Umweltfreundlich, schnell, wendig und klein im Vergleich zu Roller, Auto und Co. – aber in Erfurt nicht beheimatet. Die Thüringer Landeshauptstadt pflegt eine distanzierte und reservierte Beziehung zum Fahrrad und behandelt seine Zweirad-nutzenden Bewohner*innen und Gäste arg stiefmütterlich. Diese Situation ist stadtbekannt und verpönt.
Sie manifestiert sich unter anderem in der Innenstadt und auf der Nordhäuser Straße. In den Teilen der Stadt also, in denen Studierende – potentiell auf dem Fahrrad – die Wege ihres Alltags bestreiten. Vereinzelt sieht man die Mutigsten – so auch mich – eingeklemmt zwischen Bürgersteig, Straßenbahn und wahnwitzigen Überholmanövern diverser Autofahrer*innen, Tag ein, Tag aus den Uniberg hinauf cruisen. Diese Situation ist gar nicht mal so optimal. Kaum auszumalen, was passiert, wenn dann unterwegs auch noch der Antrieb in Form der Kette „Adieu“ sagt. Oder aber wenn der Reifen schlapp macht, die Muttern des Hinterrades langsam, aber sicher in Bewegung kommen oder sonstige Sperenzien das Leben von Radler*innen zu einer wilden Achterbahn der Panik werden lassen.
Gleichzeitig besteht in Erfurt paradoxerweise eine Fahrradkultur, die klassischen Fahrradstädten wie Darmstadt oder Göttingen in nichts nachsteht. Fixies, Singlespeeds und Rennräder sind Themen, die auf so mancher legendären WG-Party bereits zu allerhitzigsten Diskussionen führten. Starrnabe? Freilaufritzel? Braucht ein Fixie zusätzlich Bremsen? Alu- oder Stahlrahmen oder sogar ein Aufbau aus Carbon? Wie wickelt man ein Griffband (dazu S. V. Helsper und L. B. Hoffmann (2018))? Vor einigen Tagen habe ich sogar mit jemandem gesprochen, der Mountainbike fährt und vom Thüringer Wald schwärmt.
Die Fahrradfreund*innen der Stadt sind so stark vertreten, dass die FH-Erfurt eine extrem sinnvolle Einrichtung ins Leben gerufen hat: die Selbsthilfewerkstatt FHE. Mittwochnachmittags werden dort hoffnungsvolle Radverliebte und –pragmatiker*innen empfangen. Ohne richtige Erwartungen, aber mit jeder Menge Hoffnung im Gepäck, steuerte auch ich die Werkstatt an, um mein Projekt des Singlespeed-Baus zu finalisieren. Meine Hoffnung wurde nicht enttäuscht. Die Mission war einerseits die Anbringung des Kettenblatts und der Pedale und andererseits die Spannung der Kette und die Ausrichtung und Befestigung des Hinterrades. Ein absolut mögliches, aber nicht ganz einfaches Unterfangen, das Werkzeug braucht, welches viele Menschen nicht besitzen. Auch ich nicht. So steh‘ ich da also, spreche eine*n der Expert*innen an. Und nach nur einer Stunde schneller und kompetenter Unterstützung und Anleitung hatte ich meine Mission erfüllt. Am Ende schmeißt man noch 5-1000 Euro in die Bier- und Kaffeekasse. Eine Win-Situation für beide Seiten!
Als würde die Werkstatt, die obendrein von Studis betrieben wird, nicht schon jedem Anspruch Genüge tun, hat die FH im letzten Jahr ein Fahrradsharing-Modell etabliert. Da hängt unsere Uni schon ein bisschen hinterher. Beziehungsweise hing. Denn: Welch Freudensprünge machten sämtliche Studierende – wirklich alle – als sie vor kurzem die neue Fahrradrevolution vor der Bibliothek erblickten: eine Fahrradpumpe. Und Werkzeug. Für umme, für lau, einfach so. Wer will, pumpt ihr Rad auf, wechselt seinen Schlauch oder bringt die neue totschicke Klingel an. Fantastisch, herzergreifend, fortschrittlich. Da blieb auch mir die Spucke weg.
Ungleich hat diese neue Fahrradinstitution mit Strahlkraft für euch natürlich direkt getestet und einen Reporter zum Fahrradaufpumpen geschickt. Was soll ich euch sagen – es hat funktioniert. Die Luftdruckanzeige fährt zwar eine sehr – sagen wir – kreative Politik was die Druckanzeige angeht – es geht von 6 Bar rauf auf 4 und schon ist man wieder bei 9. Wichtiger ist aber, dass Luft reinkommt. Und das hat geklappt. Das Werkzeug überzeugt ebenfalls. Die Schlüssel gehen bei Größe 8 los und gehen rauf bis 15. Ein Traum. Und sie sind stabil. Stabiler als jeder Knochen, den man sich für einen Obolus im Baumarkt kaufen könnte, der aber weder Hebelkraft noch Stabilität bietet und dann letztlich spätestens bei der dritten Mutter bricht. Daher gibt’s eine deutliche 10 out of 10 für diese neue Innovation.
Vielleicht können wir an unserer geisteswissenschaftlichen Uni von einer Werkstatt nur träumen. Kleine Lösungen, die das Leben von Radfahrenden Menschen verbessern, gibt es hier aber trotzdem. Es geht also voran. Dem StuRa sei Dank. So verbleiben wir ein wenig glücklicher in der Hoffnung auf eine bessere und fahrradfreundlichere Zukunft in unserem schönen Erfurt.