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Glaube, Hindernisse und Ausdauer – Eine Moschee entsteht in Erfurt

In einem Industriegebiet in Marbach, nur 500 Meter vom Campus der Universität Erfurt entfernt, baut die Ahmadiyya-Gemeinde eine Moschee. Es ist die erste äußerlich sichtbare Moschee in den neuen Bundesländern außerhalb Berlins. Nur ein paar Meter von unserem Alltag als Studierende entfernt, entsteht ein Meilenstein für die muslimische Integration in die thüringische Gesellschaft. Als wir von dem Bau mitbekommen, fragen wir uns, warum es in diesem Bundesland voller Kirchtürme bisher keine einzige sichtbare Moschee mit Kuppel und Minarett gibt? Um dieser Frage nachzugehen und mehr über die Ziele der Ahmadiyya-Gemeinde zu erfahren, treffen wir uns an einem sonnigen Dienstagnachmittag mit Suleman Malik. Der Sprecher der Ahmadiyya-Gemeinde Erfurt hat den Moscheebau begleitet und vorangetrieben, sodass er uns wie keine andere Person von dem steinigen Weg von der Idee hin zur fertigen Moschee erzählen kann.

Die Moschee in Marbach.

Eine Lücke in Erfurt wird gefüllt

„Wir haben gespürt, dass eine Moschee einfach fehlt: ein Ort zum Zusammenkommen und Alltaggestalten für Muslim*innen in Erfurt.” In unserem Gespräch mit Suleman Malik wird schnell deutlich, wie wichtig ihm der Bau der Moschee ist – auf persönlicher Ebene für eine würdevolle Glaubensausübung der Gemeindemitglieder, aber auch auf politisch-gesellschaftlicher Ebene für mehr Repräsentanz des Islams in Erfurt und Thüringen. Eine von außen erkennbare Moschee im Stadtbild der Landeshauptstadt setzt ein Zeichen: In Erfurt wird Religionsfreiheit gelebt. Dass für viele Erfurter*innen Moscheen noch fremd und unbekannt sind, soll sich durch den Bau der sakralen Moschee ändern. Mit der Kuppel und das Minarett wird dem muslimischen Glauben auch optisch ein Platz in der Stadt gegeben.

In der Öffentlichkeit sind sichtbare Orte der Begegnung und des Glaubens nicht nur für Christ*innen wichtig. Das bestätigt auch Suleman Malik: „Für mich als Moslem ist die Moschee ein identitätsstiftender Ort.” Bisher hat die Ahmadiyya-Gemeinde in privaten und gewerblichen Räumen ihren Glauben ausüben können.  Malik macht deutlich, dass es einem Gebet nicht würdig ist, sich dafür in einem Gewerberaum zu versammeln. Suleman Malik ist sich sicher: Demnächst bietet die Moschee endlich einen sicheren Raum für das Gebet und die Gemeinde und füllt damit eine Lücke im Erfurter Stadtbild. 

Seit einigen Jahren existiert bereits das Internationale Islamische Kulturzentrum Erfurter Moschee am Leipziger Platz. Dieser Ort ist allerdings hauptsächlich für sunnitische Muslim*innen ausgerichtet. Zudem werden die Ahmadiyya von einigen Muslim*innen nicht als muslimische Strömung anerkannt. So betrachtet auch Mohammad Hussain Khan, der Sprecher des Islamischen Zentrums, die Ahmadiyya nicht als Muslime, wie er in einem Interview mit der Thüringer Allgemeinen verrät. Jedoch ist es schwierig, eine klare Definition von “dem Islam” aufzustellen und Religionszugehörigkeit Grenzen zu setzen. Viele Religionswissenschaftler*innen zählen die Ahmadiyya zum Islam – frei nach dem Motto: Jede Person, die behauptet, ein*e Muslim*in zu sein, ist dies auch.  Dennoch gibt es diese kleinen, aber feinen Unterschied1 , die zu theologischen Kontroversen führen. Suleman Malik erzählt uns, dass trotz der religiösen Differenzen regelmäßiger Austausch zwischen der Ahmadiyya-Gemeinde und den anderen islamischen Gemeinden stattfindet. Er stellt klar: „Wir sind keine Feinde, wir haben nur theologische Unterschiede, sowie Katholik*innen und Protestant*innen auch.” 

