Reflexionen zu den Aktionen gegen den Bundesparteitag der AfD
Einen Monat ist es her, dass über 10.000 Menschen gegen den Bundesparteitag der AfD in Riesa protestierten. Aus ganz Deutschland zogen Aktivist*innen, Studis, Rentner*innen und Familien in die sächsische Kreisstadt, um dem “rechtsextremistischen Verdachtsfall” von einer Partei zu zeigen: Wir widersetzen uns eurem Hass und eurer Hetze!
In zahlreichen Aktionen des zivilen Ungehorsams konnten erfolgreich Anfahrtswege der Abgeordneten blockiert werden. Einige traten gar wieder den Heimweg an und der Beginn des Parteitags verzögerte sich um zwei Stunden. Auch aus Erfurt beteiligten sich viele Menschen an den Blockaden und der Massenkundgebung vor der Messehalle. Zwei von ihnen berichten von ihren Erfahrungen rund um den Protesttag in Riesa.
Zusammenstehen und dagegenhalten
Bis zuletzt konnte ich keine eindeutige Antwort geben, weshalb ich nun nach Riesa fahre. Obwohl ich mich sehr früh dazu entschieden hatte, ein entsprechendes Busticket zu kaufen, war in meinen Beweggründen keine einstimmige Klarheit gegeben. Selbstverständlich klang die Idee gut, durch zivilen Ungehorsam den Parteitag der AfD zu verhindern oder zumindest auszubremsen. Ein Unterfangen, das sowohl auf symbolischer Ebene wirkmächtig ist, aber eben auch einen tatsächlich praktischen Effekt hätte. Doch eine unangenehme Stimme in mir keifte da schon, dass es sich, wenn überhaupt, nur um ein Hinauszögern des Ganzen handeln würde.
Ein AfD-Parteitag ließe sich vielleicht einmal undurchführbar machen, aber nicht abwenden. Zudem beweisen ja auch demokratische Parteien, dass man für, freundlich gesagt, Migrationsskepsis und Sozialneid nach unten nicht die AfD wählen muss und sich dabei durchaus ein „gutes Gewissen“ bewahren kann.
Vielleicht ging es mir auch darum, überhaupt etwas zu tun. Als Jugendlicher waren linke Ansichten für mich noch verknüpft mit flammendem Idealismus, kämpferischem Mut und Hoffnung auf eine bessere Zukunft für Alle. Doch jetzt nur ein paar Jahre später ist das bestimmende Gefühl das einer deprimierten Ohnmacht. Das heißt zwar nicht, dass man resigniert, aber so nah die Revolution zu sein scheint in Auseinandersetzung mit linker Theorie, so hilflos ist man dann doch, wenn man nur einen scheuen Blick aus dem Fenster wagt.
Das einzige, was dagegen halten kann, ist Solidarität. Es gilt also nicht nur solidarisch zu handeln, sondern sich auch stets die Solidarität Anderer bewusst zu machen. Rückblickend war das wohl das Entscheidende für mich an diesem Tag. Wir waren in der Nacht aufgebrochen und nach einiger Fahrzeit konnte ich plötzlich vor mir die roten Rücklichter anderer Busse sehen, die an diesem Morgen nach Riesa fuhren. Der Radiosender spielte in dem Moment unerwartet passend „Lay All Your Love On Me“ von ABBA. Es wurde mir nur durch diesen kurzen Moment wieder einmal hautnah deutlich: Wer antifaschistisch denkt und handelt, muss dabei nie allein sein.
Dieser Eindruck verstärkte sich dann noch, als wir eine Straßenblockade später in Riesa selbst ankamen. Zwischen 10.000 und 15.000 Personen waren in diese 30.000 Einwohner starke Stadt gekommen, alle mit dem Ziel, sich gegen den Faschismus zu positionieren. Solidarität unter den Antifaschist*innen, Solidarität mit denen, die heute schon unter Repressionen zu leiden haben und die jeden Tag existentielle Ängste ausstehen müssen. Es gab viel Anteilnahme, offene Arme und eine große Wut auf das Unmenschliche, die sich dann beispielsweise in der Rede von Sultana Sediqi Bahn brach.
