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Abbruch oder Abriss? – Das Erstsemester während Corona

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Im Normalfall sieht der studentische Schreibtisch Samstags- oder Sonntagsmorgens so aus, …

Ersti- und WG-Parties, Kneipentouren, herumlungern auf dem Petersberg oder Klein Venedig belagern, hoch-philosophische Gespräche mit den Kommiliton*innen bei einem Glas Bier, Wein oder (Hafer-)milch. Das alles schien bis letztes Jahr unverzichtbar für ein Studium in der thüringischen Landeshauptstadt zu sein. Denn das Studium ist neben dem unfassbar großen Gewinn an Wissen (*hust*) in kulturellen, fachlichen und akademischen Aspekten, selbstverständlich auch die Zeit im Leben, in der sich Studierende auch in anderen, meist eher profanen, aber mindestens genauso wichtigen Sparten verwirklichen können

Nun wird seit März 2020 eben dieser, zuletzt genannte Aspekt durch die Covid-19-Pandemie deutlich eingeschränkt. Natürlich mag das zwar als Meckern auf hohem Niveau bezeichnet werden, da manche Berufsgruppen deutlich mehr unter der Pandemie leiden, ja sogar Existenzen zu großen Teilen bedroht sind. Jedoch stellt sich die Frage, ob durch die Corona-Krise das Konzept Studium an Wert und die Menschen an Interesse daran verloren haben.

…aktuell aber wahrscheinlich eher so.

Deshalb habe ich einigen Studierenden, welche zum Wintersemester 2020 angefangen haben zu studieren, Fragen zum Studium zu Corona-Zeiten und rund um die Themen Abbruch, Erfurt und dem fehlenden Student*innenleben gestellt:

Laura (21), studiert Kommunikationswissenschaften und Philosophie

„Da ich selbst aus Thüringen komme und sowohl Erfurt als Stadt sehr mag als auch mein aktueller Studiengang mich selbstverständlich angesprochen hat, ist mir die Entscheidung leichtgefallen. Außerdem war mir klar, dass die meisten Dozent*innen und Professor*innen aufgrund der Pandemie ihren Unterricht nicht in Präsenz anbieten können. Deshalb ist es für mich egal gewesen, ob ich prinzipiell jetzt in Leipzig, Jena oder eben Erfurt studieren würde. Das Studium ist bis jetzt ganz cool, aber die Leute fehlen schon und der Fakt, dass man dauerhaft daheim hockt, nervt auch ziemlich. Es ist manchmal echt schwer, sich überhaupt hinzusetzen und sich zu motivieren. Die größte Herausforderung ist eben, dass man oft ein wenig überfordert ist und nicht so ganz weiß wie man es machen soll. Hinzu kommt, dass man niemanden fragen kann. Irgendwie sitzt man die ganze Zeit im eigenen „Kreis“, kommt kaum raus vor die Tür. Das erschwert natürlich auch, sich mal Zeit für sich selbst zu nehmen. Man hat kaum soziale Kontakte und der Umgangston ist generell sehr kühl. An einen Studienabbruch habe ich nicht gedacht, da ich ein paar Leute schon kennengelernt habe und das Studium mir unterm Strich schon sehr viel Spaß macht. Auch das Wissen, das es eine Zeit nach Corona geben wird, macht mir Hoffnung. Am meisten fehlt mir natürlich der generelle Austausch mit Kommilitonen, das persönliche und irgendwie auch das Gefühl, dass man sich willkommen fühlt.“

Lennart (18), studiert Kommunikationswissenschaften und Romanistik

„Also ich habe mich wahrscheinlich gerade wegen Corona für Erfurt entschieden. Zum einen stammt meine Familie von hier und dadurch kenne ich mich gut aus. Zum anderen habe ich erst letztes Jahr mein Abi gemacht und weil klar war, dass ein Auslandsjahr oder ähnliches niemals klappen würde, habe ich eben ziemlich schnell eine Bewerbung für die Uni fertig gemacht. Studieren wollte ich so oder so. Nach den ganzen Infoveranstaltungen habe ich mich dann für KW entschieden. Bis jetzt bin ich sehr zufrieden. Die Uni ist gut organisiert, dank der vielen Einführungen und den Studieneinführungstagen (STET) war der Start super und bis jetzt bin ich auch happy mit allen Dozenten*innen. Klar ist es schade, immer nur zu Hause zu sitzen, aber das Studieren macht trotzdem Spaß, weil mich die Themen ja auch interessieren und die Dozent*innen sich Mühe geben, dass auch online alles verständlich ist. Ans Abbrechen habe ich nie gedacht. Allerdings glaube ich nfehlt es leider so ziemlich alles was zum Student*innenleben dazugehört: Ich war ja noch nie in einem Hörsaal und kenne gefühlt nur zehn Kommiliton*innen. Die aber auch nur von den STET. Ich würde gerne mal die anderen und den Campus besser kennenlernen und ein wenig vom Bildschirm wegkommen.“

