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buchbar: Erfurter Experimente

Stellt euch vor: Ihr möchtet einfach ein bisschen stöbern. Ein Buch hier, ein Buch da in die Hand nehmen. Es euch ein wenig gemütlich machen und die Gedanken literarisch initiiert treiben lassen. Dazu dann ein feiner Cappuccino. Fast Italien. Nur… seid ihr immer noch in Erfurt. Also nichts wie weg und die nächste Reise buchen. Gut, dass ihr dafür nicht mal die Lokalität wechseln müsst. Mit Schmökerlektüre unterm Arm und schwankender Kaffeetasse ein paar Schritte weiter. An den Tisch gesetzt und innerhalb weniger Sekunden sitzt dir ein Mann Mitte 50 mit runder Brille gegenüber und sucht dir Hoteloptionen in der Toskana.

Das ist die buchbar. Oder so scheint zumindest ihr Konzept zu sein. Die buchbar befindet sich direkt neben dem Cognito, zwischen Wenigemarkt und Fischmarkt und hat Ende April 2020 eröffnet. Ein neuer, mindestens mal ungewöhnlicher Laden, direkt im Herzen Erfurts.

Vorab: Wer nicht ein bisschen anfällig für helle Holzvertäfelung, bunte Kaffeemaschinen, Charlie Cunningham (ähnliche) Musik, gesellschaftspolitische Romane und diese insgesamt experimentelle Idee ist, wird wahrscheinlich nur Spott übrig haben für die Buchbar. Und ehrlich gesagt, ging es mir am Anfang nicht anders. Als Ungleich-Redakteur bin ich geschärft für alles Kritikwürdige, was mit Leipzig anfängt und Berlin aufhört und dieser Laden würde definitiv von der Optik am Prenzlauer Berg weniger überraschen als neben der Erfurter Touri-Information.

Trotz oder wegen der anfänglich sehr stark ausgeprägten Skepsis reizte es mich einen Blick reinzuwerfen. Der Laden ist sehr hell und erinnert an eine Galerie. Jedes der Bücher wird hier eigens für sich präsentiert. Es gibt keine vollgepackten deckenhohen Regale, den Traum jedes lesenden Kindes. Hier stehen die Bücher teils mit dem Frontcover nach vorne im Regal, liegen auf Tischen, man sieht erstaunlich wenige Buchrücken. Keine Stapel, kein Platzmangel. Die Bücher sehen alle aus, als würden sie dreimal täglich ausgetauscht oder zumindest von fettigen Fingerabdrücken befreit werden. Ich bezweifle, dass die Besitzer*innen jemals Eselsohren in ihren Büchern hinterlassen haben.

Galerieflair im Bücherland

Was auffällt: Es gibt keinen Spiegel-Bestseller-Tisch, an dem Leser*innen gesagt wird, was gerade wichtig ist und was nicht (also immerhin keine Angst hier auf Ulfkotte oder Sarazzin in Spitzenposition zu treffen wie andernorts). Dennoch finden sich viele aktuelle (und wichtige) Bücher: Alice Hasters und Margarete Stokowski zum Beispiel. Daneben aber auch das, was man im Mittelklasse-Feuilleton wohl „Weltliteratur“ nennen würde. Viel beachtete ältere Romane von Menschen (Männer vor allem) around the world: Carlos Ruiz Zafón, Gabriel García Marquez, Albert Camus, William Golding, Max Frisch, Harper Lee. Eine Hommage an Simone de Beauvoir. Einige (Reise-)Bücher vom großen Roger Willemsen. Einige Romane über Rassismus in den USA (unter anderem von der wunderbaren und empfehlenswerten Autorin Chimamanda Ngozi Adichie). Eine Wand Kochbücher und hinten links ein Raum für Kinderbücher mit einem sehr langen, blauen Sofa. Und natürlich eine ganze Menge Reiseliteratur. Es sind ungewöhnlich wenige Bücher in diesem Laden aber ungewöhnlich viele gute. Ich komme nicht drum rum den Inhaber*innen zu sagen, dass mich ihre kuratierte Sammlung begeistert.

Bleibt natürlich noch: die türkise Kaffeemaschine. Und: die zwei Reisebüro-Tische, vom Hauptauslagen-Tisch nur durch zwei Bücherregale und einen Vorhang getrennt. Mit dem sehr leckeren Kaffee in der Hand lasse ich mir die Geschichte der buchbar erzählen. Olaf Nocke hat elf Jahre im Reisebüro gearbeitet, bevor er gemeinsam mit Ulrike Brandt die buchbar eröffnete. Die Buchauswahl geht vor allem auf Brandt zurück, Nocke kümmert sich um den Reisebüroteil. Es sollte ein Laden entstehen, der „nicht auf den Buchverkauf angewiesen“ ist, sondern viel mehr durch das Reisebüro finanziert wird. Nocke selbst organisiert Gruppenreisen nach Namibia, Peru, Myanmar, Mexiko, mit dem Fahrrad durch Vietnam. Dass dieses Fernreisegeschäft, auf das so ein Reisebüro angewiesen ist, momentan wegbricht, ist offensichtlich. So verdienen Nocke und Brandt auch beide nebenher: Der eine als Webdesigner, die andere als Krankenschwester.

Olaf Nocke ist der Reisevermittlungsexperte der buchbar

Der Start war nicht nur wegen Corona alles andere als günstig: „Wir haben wegen der Baustelle überlegt, ob wir den Start um ein Jahr verschieben und dann mit den schlimmsten Zahlen kalkuliert“. Das habe sie letztlich sogar gerettet, man war quasi auf Corona vorbereitet. Dennoch ist Nocke gleichermaßen überrascht und erfreut über das relativ hohe Aufkommen und die positive Resonanz: „Leute aus Berlin sagen, so was gibt es bei uns nicht und Leute aus Leipzig sagen ihren Bekannten, dass sie unbedingt bei uns vorbeischauen sollen“. Sorry, ihr Großstadtmäuler*innen, Erfurt for the win.

Das Holz, so lerne ich noch, ist See-Kiefer und die Bänke und die Bücherablagen sind tatsächlich von einem Zugabteil inspiriert (Sitzfläche und Kofferablage). Da kommt man selber wohl nicht drauf, trotzdem ganz schick. Sobald Corona es wieder zulässt, sind auch die Fensterbänke als Sitzmöglichkeiten frei.

Fest geplant ist auch, dass es Kulturveranstaltungen in der buchbar geben wird: Unter dem Titel „lesbar“ sollen verschiedene Lesungen, vor allem von Erfurter Autor*innen, stattfinden. In einer anderen Reihe „hörbar“ oder „tiny bookstore concert“ soll auch Musiker*innen eine Bühne gegeben werden. Es ist also noch einiges zu erwarten von der buchbar. Nocke betont mehrmals: „Ob das dann wirklich klappt und wie gut das läuft, werden wir dann sehen“. Irgendwie sympathisch und man kann nur hoffen, dass die buchbar tatsächlich das wird, was der 55-jährige sich gewünscht hat: „Eine Insel zum Wohlfühlen für die nächsten 15 Jahre“.

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