Islamfeindliche Proteste und Hetze begleiten den Moscheebau

Islamfeindliche Beschmierungen…

Nach vier Jahren reiner Bauzeit, unzähligen Herausforderungen und langen Strapazen soll Suleman Maliks Wunsch nach einem angemessenen Ort für die eigene Religionsausübung im Herbst dieses Jahres in Erfüllung gehen. Dabei stellte die Suche nach einem passenden Grundstück für die Erfurter Moschee eine große Herausforderung dar. Als endlich eine geeignete Fläche im Hochheimer Gewerbegebiet am Rande der Stadt gefunden wurde, gab es zunächst Bedenken auf städtischer und behördlicher Ebene. Lange wurde debattiert, ob ein Gotteshaus wie die Moschee aus ästhetischen und praktischen Gründen in ein Gewerbegebiet passe. Malik fasst zusammen: „Es ist schwieriger, eine Moschee zu bauen als ein Atomkraftwerk.” 

Von Anfang an löst der Moscheebau viele Emotionen in der Erfurter Gesellschaft aus: Zwar erfährt die Ahmadiyya-Gemeinde mehrheitlich Zuspruch für ihr Bauvorhaben – auch in Form von Demonstrationen gegen rechte Hetze und für Toleranz. Dennoch wird gleichzeitig der Bau seit Beginn an von islamophoben Anfeindungen und organisiertem Widerstand begleitet. Das Ziel der Gegner*innen: den Bau der Moschee zu verhindern. Auch Malik erlebt als Auswirkungen seines öffentlichen Engagements für den Moscheebau regelmäßig feindliche Reaktionen: „Wir werden Antisemitismus, Rassismus oder Islamophobie nie endgültig aus der Gesellschaft beseitigen können. […] Je sichtbarer wir als Muslime werden, desto mehr spüren wir das natürlich”. Von der AfD aufgerufen, sammelten sich zu den Höchstzeiten der Proteste 2016 bis zu 700 Protestierende gegen den Moscheebau. Faschist*innen liefen neben Pegida- Anhänger*innen und zwischen islamophoben Gruppierungen durch die Erfurter Innenstadt. Doch diese Demonstrationen gehören nicht der Vergangenheit an: Seit Beginn des Moscheebaus demonstriert noch immer jeden Montag eine kleine Gruppe von Personen gegen die Existenz des sichtbaren muslimischen Gotteshauses. Wie vehement Gegner*innen des Moscheebaus versucht haben das Projekt zu verhindern, wird deutlich, wenn man den Umfang und die Absurdität der Protestaktionen betrachtet. Neben Gegendemonstrationen und Hassnachrichten wurden Hamster auf dem Grundstück ausgesetzt, um wegen des Artenschutzes der Tiere die Bauarbeiten zu behindern.  Einen Höhepunkt erreichten die Provokationen, als Schweinekadaver auf der Baustelle verteilt wurden. Schweinekadaver gelten im Islam als unrein und dürfen nach dem Koran nicht von Muslim*innen berührt werden.

