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Der kompetitive Vorteil des Dudelsacks

Kinder mögen Musik, aber mich nicht, schwäbische Tourist*innen sind weniger geizig als gedacht und Angestellte des Ordnungsamtes tragen farblich aufeinander abgestimmte Polohemden. Das alles haben wir gelernt beim Versuch Straßenmusik in Erfurt zu machen.

Es war so eines dieser typischen „Lass mal XY im Sommer machen“, das einer von uns in den Raum warf – Spoiler: Man wird XY niemals machen. Wieso passierte es dann doch, dass wir Straßenmusik in Erfurt machten? Wenn ich mich richtig erinnere, dann war es, als wir mal wieder bei Michel auf dem Balkon jammten, draußen so ein schöner Sommerregen, und als wir gerade dachten, es wäre dann mal echt an der Zeit mit dem Lärm aufzuhören, kam von irgendwoher Applaus.

Okay zugegeben, das war die verträumte Version der Geschichte. In Wahrheit – Schande über mein Haupt – war der eigentliche Auslöser wohl Michel, der Nägel mit Köpfen machte und sich einen Verstärker für seine Gitarre kaufte, denn Vermeidung von versunkenen Kosten und so.

Wie so oft fiel uns unser Vorhaben erst wieder im euphorischen Zustand nach der letzten Klausur ein. Prompt wurde alles ziemlich knapp, denn da war noch eine Kleinigkeit: Ein akkubetriebenes Mikrofon musste her – in 24 Stunden. Ein paar hektische WhatsApp-Nachrichten später war, wie durch ein Wunder, sogar das geregelt! Kennt ihr diese Leute, die so richtig in Erfurt angekommen sind, erstaunliche Kontakte haben, und euch alles – von einem Zweimannzelt über einen Bolzenschneider bis hin zu einer farsisprechenden Tandempartner*in – besorgen können? Wir offensichtlich schon!

(Ich: „Hast du ein Mikro für uns ohne Strombetrieb?“ – Bekannter: „Meinst du eins mit Phantomspeisung? Plus diese 48 Volt?“ – Ich: „Michel, von was redet er?“ – Michel: „Ja das passt, ist genau das, was wir brauchen, 48 Volt dynamisch.“ – Ich: „Ah nice!“ – Michel: „Das war ein Witz, ich habe keine Ahnung, was wir brauchen.“)

Welcome to the new age

Am Samstagnachmittag platzieren wir uns also schüchtern, im Schutz der Bäume, am Wenigemarkt und starten, ohne lang zu zögern, mit „Radioactive“. Ich fühle mich wie ein großer Störfaktor für die Rentner*innen, die in den umliegenden Cafés in Ruhe ihrem koffeinfreien Milchkaffee frönen wollen und sich durch mein entschlossenes „Welcome to the new age“ etwas bedroht oder mindestens überfordert zu fühlen scheinen. Aber ab jetzt heißt es: selbstbewusst lächeln und durchziehen! Dieses Selbstbewusstsein wird beim zweiten Song, „Where is the Love“, etwas ins Schwanken gebracht, als Michels Noten mitten in seinem Rapteil wegfliegen, ich hinterherrenne und größte Mühe habe, die Zettel wieder einzufangen. Auf meinem Rückweg gibt es eine Rückkopplung.

Unser Experiment startet am Wenigemarkt

Der Turning Point – wir networken.

Wir schlagen uns ziemlich tapfer, obwohl auch etwas Frust aufkommt, wenn Leute nicht ein einziges Mal von ihrer „Nüsslein“-Speisekarte aufschauen, während man gesanglich den Zustand der Welt anprangert.

Aber dann, nach „Airplanes“ der turning point: Ein Typ schlendert auf uns zu, spendet fünf Euro und stellt sich als Schlagzeuger vor, der gerne mal mit uns Musik machen würde. Einmal Handynummern austauschen, später ist unser Selbstbewusstsein wiederhergestellt und wir legen motiviert mit „Billie Jean“ von Michael Jackson los – so motiviert, dass ein älterer Mann, der gerade mit dem Rücken zu uns Richtung Krämerbrücke schlendert, verängstigt zusammenzuckt. Interessanterweise kann er sich der Frage nach dem „Who will dance on the floor in the round?“ aber wohl auch nicht ganz entziehen, denn er bewegt sich halb neugierig halb missbilligend wieder ein paar Schritte auf uns zu, dreht dann wieder ab, um nur erneut zurückzukehren. Ich strahle ihn einnehmend an, aber offenbar genügt mein Charme nicht, um ihn zu einer Spende zu bewegen, denn schlussendlich lässt er doch Billie Billie sein und macht sich auf den Weg, Richtung Rindsroulade und Apfelrotkohl. Wohl bekomm’s!

„Keine Sorge – wir spielen noch eine Weile“

Nach dem nächsten Song werde ich von einem jungen Mann angesprochen, der sich freundlich erkundigt, wie lange wir denn noch spielen werden. Mit meinem neu erweckten Selbstbewusstsein nehme ich automatisch an, wir gefielen ihm so gut, dass er nur sicherstellen wolle, uns vielleicht später nochmal hören zu können. Ich antworte also ganz gelassen, er brauche sich keine Sorgen zu machen, wir würden noch eine ganze Weile spielen. Sein Blick wird besorgt, er sieht frustriert zu seinem Freund, der zwei Tubakoffer trägt, ich verstehe und die ganze Situation wird sehr peinlich. Michel, der bereits kapiert hatte, dass der Typ eigentlich nur selbst auftreten will, erklärt ihm, wir seien in 20 Minuten fertig, ich konzentriere mich schnell auf das Sortieren meiner Noten und der Typ gesellt sich beruhigt wieder zu seinem Freund. Ja gut, war ich wohl etwas vorschnell, lassen wir das.