Melina (20), studiert Kommunikationswissenschaften und Philosophie

„Ich habe mich für Erfurt entschieden, da die Fächerkombination, die mich interessiert hat, hier an der Uni angeboten wird. Die Stadt und die Uni an sich gefallen mir auch sehr gut und die Entfernung von meiner Heimat Lüneburg ist genau perfekt ist; nicht zu weit und nicht zu nah. Zum Zeitpunkt als ich mich beworben habe stand außerdem der Plan des Hybrid-Semesters noch. An sich bin ich zufrieden mit meinem Studium, das normale Student*innenleben fehlt mir aber schon sehr. Vor allem das Kontakteknüpfen ist extrem erschwert, da man ja den ganzen Tag in seinem Zimmer vor dem Laptop sitzt. Die selbstständige Aneignung von Stoff und dessen Austausch mit den anderen gehen auch ziemlich verloren und leiden sehr unter den Umständen. Auch in Seminaren kommt es selten zu Diskussionen. In ein paar stressigen Situationen habe ich mir schon überlegt hinzuschmeißen, allerdings haben sich die Probleme relativ schnell lösen lassen oder ich habe jemanden gefunden, der mir helfen konnte. Daher hielt der Gedanken nicht lang an. Am meisten fehlt mir das Campusleben, die Partys und natürlich der Kontakt zu Kommiliton*innen, egal ob in der Freizeit oder zum Austausch über so manche Veranstaltung.“

Den Eingangsbereich der Uni werden die meisten “Corona-Erstis” nur aus der Einführungswoche kennen.
Bildrechte: Universität Erfurt

Fabienne (20), studiert Erziehungswissenschaften und Sozialwissenschaften

„Für ein Studium in Erfurt habe ich mich entschieden, da ich finde, dass Erfurt durch die ganzen Studierenden und die kleine Innenstadt eine sehr lebendige, aber angenehme Atmosphäre bietet, in der ich mich schnell wohlgefühlt habe. Natürlich fehlt einem die regelmäßige Interaktion mit neuen Menschen und man lebt durch die asynchronen Vorlesungen (zu einem beliebigen Zeitpunkt anschaubar Anm. d. Red.) eher in den Tag hinein. Aber andererseits kann ich meine Vorlesungen „um“ meinen Tag herum planen und bin somit eher uneingeschränkt in meinem Alltag. Ich denke auf jeden Fall, dass das Online-Studium wesentlich weniger anspruchsvoll ist und daher weniger Menschen abbrechen. Jedoch finde ich es wesentlich anstrengender für die Psyche und es wäre wichtig den Studierenden in dieser Hinsicht Perspektiven oder Angebote zu bieten um, trotz all der Gefahr, sich mit anderen Menschen austauschen zu können.“

Linda (20), studiert Kommunikationswissenschaften und Management

„Der Standort Erfurt war von den Angeboten, die ich für meinen Studiengang hatte einfach, am attraktivsten. Es mag zwar für Städter*innen ein wenig albern klingen, aber da ich vom Dorf komme, waren die Straßenbahnen und er ÖPNV einfach mega cool und praktisch. Die Altstadt gefällt mir auch sehr. Die ganze Thematik rund ums Online-Semester habe ich ehrlich gesagt ausgeblendet. Ich war gänzlich davon überzeugt, dass es schon irgendeine Zwischenlösung geben wird. Beziehungsweise, dass sich die Online-Lehre nur auf das Wintersemester beschränkt. Rückblickend klingt das natürlich ein wenig doof, aber naja so war das halt eben. Ich habe halt fest daran geglaubt. Oder wollte es wahrscheinlich einfach glauben. Ich habe mir zum Start des Studiums eine eigene Wohnung gesucht und das ist auch der Hauptaspekt, der mich eigentlich hier hält. Einfach die Freiheit der ersten eigenen Wohnung und dass ich halt viel Geld reingesteckt habe. Die Handvoll Leute, die man halt so kennengelernt hat, trägt auch dazu bei. Wäre schon ein bisschen traurig, hier alles abzubrechen. Bin auch nicht so der Typ der etwas vorschnell abbricht. Aber überlegt habe ich natürlich. Wenn mich jetzt jemand jüngeres nach dem Studium fragt, würde ich ihm/ihr sagen, dass Erfurt prinzipiell extrem cool ist für Studenten, aber er/sie am besten das Studium so lange erstmal aufschieben sollte, wie es möglich ist. Falls man die Möglichkeit hat, noch ein Jahr zu warten und erst zu beginnen, sobald sich die Situation beruhigt hat, dann sollte das jede*r machen. Hätte ich gewusst, dass es sich so lange zieht, dann hätte ich auch gewartet. Ich habe vorher in einer Zahnarztpraxis gearbeitet und rückblickend hätte ich das weitermachen sollen. Dann hätte ich mein kleines Einkommen gehabt und erst nach Corona angefangen zu studieren. Vom klassischen Studentenleben fehlt mir bisher eigentlich alles was dazugehört.“

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