Was bin ich ohne Verbindung zur Außenwelt? Diese Frage stellt sich zwangsläufig jeder in der letzten Zeit einmal, wenn es draußen dunkel wird und das einzige Licht, das den Raum erhellt, vom Laptop auf den Schreibtisch ausgeht. Corona hat uns wieder fest im Griff.
Einen Lockdown gab es schon Mitte März, also dürften wir ja eigentlich an einsame Straßen und flüchtige Begegnungen gewöhnt sein. Doch diesmal ist es anders. Die freudige Erwartung, dass nach vier Wochen frühsommerlichen Spazierengehens mit Maske alles vorbei ist, gibt es nicht mehr. Wir steuern auf kräftezehrende Monate mit wenig Licht und Wärme zu. Dass es im Winter einen höheren Anteil an Menschen gibt, die Therapiebedarf benötigen, ist kein Zufall: Depressionen, psychosoziale Angststörungen, resultierend aus Einsamkeit und Frustration sind Begleiterscheinungen, sobald die Tage kürzer werden und die Nacht beginnt, bevor man richtig aufgewacht ist. Fakt ist: Die Corona-Zeit stellt Körper und Geist vor große Herausforderungen.
Inwiefern haben sich die Anforderung der letzten Monate an unsere Psyche gewandelt? Wie kann man als junger Mensch selbstbewusst auf eine ungewisse Zukunft zusteuern, ohne beim morgendlichen Einschalten des Radios das Gefühl zu haben, von der Masse an Negativität erdrückt zu werden?
Da ich weder Psychologie studiere noch den Anspruch der Generalisierbarkeit erhebe, beschloss ich, mir Experten zu Rate zu ziehen, um mir diese Fragen aus einer differenzierten, erfahrenen Perspektive beantworten zu lassen. Überraschenderweise fand meine Kontaktanfrage an mehrere Psychologiepraxen trotz voller Terminkalender schnell Anklang. Vier Psychologen waren sofort bereit, mir ein Interview zu geben und mir ihre Impressionen der aktuellen Situation und ihre Einschätzung, inwiefern besonders junge Menschen mit der schwierigen Situation umgehen, zu schildern.
Während der Gespräche stelle ich mir immer wieder die Frage, aus welchem Grund ich mich für dieses Thema überhaupt interessiere. Ist es reiner Selbstzweck, der Drang etwas Aufklärungsarbeit zu leisten oder eine Mischung aus beidem? Soviel kann ich schon einmal sagen: Ich hätte nie gedacht, dass eine halbe Stunde Gesprächszeit mit einem Psychologen so viel Anreize zum Nachdenken und „Aha-Momente“ schaffen kann.
Selbstreflexion, Selbstverantwortung und Selbstbewusstsein waren hierbei die Schlüsselwörter in all meinen Gesprächen. Und wem nun auffällt, dass diese Wörter eins gemeinsam haben, der hat die Botschaft schon verstanden. Das eigene SELBST steht in den nächsten Monaten im Vordergrund. Denn obwohl wir Mitbewohner, Partner und Freunde haben, mit denen wir uns gelegentlich treffen, fokussiert sich doch das emotionale Erleben auf das eigene Selbstbewusstsein.
Meine Quellen bestätigten den vorsichtigen Verdacht, dass es insbesondere der jungen Generation schwerfällt, sich mit der eigenen körperlichen und seelischen Gesundheit auseinanderzusetzen. Durch die ständige Reizüberflutung unserer Informationskultur sind wir es nicht mehr gewöhnt, mit uns selbst in Kontakt zu kommen. Stattdessen flüchten wir uns auf Instagram, Netflix und Amazon, um der deprimierenden Realität zu entgehen. Auch Computerspiele aus der Kindheit gewinnen laut Umfragen und Studien in dieser Zeit an neuem Reiz dazu und ich muss verlegen zugeben, dass auch ich in den letzten Monaten das Spiel SIMS auf meinem Laptop installiert habe. In der Zeit des Lockdowns ist es nicht mehr so einfach, an Mustern und Strukturen festzuhalten. Mit jeder neuen Verordnung findet eine neue, erzwungene Art der Anpassung statt, denn wir können uns nun mal nicht mit unseren besten Freunden in einem Café treffen und uns über unsere Sorgen austauschen.