Bernd und die Behörden

Um unsere Nachfolger nicht zu verärgern, ziehen wir nach der versprochenen Zeit weiter. Einen neuen Platz zu finden, stellt sich als gar nicht so einfach heraus – am Fischmarkt sitzt bereits ein Pärchen mit Gitarre und Trompete. Man grüßt sich, weil man den gleichen Verstärker hat, tauscht ein verschwörerisches Lächeln aus. Planlos und bepackt wandern wir weiter zu Breuninger, einen Hocker für Michel lässig in der Hand. Während die Leute uns neugierig anstarren, müssen wir leider feststellen, dass a) Breuninger Musik spielt, die zu übertönen richtig nervig wäre und b) die Gera ja mal richtig laut ist. Könnte stimmungsvoll sein, könnte aber auch ‘ne Pleite sein. Sehr bohémien schlendern wir weiter und landen schließlich bei Bernd das Brot – irgendwie weniger bohémien. Die Leute im Restaurant am Rathaus beobachten den Vorgang interessiert, manche eher so „ok, cool“, manche eher so „boah nee“ und ein Pärchen verlangt die Rechnung. Daneben Bernds kritischer Blick unter dem einen großen Augenlid (warum eigentlich nur eins?) – es lief heute schon besser!

Tief durchatmen und wieder loslegen. Es ist keine schlechte Runde, ein kleines Kind stolpert auf uns zu und fragt, ob wir nochmal ein Lied spielen können. Michel bekommt Vatergefühle und stimmt sofort „Little Talks“ an, jedes „Hey“ begeistert die Kinder aufs Neue. Eine Frau mit Hund hört die ganze Zeit zu und kommt schließlich her, um zu sagen, was wir machten sei „klasse“ und dass wir „ja wirklich zu DSDS sollten“ (Gibt’s das eigentlich noch?). Wir sind hin und her gerissen, ob wir uns jetzt geschmeichelt fühlen sollen oder nicht, aber langsam macht die Sache echt immer mehr Spaß. Die Kinder strahlen Michel immer noch entzückt an, ich lächle sie ebenfalls einladend an, sie verstecken sich schnell hinter der Mutter. War ja klar.

Es nähern sich plötzlich zwei unauffällige Gestalten in schwarzem und weißem Poloshirt, so auf eine Art, bei der es sein kann, dass sie einfach vorbeilaufen, oder auf einen zu, man kann es nicht genau sagen. Noch während ich gerade davon singe, dass der US-Präsident ja „nothing ‘bout hard work“ wüsste (unsere absolute Lieblingsstelle), erkenne ich das Ordnungsamt-Emblem am Kragen. Rasch sehe ich unschuldig zu Boden. Zu spät – sie bleiben stehen und fragen geschäftig nach unserer Beschallungsgenehmigung. „Das frage ich mich auch schon die ganze Zeit“, scheint Bernds Blick uns zuzurufen. Wir einigen uns darauf, dass wir ohne Verstärker weitermachen dürfen und uns in Zukunft beim Tiefbau- und Verkehrsamt (wow) eine Genehmigung holen müssen. Ausdruckslos schauen die Restaurantgäste zu.

Blickkontakt – schwierige Sache

Geknickt ziehen wir ab Richtung Krämerbrücke und versuchen eine letzte Runde akustisch unter dem Torbogen beim Eiskrämer. Es läuft erstaunlich gut – der klassische Geldgebende hier ist Tourist*in, schwäbischer Herkunft, über 60 mit Tagesrucksack und abtrennbaren Hosen und sagt so etwas wie „ha subberguat mached ihr des!“

Die Krämerbrücke als unser Akustik-Spot

Als ich aber irgendwann bei der Stelle „But when you call me baby“ in „I’m not the only one“ versehentlich Blickkontakt mit einem Mann im „Sport ist Mord“-T-Shirt aufbaue, merken Michel und ich beide, die Luft ist langsam raus. Tatsachen werden geschaffen, als nicht weit entfernt am Wenigemarkt ein Dudelsackspieler beginnt. Die Performance, die man nur als sehr dominant beschreiben kann, begleitet uns beim Zusammenpacken und auf dem Weg zu Ibras, wo wir erstmal unser Verdientes für die S3 auf den Kopf hauen.

Wir fühlen uns ziemlich krass, erschöpft, aber auch ein bisschen stolz und fast schon motiviert genug, sich mal eine Beschallungsgenehmigung zu holen.

Auf dem Heimweg treffen wir nicht nur erneut unsere Gitarre-und-Trompeten-Freunde – solidarisches Zuzwinkern -, sondern auch einen Flamenco-Gitarristen, der ganz klar was aus unserem Gitarrenkoffer gespendet kriegt. Denn wenn wir eine Sache mitgenommen haben aus dieser Aktion, dann das: Solidarität unter Straßenmusiker*innen – außer mit Dudelsäcken!

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