Stell dir einmal folgendes vor: Du wohnst in einer Stadt, in der du selbst mitgestalten kannst. Frei entscheiden kannst, ob du mittwochs ein Techno Open-Air planen, oder mit deinem Mini-Tischkicker Sportverein E.V. am Samstag ein Familiengrillen organisieren willst. Frei entscheiden, wie du die Freiräume in der Stadt nutzen kannst. Stell dir eine Stadt vor, indem es genügend Raum gibt, in der alle (sub)kulturellen Einrichtungen einen Ort für spontane Veranstaltungen haben und das unbürokratisch und schnell.
In manchen Städten wie Halle oder Bremen ist das schon lang Realität, doch Erfurt ist hier – mal wieder – kein Vorzeigebeispiel. Deshalb geht die ErfurterKulturKarawane (EFKK) diesen Sonntag (19.Mai) auf die Straße. Und sie geht raus, mit Forderungen an eine Stadt, in der wir Alle leben.
Die Botschaft der Teilnehmenden klingt vielleicht erstmal banal: „Wir haben etwas zu verkünden“, sagt mir Pascal Franz, einer der Hauptorganisatoren der EFKK. „Wir wollen die Etablierung von einer frei nutzbaren Veranstaltungsfläche im Stadtgebiet“. Der Antrieb kommt von dem Gefühl, was alle Beteiligten vereinigt: Kulturstätten müssen leider viel zu oft Konsum-Tempeln weichen. Die Plätze für eine Alternativen zum Oktoberfest auf dem Domplatz und Weihnachtsmarkt auf dem Anger sind rar.
Die Kulturkarawane zieht durch die Innenstadt, da wo die Kultur auch hingehört
Thorsten Glaser, Organisator
Deshalb, und aus Liebe zu tanzbarer Musik, wird am Sonntag demonstriert. Mit dabei sind ein bunt gemischter Haufen, aus vielen nicht-kommerziellen Kultureinrichtungen und Vereinen, wie zum Beispiel das KollekTief LuftHolen, Slow Budget Productions, das Krämpferkollektiv oder das Klanggerüst. Sechs Wägen beschallen die Menge mit verschiedenster Musik. Außerdem gibt’s an den unterschiedlichen Stopps noch Redebeiträge (über Themen wie „soziales Engagement oder „Gentrifizierung“) und Live-Auftritte. „Die Kulturkarawane zieht durch die Innenstadt, da wo die Kultur auch hingehört“, sagt Thorsten Glaser, Organisator der EFKK. Eins ist klar, es wird laut und bunt und Beteiligten wollen zeigen, dass sie da sind, dass es so viele kreative und motivierte Menschen hier in dieser beschaulichen Großstadt gibt. Sie wollen zeigen, dass ein Ort für spontane Veranstaltungen dringend notwendig ist, als Raum in der Stadt für unkommerzielle Kultur, der die selbige bereichern soll. Ein Ort, der vielleicht sogar einen Anreiz bieten kann, um hier als junger Mensch gerne hinzuziehen und ein vielfältiges Kulturangebot vorzufinden.
Aber wie soll so ein Ort aussehen? In Erfurt gibt es viele Plätze, die nicht oder zumindest nur teilweise genutzt werden und sich für einen solchen Ort bestens eignen. Manch einer mag sich noch nostalgisch an den WirGarten auf dem ehemaligen Brachgelände an der Wallstraße, Ecke Boyneburgufer erinnern. Ähnlich sollen die geforderten Plätze auch aussehen und funktionieren. Die konkreten Überlegungen zu möglichen Veranstaltungsorten sind vielseitig und reichen von wohlbekannten Plätzen (z.B. die Kaserne auf dem Petersberg) bis zu bisher eher unentdeckten Gefilden (z.B. Freiflächen beim Ringelberg).
Vorbild der spontanen Veranstaltungsplätze sind andere Städte wie beispielsweise Halle, in denen so ein Konzept wunderbar funktioniert
Pascal
Und ist so eine Forderung in Erfurt umsetzbar? “Vorbild der spontanen Veranstaltungsplätze sind andere Städte wie beispielsweise Halle, in denen so ein Konzept wunderbar funktioniert”, so Pascal. Seit 2013 müssen hier Spontanpartys nicht mehr genehmigt werden, sondern können durch ein Online-Verfahren angemeldet werden. Und die einfachen Regelungen zahlen sich aus: Halle hat als „vergleichbare Stadt im Osten“ kulturell viel mehr zu bieten und bei der Stadtplanung werden die Interessen aller Bewohnenden berücksichtigt. Auch in Erfurt sind solche Forderung schon an die Stadt herangetragen worden. Passiert ist bisher aber noch nichts. Dabei wird Erfurt in der kulturellen Entwicklung viel Potential zugesprochen. Die Stadt hat viele kreative Köpfe und eine Kulturszene, die sich einbringen will und die Notwendigkeit sieht, mehr Raum für Kultur zu schaffen.
Ganz so einfach sei die Umsetzung dann aber auch nicht, erklärt Pascal. Der Platz muss in Stadtbesitz sein oder einen coolen Besitzer haben, Naturschutzauflagen müssen erfüllt sein und zu Ruhestörungen für die Anwohnenden darf es auch nicht kommen. Ganz im Gegenteil, eigentlich sollen doch die Einwohnerinnen und Einwohner mit eingebunden werden, nach Ihren Wünschen gefragt werden. Sie sollen aktiv mitgestalten (können) und auch überlegen wo so eine Veranstaltungsfläche realisiert werden könnte. Und zu den Einwohnenden gehören auch die Studierenden der Stadt. Auch wenn die nur 3 Jahre in der Stadt sind, oder manchmal ein halbes. Die Veranstaltenden der EFKK sprechen diese, sprechen uns, ganz besonders an. Denn man kann und sollte als junger Mensch mitüberlegen, wie eine Stadt aussehen soll, in der man leben möchte. Vielleicht ja auch, um länger hier zu bleiben und nicht nach dem Bachelorstudium doch nach Berlin zu ziehen.
Auch die zuständigen Instanzen bei der Stadt sind natürlich gefragt. Sie müssten bei einem solchen Veranstaltungsgelände, ist es einmal genehmigt, zum Beispiel im Vorhinein festlegen, ob gleichermaßen Veranstaltungen von kulturellen Einrichtungen oder Dem Dritten Weg stattfinden können, oder ob es sinnvoll ist, das Veranstaltungsgelände nicht für politische Parteien zu öffnen. Durch die aktive Einbindung von allen Instanzen, zum Beispiel auch von den zuständigen Behörden, kann Erfurt vielfältiger und um einiges spannender werden.
Diesen Sonntag, da soll ebendiese Vielfältigkeit gefeiert werden. Es soll getanzt werden, über die gemeinsam gelebte Musik sollen Alle ein bisschen näher zusammenrücken. Um vielleicht bald in einer Stadt zu leben, in der man sich die angemessene Förderung von einer florierenden Kultur nicht nur vorstellen muss.
Wer mehr wissen will, über die Erfurter Kulturkarawane, wer die Veranstalter sind; und wo sie am Sonntag durch die Stadt zieht, bekommt hier nähere Infos. Das Ungleich-Magazin wird am Sonntag auch mitlaufen, wir freuen uns auf euch!