Umso wichtiger ist es, sich selbst zu reflektieren und sich in all den Stunden, in denen wir zu Hause sitzen, eine Minute „me-time“ zu gönnen und den Laptop einmal auszuschalten.
Was tut mir gut? Wie bleibe ich gesund? Wo ist mein innerer Kritiker und wo bin ich? Das mag jetzt erstmal sehr nach spirituellem Teetrinken klingen und jeder, der schon einmal einen Versuch in die Welt der Meditation gewagt hat, weiß, dass diese Perspektive nicht für jeden etwas ist. Allerdings muss ein bisschen Selbstverständnis für das eigene Wohlbefinden auch nicht gleich in der Umstellung der gesamten Ernährung, Sport und Tagebuch schreiben enden. Vielmehr muss jeder für sich individuell, eine Balance zwischen Stress und Resonanz finden, sei es durch Videogespräche mit Freunden oder einer kleinen Wanderung im Steigerwald vor der Haustür.
„Anderen zu helfen ist sicherlich eine Möglichkeit sich selbst zu helfen“. Auf meine Frage hin, was die Psychologen jungen Leuten in diesen schwierigen Zeiten raten würden, wurde ich auf diesen Satz aufmerksam, der mich an den Klang von Wohnungskonzerten über den Dächern zurückerinnert.
Denn genau wie während des ersten Lockdowns sind wir aufgefordert, Optimismus zu verbreiten und emotional zusammenzurücken. Und sei es nur Einkaufstüten schleppen für Risikogruppen: Unsere Kreativität und Solidarität sind gefragt. Denn wenn wir selbst Optimismus verbreiten, wirkt sich das auch auf unser eigenes Wohlbefinden aus und wir befriedigen unseren Geist mit der Erfahrung, etwas für andere und für uns selbst getan zu haben.
Dieses „Zusammenspiel aus Selbsterfahrung, Selbstreflexion und emotionalem Gemeinschaftsgefühl“ bringt uns durch die nächsten Monate, in dieser Sache waren sich alle meiner Interviewpartner einig.
Und obwohl es endlose Möglichkeiten gibt, sich selbst zu helfen, möchte ich natürlich auch auf einige Beratungsstellen aufmerksam machen. Denn wenn am Ende alle Stricke reißen und der psychische Druck zu groß wird, sollte man eine psychosoziale Beratungsstelle konsultieren. Für Studenten gibt es hier das kostenlose Angebot an der Universität. Die „Psychosoziale Beratungsstelle des Studentenhilfswerk Thüringen“ ist leicht per Mail oder per Telefon zu erreichen, weitere Informationen findet ihr auf der Website: Studierendenwerk Thüringen / – Psychosoziale Beratung (stw-thueringen.de)
Für diejenigen Leser, die keinen Studentenstatus genießen, gibt es natürlich noch die freien Psychologiepraxen in Erfurt, die sich über alle gängigen Suchmaschinen schnell finden lassen, und zwar etwas kostspieliger sind, allerdings deutlich schneller in der Terminvereinbarung als wenn ihr einen Psychiater aufsucht.
Als letzten Anregung möchte ich noch gerne die Frage beantworten, die ich mir anfangs gestellt habe: Was bezwecke ich mit diesem Artikel?
Den meisten Leuten geht es im Moment psychisch nicht sonderlich gut. Es ist wichtig, dass sich insbesondere junge Leute für das eigene Gesundheitsbedürfnis sensibilisieren und sich eingestehen, dass sie vielleicht Hilfe brauchen, um dem eigenen Gedanken-Karussell zu entkommen. Deshalb hoffe ich, dass ihr aus meinem Artikel ein paar Anregungen mitnehmen könnt, die zumindest bei mir dazu geführt haben, dass ich deutlich entspannter mit der Coronasituation umgehe und versuche mich zu hinterfragen, wenn ich mich einmal unsicher fühle.