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Hallo, wir sind von der Presse.

Im Zuge der Kemmerich-Stadtgarten-Debatte wurde unser Artikel zu diesem Thema hundertfach geklickt und online diskutiert. Mitunter wurde darauf verwiesen, dass eine Stellungnahme im „Studi-Magazin“ UNGLEICH nicht der Rede wert sei – wer gehört werden wolle, habe sich an “echte Medien” zu wenden. 

Stopp! Was? Völlig überrumpelt konnten wir überhaupt nicht fassen, was wir da lesen. Studi-Magazin? Wir sind zwar noch nicht ganz “Deutschlands größte Wochenzeitung” oder “Thüringens traurige Entschuldigung für eine Tageszeitung”. „Studi-Magazin“ klingt aber schonmal besser als “Sektrunde”, wie wir von unseren Eltern genannt werden.

Schnell kommen wir aber in einer Identitätskrise an, die viele Shooting Stars der Medienszene mit wachsendem Erfolg unweigerlich ereilt. Was heißt es, ein*e Journalist*in zu sein? Wo kauft man diese kleinen Schreibblöcke? Warum kosten Visitenkarten so viel Geld? Und kann uns bitte jemand einen Presseausweis geben? 

Es dauert eine Weile, bis wir verstehen: wir werden die Grenzen unserer neuen Berufsbezeichnung selbst austesten müssen. Wir brauchen Gewissheit. Was und wer sind wir? Sollte tatsächlich der Kauf einer Website und wöchentliche Redaktionssitzungen in aus eBay Kleinanzeigen-Schnappern zusammengestellten WGs ausreichen, um ernst genommen zu werden? Wir fragen nach – bei einer Institution, die Erfahrung bei diesen Fragen hat.

Die FUNKE Medien Thüringen ist Monopolistin im Thüringer Printzeitungsmarkt. Allerdings nicht nur das – sie ist auch in anderen Geschäftsfeldern aktiv, wie zum Beispiel im Postwesen (Mailcats) oder im Messe-Eventmanagement. Und eben auch im Veranstalten von Konzerten. Um herauszufinden, ob wir in den Augen der FUNKE Mediengruppe als Presseorgan gelten, suchen wir uns eine Veranstaltung von besonderer Ernsthaftigkeit und genau nach unserem Geschmack aus: vor der Kulisse der diesjährigen Domstufenfestspiele gibt kein geringerer als Helge Schneider ein Konzert. Der Gedanke: wer hierfür Pressekarten ausgehändigt bekommt, ist – mit Brief und Siegel von der FUNKE Mediengruppe – offenbar tatsächlich ein ernstzunehmendes journalistisches Angebot.

Hoffnungsvoll und mit selbst gemalten Presseausweisen aus Collegeblockpapier um den Hals tippen wir eine Mail in das Kontakt-Feld des Ticketshop Thüringen: Guten Tag, entschuldigen Sie, wir sind vom UNGLEICH Magazin, wollten gerne auf das Helge-Konzert aber ist zu teuer und eh ausverkauft – gehen Pressekarten fit? (Gedächtnisprotokoll)

Wenige Tage später erhalten wir eine kurze, aber für uns bedeutende Antwort: Ja, wir dürfen, wir sollen uns am Ticketschalter melden und sagen, dass wir von der Presse sind. Wir können es nicht fassen – unspektakulär und “von meinem iPhone gesendet” erreicht uns mit dieser Mail auch die Gewissheit: die FUNKE Mediengruppe findet, wir sind ein Presseorgan.

Wir können noch nicht so ganz glauben, dass wir, ohne unser ernstgemeintes Zutun, plötzlich Journalist*innen sind. Kann man sich auf das Wort eines einzigen Mitarbeiters der Mediengruppe Thüringen verlassen? Die Wärter der Tore zu den Stellschrauben der Gesellschaft sind schließlich nicht immer die Bürokräfte in der Veranstaltungsabteilung der Mediengruppe, sondern mitunter auch Kötter Security – und die sind nicht auf die Beurteilung der Pressearbeit von Kulturmagazinen ausgebildet. Unser Gedanke: falls das Zauberwort “Presse” uns sogar erlaubt, uns auch an den grimmigen Schutzbefohlenen von Veranstaltungen vorbeizuschmuggeln, kann das UNGLEICH magazin nichts mehr aufhalten.

Wir wagen den Versuch. Auf dem Domplatz stehen die Käsebrot-Hooligans Schlange. Wir wissen erst nicht, wohin mit uns – wer darf früher rein, Helge-Fans oder Presse? Dürfen wir drängeln? Nach einigen Minuten, in denen wir verwirrt die Lage sondieren, entdecken wir einen Mann in knallgelbem Shirt und Bändchen in der Hand. “Ach ihr seid die von diesem ungleich Magazin”. Er hakt unsere Namen ab und verschwindet mit dem kleinen bisschen Interesse, das wir ihm abgewinnen konnten, in der nächsten Menschentraube. Die Bändchen machen den Einlass unproblematisch, doch schnell sind wir mit unserem Endgegner konfrontiert: Security. Eine uniformierte Frau fragt uns nach unseren Karten. “Hallo, wir sind von der Presse.”, antworten wir leicht verunsichert und zeigen unsere Bändchen, “Wer sagt das?”, fragt sie. Wir zeigen auf den Mann im gelben Shirt. Sie weiß auch nicht weiter und lässt uns passieren.

Da wir damit wohl jeden Zweifel zerstreut haben sollten, wie ernst man uns als Presseorgan nehmen muss, könnte der Bericht hier seinen Abschluss finden. Trotzdem wollen wir euch aber unsere Eindrücke vom Konzert nicht vorenthalten, schließlich betreiben wir Journalismus nicht nur so zum eigenen Vergnügen.

[iPhone Notizen René Nissen:]

  • Helge-Schneider-Konzerte scheinen Orte zu sein, an denen sich Träger von Christian Ulmen-Kappen wohl fühlen
  • alternativ: kurzärmelige Karohemden und Bermuda Shorts
  • Konzertstimmung kommt während einer Pandemie nicht auf: es werden genau vier Bier während des Konzerts getrunken
  • Grob überschlagen: bei 500 Besucher*innen und 50€ Ticketpreis gibt es heute Abend 27.500€ Gewinn (27520€ mit Getränken)
  • dafür haben die Presseleute hinter uns zwei Flaschen Wein reingeschmuggelt
  • es ist allein aufgrund der Demografie der Konzertbesucher*innen nicht unwahrscheinlich, dass jemand während des Konzertes eingeschlafen ist
  • das Konzert würde nicht signifikant an Qualität verlieren, wenn es in der Lobby des Dorint-Hotel stattfinden würde
  • Crowd-Größe: wenn jemand aufsteht und aufs Klo geht gibt es einen Kommentar von der Bühne.
  • Unser Lieblingssong des Abends:
    When I was born I was born (Gelächter)
    I remember the day when I was born 
    My mother was one of my parents (lautes Lachen)
    And my father too
    They together
    I grew up now I’m here
    Here the story ends (Gelächter)
    *Jazz*
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