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Vorschau: The Guilty im Unikino

“Hat die Person Sie entführt?”

Unangenehme Telefonate. Das langsame Heraussuchen der Telefonnummer. Das noch langsamere Eintippen der Ziffern. Die beinahe ironisch provokant fröhlich-verspielte Wählmelodie und das unerträgliche Tuten, das den Anruf mit jeder Wiederholung seiner Entgegennahme näher bringt. Dieses Prozedere erscheint quälend, auch wenn und vielleicht gerade weil wir es als Seltenheit kennen.

Für Asger Holm ist es das nicht. Absolut nicht. The Guilty begrüßt uns mit dem Alltagssetting einer Kopenhagener Polizei-Notrufzentrale. Unangenehme Anrufe sind hier nicht nur an der Tagesordnung. Sie sind auch unverzüglich zu beantworten und dulden keinerlei Aufschub. Dass sich auch Asger Holm erfüllendere Facetten der Polizeitätigkeit vorstellen kann, wird schnell klar. Noch während das Sprudeln der Kopfschmerztablette seine hypnotisierende Wirkung entfaltet, klingelt erneut das Telefon. Asger ist kurz davor, auch diesen Anruf als eine weitere Nichtigkeit abzutun, als sich die Frau am anderen Ende der Leitung als Opfer einer laufenden Entführung herausstellt.

Erstlingswerk, das viel verspricht

Mit einem Budget von 500.000€ und einem Einspielergebnis von bis dato 4,2 Millionen Dollar bewegt sich The Guilty schon finanziell nicht gerade in Hollywood-Gefilden. Auch die Länge von nur knapp 90 Minuten widersetzt sich auf angenehme Weise dem Trend hin zu einer Normalisierung des Konzepts Überlänge. Das Erstlingswerk des Drehbuchautors und Regisseurs Gustav Möller hält auf Trab und ist dabei in seiner Länge genau richtig bemessen.

Es mag nun zunächst unrealistisch erscheinen, dass sich The Guilty im weiteren Verlauf als perfekte Kombination aus Drama- und Thrillerelementen entpuppt (sollte die Trennlinie zwischen den beiden Genres überhaupt zu zeichnen sein). Denn – und um alle zu beruhigen: mit der Kenntnis dieser Tatsache büßt der Film nichts von seiner Spannung ein – wir werden die eher bescheidenen Räumlichkeiten der Notrufzentrale Kopenhagen nicht mehr verlassen. Zumindest nicht mit den Augen.

The Guilty spielt mit dem Medium und unserer Vorstellungskraft

The Guilty und somit Asger Holm, grandios verkörpert von Jakob Cedergren, begleiten uns durch die tiefe Nacht Nordsjællands, während sich eine Dramatik entspinnt, die nur selten Momente der Entspannung zulässt. Wichtigstes Instrument dabei: das Telefon. Die Melodik des Films speist sich nicht aus musikalischer Untermalung, sondern einzig und allein aus verschiedenen Klingel- und Vibrationstönen und gelegentlich dem verwaschenen Hintergrundrauschen des Regens, der sich während der Anrufe erahnen lässt. Überhaupt schafft The Guilty das, was wir sonst nur vom Gebrauch des kaum mehr zeitgemäß erscheinenden Mediums Buch kennen. Er regt uns dazu an, unsere eigene Fantasie anzukurbeln und uns das, was in diesem scheinbar unveränderten Setting an visuellen Hinweisen fehlt, auszumalen. Erstaunliches kleines Ding manchmal, unser Kopf.

Gerade die kognitive Unvereinbarkeit von unfassbar ruhigen Bildern und dem rasanten Tempo der Ereignisse, die uns über die Bluetooth-Kopfhörer und das Handy des Protagonisten zugetragen werden, macht diesen Film reizvoll. Wir müssen also die dramaturgische Dominanz unserer bekannten und wahrscheinlich auch liebgewonnen Filmrolle als omnipräsentes Wesen mit herrlichem Überblick für The Guilty über Bord werfen. Oder zumindest etwas relativieren. Einige Dinge mal etwas relativer zu betrachten, täte uns im Allgemeinen ohnehin ganz gut. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass Asgar hier pausenlos tun muss, wovor uns schon bei eher seltenen Anlässen graut: unangenehme Telefonate tätigen.

Filmverleih: NFP

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