Doch um diese Rede hören zu können, mussten wir es erst einmal zu der großen Kundgebung schaffen. Die wie leer gefegten Straßen waren durch Polizeiblockaden unterbrochen. Immer wieder wurden hier Menschen aufgehalten, seien es nun Antifaschist*innen, Personen, die durch die Sperren ihre Bezugsgruppen verloren hatten oder Demonstrant*innen aus Riesa, die lediglich wieder nach Hause kommen wollten. Werner Herzog hatte über eine Szene aus seinem Film “Stroszek” gesagt, dass darin eine ungeheure Metapher sei, er wisse nur nicht, für was. Beim Anblick dieser Straßensperren kam mir das auch in den Sinn. Max Reimann hatte, als die KPD ablehnte, die Verfassung zu unterzeichnen, folgende Worte gefunden:
„Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben!“
Und so standen hier auf der einen Seite der Sperre diejenigen, die einen Diensteid auf die Verfassung abgelegt hatten. Sie hielten die auf, die auf der anderen Seite wollten, dass die unveräußerliche Menschenwürde tatsächlich unantastbar würde. Eine ungeheure Metapher, ich weiß nur nicht, für was.
Warm bleiben und weitermachen
Als mein Zug um halb acht Erfurt verlässt, ist auf den Autozufahrtswegen von und nach Riesa schon kein Durchkommen mehr. Tausende Menschen sitzen, stehen oder stationieren sich anderweitig an strategischen Punkten und verhindern die pünktliche Anreise von rund 600 AfD-Abgeordneten zu ihrem Parteitag. Weitere Tausende kommen wie ich im Laufe des Tages hinzu, um vor dem Austragungsort in der WT-Arena zu demonstrieren.
Der morgendlich leere ICE füllt sich in Leipzig schlagartig. Leute stehen gedrängt in den Gängen, teilen sich Sitze und eine recht gelöste Stimmung. Viele meiner Mitreisenden scheinen Studierende zu sein, junge Erwachsene wie ich, auf dem Weg zum selben Ziel. Ein Gefühl von Schulausflug stellt sich bei mir ein. Als wir in Riesa ankommen, ist es kalt und voll. Lange geht gar nichts, die Polizei scheint überfordert, uns durch die enge Unterführung vom Gleis schleusen zu müssen, die Ausflugsstimmung weicht zunehmend Anspannung.
Endlich draußen schließen wir uns einem bunten Strom demonstrierender Menschen an, die versuchen, sich einen Weg durch die Stadt zu bahnen. Riesa selbst wirkt verlassen und unbewohnt. Nur vereinzelt sieht man Anwohner*innen hinter Fenstern oder Balkongeländern hervorschauen, meist mit kritischer Miene, den Blick so verschlossen wie viele der Vorhänge.
Ganz Riesa hat sich hinter seine Gardinen zurückgezogen. Ganz Riesa? Nein, einzelne unbeugsame Anwohner*innen entlang der Demo-Route zeigen sich solidarisch. Mal verhalten, durch Nicken oder gelegentliches Klatschen, wie ein Mann mittleren Alters von seinem Balkon aus. Mal enthusiastisch und unübersehbar, wie die alte Dame, die den Demonstrierenden unter ihrem Fenster mit Lachen, Winken, Klatschen und erhobenen Daumen ihre Unterstützung zeigt. Diese wird dankend angenommen. Alle paar Minuten durchbricht freudiges Grölen den Rhythmus der Demo-Sprüche, wenn ein weiterer Abschnitt der sich langsam fortbewegenden Menge die fröhliche Dame in ihrem Fenster entdeckt. Wir jubeln ihr zu und winken zurück – es ist verrückt, wie viel Mut diese eine Person mir und meinen Mitdemonstrierenden macht.
