tor durchdribbeln geht nicht mehr. Alle Spieler*innen unabhängig ihrer physischen und technischen Fähigkeiten werden so in das Spiel eingebunden. Die Regeln sind die fußballerische Übersetzung der Werte, die am Vormittag besprochen wurden. Die anfängliche Skepsis verfliegt nach den ersten Spielminuten schnell und auf die Frage, ob die Klasse noch eine weitere Runde spielen will, wird mit breiter Zustimmung gejubelt.
Motiviert durch den Erfolg des Fair-Play Fußball werden für die nächste Runde Handicap-Regeln eingeführt. Für eine kurze Dauer werden die Spielvoraussetzungen so verändert, dass eine Mannschaft der anderen gegenüber benachteiligt ist. Von Armut über Geschlechterungleichheit bis hin zu physischer Behinderung symbolisieren die Änderungen lokale und globale Ungerechtigkeiten auf der Welt. So kann eine Mannschaft plötzlich nur noch mit links spielen, in einer anderen Mannschaft werden plötzlich alle Jungs vom Spiel ausgeschlossen. Die Einschränkungen und ihre Hintergründe werden nach dem Spiel besprochen. Das erste Mal an diesem Tag ist die ganze Klasse beim Gespräch aufmerksam. Mehrere Schüler*innen beteiligen sich und erzählen, wie sie sich bei den Ungleichbehandlungen gefühlt haben, ein paar schlagen sogar Brücken zu Situationen außerhalb des Fußballplatzes.
Der Spirit of Football brennt in Thüringen weiter
Respekt, Vielfalt, Teamwork, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit – die Werte und Konzepte von Spirit of Football mögen im ersten Moment simpel erscheinen, doch im Laufe des Tages wird deutlich, dass sie weder selbstverständlich noch überflüssig sind. Gelebte Fair-Play Kultur bildet die Grundlage für eine Gesellschaft, die jede Person in ihrer Individualität akzeptiert, in der Menschen sich gegenseitig unterstützen und gemeinsam für Gerechtigkeit kämpfen. Auch wenn die 8. Klasse zwischendurch Schwierigkeiten hatte, sich für einige der Themen zu öffnen, waren die Spirit-Teamer*innen kontinuierlich mit Leidenschaft dabei. In jedem Moment haben sie versucht, den Schüler*innen ihre Vorstellungen von Fair-Play Kultur vorzuleben und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Auf der Rückfahrt im Auto erzählt Francesca: „Wir brennen ja für die Sachen, die wir machen. Gerade wenn es schwere Tage sind, wünsche ich mir immer, dass wir ein bisschen was von dem weitergeben können; dass wir die Leute genauso begeistern können, wie es uns begeistert.“
Die Ausdauer des Spirit-Teams hat sich ausgezahlt. Zurück im Klassenzimmer gibt es nach dem Fair-Play Fußball noch eine Abschlussrunde. Was die Kinder von heute mitgenommen haben? – „Mutig sein“, „gegenseitiger Respekt“, „mehr Zusammenarbeiten“. „Gut, dass ihr so was macht“, sagt ein Schüler in der Abschlussrunde. Als neue Spirit-Botschafter*innen für Fair-Play unterschreiben alle Schüler*innen auf dem Spirit of Football-Ball. Während die Teamer*innen zusammenpacken, klebt ein Junge den Sticker des Vereins hinten auf seinen Schulrucksack. Die Idee vom Spirit of Football wird weitergetragen.
Spirit of Football ist nicht mehr wegzudenken aus Erfurts Zivilgesellschaft, oder wie es der gebürtige Erfurter Stützi formuliert: „Für mich ist der Verein zu einem riesigen Leuchtturm in Thüringen geworden.“ Neben den Workshops ist Spirit of Football in der regionalen Integrations- und Inklusionsarbeit aktiv. Der Verein bietet wöchentlich unterschiedliche integrative Sportangebote für Frauen, Männer und Kinder an. In den Schulferien werden in Erfurts Außenbezirken regelmäßig Kinder- und Jugendprojekte organisiert. Beim Projekt UNIFIED kommen Menschen mit und ohne geistige Beeinträchtigung zusammen, um gemeinsam Fair-Play Fußball zu spielen. Geeint durch ihr gemeinsames Wertefundament sind die Projekte des Vereins inhaltlich und räumlich so vielfältig, dass es manchmal schwerfällt, die Arbeit des Vereins in Gänze zu erfassen. Wer sich einen eigenen Eindruck von dem breiten Angebot machen will, dem ist empfohlen, einen Blick auf den aktuellen Veranstaltungskalender auf der Vereinswebsite zu werfen, der mit vielen bunten Programmkacheln zu den verschiedenen Projekten gefüllt ist. Wer Lust hat einen persönlichen Eindruck von Spirit of Football zu bekommen, kann entweder bei einem der offenen Sportangebote vorbeischauen oder zu einer der in Abständen stattfindenden Kulturveranstaltungen kommen.