Zu den städtischen Behörden hat Malik ein ambivalentes Verhältnis:  Grundsätzlich ist die Unterstützung für das Projekt in den Behörden und in der Landespolitik groß. Auch Bodo Ramelow setzte sich immer wieder für die Realisierung des Projektes ein. Allerdings hätte er sich von einigen Lokalpolitiker*innen mehr Rückhalt und öffentliche Bekenntnisse zum Bau der Moschee gewünscht. Zusätzlich kritisiert Malik die aus seiner Sicht unzureichende polizeiliche Aufarbeitung der Hasskriminalität und Sachbeschädigungen an dem Moscheebau. Beispielsweise gibt es bis heute keine öffentlich bekannten Täter*innen, welche für die Schweinekadaver auf dem Gelände verantwortlich gemacht werden konnten. Malik beklagt, dass es am Anfang viele Probleme mit der Sicherheit des Moscheebaus gab und fragt sich: „Warum hat es so viele Vorfälle gebraucht, bis die Polizei erkannt hat, dass wir als Ahmadiyya- Gemeinde polizeilichen Schutz brauchen?”.

Von Malik zu hören, welchem Hass und Rassismus er und seine Gemeinde ausgesetzt sind, entsetzt uns. Nach unserem Gespräch bietet er uns an, einen Blick in die Moschee zu werfen. Knapp zehn Minuten vom Uni-Campus entfernt, erblicken wir die beeindruckende Kuppel zwischen tristen Industriehallen, grauen Elektro- Fachhandlungen und einer abseits vom Stadtgeschehen liegenden Rettungswache. Auf dem Weg durch das Gewerbegebiet in Marbach häufen sich islamophobe Schmierereien sowie faschistische Aufkleber bis direkt vor das Gebäude. Uns lief es kalt den Rücken herunter: Wie kann es sein, dass gelebter Rassismus und der Hass gegen eine Religion so offen in unserer Gesellschaft stattfindet?

Aufklärungsarbeit in der Erfurter Innenstadt

Aufbau der Moschee.

Trotz dessen sucht Malik weiter den Dialog mit der Gesellschaft: „Es sind schockierende Vorfälle, aber geschwächt haben sie mich nie. (…) Sie lassen mich nicht kalt, ziehen mich runter, das tut richtig weh. Aber was ist die Lösung? Aufzugeben? Nein– man muss für die Sache, die einem wichtig ist, einfach einstehen.” 

Die Idee, Religion anderen Menschen nahbarer zu machen, resultiert sowohl aus Maliks persönlichen Erfahrungen und seinem eigenen Glauben als auch aus dem Aufklärungsanspruch der Ahmadiyya-Gemeinde: Als Suleman Maliks Vater vor über 30 Jahren aus Pakistan als Erster der Familie nach Deutschland floh, begann dieser den Dialog mit der deutschen Gesellschaft zu suchen. In Pakistan gelten die Angehörigen der Ahmadiyya-Gemeinde als Nicht-Muslime und werden dort bis heute politisch verfolgt. Religion war für die Familie Malik deshalb eine private Angelegenheit, welche nicht in die Öffentlichkeit und den publiken Diskurs getragen wurde. In Deutschland, einem Land, in welchem Religionsfreiheit im Grundgesetz verankert ist, besteht für Familie Malik nun der Anspruch, dieses Privileg angemessen zu nutzen. Auf dem Erfurter Domplatz gelang es erst dem Vater, dann dem Sohn über mehrere Jahre hinweg, religiöse Aufklärungsarbeit auf Augenhöhe zu leisten. Beide stellten sich inmitten des Tumults der Erfurter Innenstadt großem Unverständnis, tiefsitzenden Befürchtungen, interessierten Fragen und starker Neugier ihrer Thüringer Mitbürger*innen aus. Malik erklärt uns, dass in vielen Teilen der Bevölkerung Unklarheiten und offene Fragen über seine Religion existieren.  Diesen Bedarf möchte er stillen, indem er Überzeugungsarbeit leistet und Sorgen verringert: „Es ist in Ordnung, Angst zu haben. Aber diese Angst darf nicht zu Handlungen führen, die schließlich die Gesellschaft spalten. Angst kann verringert werden, indem ich mit einer Person darüber rede und sie meine Vorurteile im Gespräch auf Augenhöhe abbaut.” 