Wohl auch, weil uns sonst niemand das Gefühl gibt, hier willkommen zu sein. Die Drohkulisse aus Wasserwerfern und wahnsinnig vielen Beamt*innen wird wirksam ergänzt um Aktivist*innen, die am Wegrand einander Pfefferspray aus dem Gesicht spülen. Die Message ist klar: Hier ging etwas ab, irgendwo anders geht es gerade weiter, es kann jederzeit auch hier wieder losgehen.
Was nicht geht, ist der Weg weiter in Richtung WT-Arena. Für eine Strecke von sonst rund 30 Minuten benötigen wir heute über zwei Stunden. Die Ironie: Wegen des großen Andrangs an Demonstrierenden – und der Blockaden durch die Polizei – wird auch der Beginn der Kundgebung gegen den Parteitag um eine Stunde verschoben. Eine weitere Stunde später schaffen auch wir es zur WT-Arena. Deren Parkplatz füllen eine Bühne, Info-Stände und abertausende Menschen, deren Zustrom auch lange nach unserem Eintreffen nicht abzureißen scheint. Zu den letzten Takten von Team Scheisse machen wir ein Picknick auf dem kalten Asphalt. Ein Gewerkschafter spricht, dann wird in der pulkartigen Schlange vor den mobilen Toiletten zu Pöbel MC mitgewippt, von irgendwo weht Weed rüber.
Wenn ich meine Zehen noch spüren könnte, wäre das Festival-Feeling perfekt. Während ich vor den Dixis warte, beklemmt mich dieses Gefühl. Die Unangemessenheit dieser ganzen Situation ob des Ernsts der Lage. Im Nachhinein frage ich mich, warum Widerstand nicht auch Spaß machen darf. Dass es doch nur logisch ist, den Ernst und Unannehmlichkeiten eines kalten, präfaschistischen Parkplatzes durch Musik und Miteinander etwas erträglicher zu machen. Klar, Demos dürfen Spaß machen. Man darf sich nur nicht darauf ausruhen, dass das reicht.
Wir müssen uns zeitig wieder auf den Weg machen, um unseren Zug nach Hause zu erwischen. Während wir versuchen, an den zahlreichen Polizeisperren vorbei einen Weg zurück zum Bahnhof zu finden, kommen uns noch immer Menschen entgegen, die zur Kundgebung wollen. Einige scheinen gerade erst aus dem Zug gestiegen, die meisten kommen aber aus Blockade-Aktionen. Nicht alle von ihnen schaffen es unbeschadet zur Messehalle.
Als der Bahnsteig sich wieder füllt, kommen die ersten Meldungen über massive Polizeigewalt und Verletzte über den Demo-Ticker. Wir checken diese Nachrichten, während wir besprechen, was wir zu Abend essen und für die Uni morgen noch machen müssen. Wir freuen uns über einen warmen Platz im wieder übervollen Zug. Wir sind froh, es geschafft zu haben, und haben doch das Gefühl, nicht viel geschafft zu haben. Meine Gedanken sind bei der alten Dame am Fenster und ihren Riesaer Mitstreiter*innen, die vor Ort mutig mitorganisiert und demonstriert haben. Wir haben uns und ihnen gezeigt: Wir sind nicht allein. Zumindest heute. Das wärmt ein wenig. Womöglich besser als die Zugheizung, die mir angesichts der vielen Menschen um mich rum in dem Moment überflüssig scheint.
Ab Leipzig wird es wieder leer. Auch wenn ich meine Hände und Füße wieder spüren kann, sitzt mir die Kälte dieses Tages noch tief in den Knochen. Genau wie das Unbehagen, nicht genug getan zu haben. Zurück in Thüringen denke ich mir: zu Recht, denn es ist noch nicht genug getan. Wir müssen mehr und weitermachen. Bei Demonstrationen gegen den Bundeskongress der ‘Jungen Alternative’ im beschaulichen Apolda, gegen Friedrich Merz, die CDU und alle Parteien, deren Politik letztlich Ausgrenzung und Menschenhass fördert oder in Kauf nimmt. Aber auch zu Hause, in der Schule, im Verein oder auf der Arbeit. Überall, wo wir noch wirken können, müssen wir weitermachen.