Maliks Engagement beeindruckt uns: Neben seinem Ehrenamt als Gemeindesprecher der Ahmadiyya in Erfurt ist er lokalpolitisch als parteiloser Vize-Bürgermeister für den Erfurter Stadtteil Rieth aktiv und setzt sich als regionaler Beauftragter für Geflüchtete ein. Außerdem macht er sich deutschlandweit gegen die Abschiebung von Ahmadis stark, die noch immer in einigen Ländern verfolgt werden. Für uns ist es faszinierend zu sehen, wie stark Suleman Malik dabei auf seinen Glauben vertraut, daraus eine tiefe Gelassenheit schöpft, nicht die Geduld verliert (nicht mal bei rassistischen oder beleidigenden Vorwürfen) und am Ende noch mehr Mut und Engagement in den Moscheebau investiert. Nur den Dialog mit Rechtsextremen hat Malik aufgegeben und möchte dieser Art von Fremdenfeindlichkeit keine weitere Aufmerksamkeit schenken. 

Ein Ort der Begegnung und des Austauschs soll entstehen 

Bei dem geplanten „Tag der offenen Moschee“ am 3. Oktober wird in jedem Falle auch Polizeischutz nötig sein, ist sich Malik sicher. Er befürchtet auch, dass mit der Eröffnung der Moschee die Übergriffe nicht zu Ende sein werden. Doch in unserem Gespräch betont Suleman Malik immer wieder, dass er trotz allem in erster Linie dankbar und glücklich ist, dass die Moschee nun kurz vor der Eröffnung steht. Trotz Maliks Kritik an mangelnder Aufarbeitung der Vorfälle, erklärt er: „Ich freue mich einfach, dass wir endlich eine Moschee in Erfurt haben. […] Das ist gelebte Religionsfreiheit und ein Beispiel dafür, dass wir in einer toleranten, offenen Gesellschaft leben. Nach diesen ganzen Anfeindungen ist das überwiegende Gefühl in mir immer noch, dass wir einen funktionierenden Rechtsstaat haben.”

Sobald der Bau abgeschlossen ist, wird der Imam der Gemeinde auf dem Gelände wohnen und es wird fünf Mal am Tag ein Gebet stattfinden. Zusätzlich denkt Malik über die Etablierung bisher fehlender Institutionen nach, wie beispielsweise Islamische Wohlfahrt, Religionsunterricht oder einen Kindergarten. Sobald die Bauphase beendet ist, sollen die Türen der Moschee der ganzen Bevölkerung offenstehen, sodass sie als Begegnungs- und Bildungsstätte genutzt werden kann. Sie soll einen sicheren Ort bieten, um Wissbegierde zu stillen und über den muslimischen Glauben aufzuklären.  Alle sollen sich wohlfühlen – jung oder alt, gläubig oder nicht. Umsetzen will Malik diese Idee durch Besuchs- und Bildungsangebote für Schulklassen, Hochschulgruppen und Familien. Er betont: „Es geht nicht darum, jemanden dazu zu bringen, zum Islam zu konvertieren, sondern darum, dass Menschen sich selbst ein Bild machen.” “Im Dialog bleiben” ist eine Redewendung, die Malik häufig benutzt. Er wünscht sich vor allem mehr gegenseitigen Respekt in der Gesellschaft – für seine Religion, für seine Gemeinde und für einen Ort, der all dem ein Zuhause gibt. 


1 Nach dem Religionswissenschaftler Peter Antes, praktizieren die Ahmadiyya ihren Glauben sehr ähnlich wie andere Muslim*innen. Doch während Mohammed in den Hauptströmungen des Islams als letzter Prophet gilt, ist er für die Ahmadiyya nur der letzte “gesetzgebende” Prophet. Denn für die Ahmadiyya ist ihr Gründer Ghulam Ahmad auch ein Prophet. Dieser ist Mohammed nachgeordnet und gekommen, um die Lehre des Korans wiederzubeleben.

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