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Die Plastik des Lebens – Fahrradhelme.

Sind wir mal ehrlich: Wahrscheinlich war kaum jemand von uns stolz drauf, von den Eltern gezwungen zu werden, einen Helm tragen zu müssen. 

Kein Gegenstand ist ähnlich sinnvoll und trotzdem derart verpönt. Er ziert die modebewussten Köpfe, die sportlichen und vorsichtigen bis hin zu ängstlichen – oder aus Sicht einer 5-Klässlerin – „uncoolen“ Häupter. Sind wir ehrlich, wahrscheinlich kaum jemand von uns ist stolz darauf, von den Eltern gezwungen gewesen zu sein, einen Helm tragen zu müssen. Oft wird der Konsens von Teenager*innen im Laufe eines Älterwerdens mehrmals geprüft, reflektiert und überdacht. Vielleicht sogar verworfen oder als verkommen erachtet. Und dennoch könnte die Helm- oder Nicht-Helm-Frage die Gesellschaft ähnlich teilen, wie die Debatte, ob Nussnougatcreme nun mit (veganer) Butter oder ohne gegessen werden soll. Während Zweiteres jedoch kaum weitere  Konsequenzen auf unser aller Leben hat – von verurteilenden Blicken abgesehen, wenn es doch die Variante mit wird – wirkt sich die Entscheidung in erster Abwägung im Zweifelsfall folgenreich auf die Zukunft aus. 

Vernünftig betrachtet gibt es gute Gründe, den Helm zu wählen. Und trotzdem hängt er seit (mehr oder weniger) stolzen zwei Jahren an einer Querstrebe meines Schreibtisches. Erst heute Abend wurde ich durch einen bekennenden Helmträger wieder an meine Todesmutigkeit erinnert: Erfurt ist ein hartes Pflaster und das mag allen radfahrenden Menschen unter uns bewusst sein. Die Höhe der Bordsteinkanten – selbst in Ein- und Ausfahrten – birgt bei einem Auffahrtswinkel von unter 45° (für die Geometrie-Freaks und mitleidenden Fahrradfahrer*innen) ein derbes Fallrisiko. Ähnlich verhält es sich mit den zahlreich-verstreuten Tram-Gleisen, die sich überraschend oft mit dem Fahrradweg überschneiden. Jam Böhmermann sagte es so schön: „Warum hört der Fahrradweg einfach hier auf?“.

Für Fahrräder wurde zu selten mitgedacht (Johannisstraße, ick liebe dir!) und so ist es unser Los, mal hier auf der Straße, mal da auf dem Gehweg mitzufahren und so, egal wo, immer die Hauptnutzenden – Autos wie Fußgänger*innen – zu irritieren und genervte Blicke bis hin zu Schnauben, Kommentare (oder Regenschirme) zu ernten. 

Doch das hier soll kein Pamphlet auf die mangelnde Erfurter Fahrradinfrastruktur sein (auch wenn dies  mehr als angebracht wäre). Um hierfür einzustehen, schaut doch mal bei der “Critical Mass” vorbei, jeden letzten Freitag im Monat um 18:30 Uhr am Bahnhofsvorplatz! Die entscheidende Frage ist schlussendlich: Wenn wir uns diesen Herausforderungen jeden Tag auf dem Rad stellen müssen und die Möglichkeit zur Nutzung eines Kopfschutzes durchaus besteht, wieso wird sie unangemessen selten in Anspruch genommen? Hängen wir auf der Coolness-Skala unserer 12-Jährigen Ichs fest? Ist der Helm am Lenker ein ähnliches, lebensverneinendes und freiheitsliebendes Symbol wie Zigarettenrauch in unseren Lungen?

Ich sehe ein, dass abhängig vom Wetter (also bitterer Kälte, möglichen Niederschlags oder auch großer Hitze) das Helmtragen nur mittleren Spaß bedeuten kann – falls es überhaupt Spaß bedeutet. Wärmende Mützen für die Ohren müssen an den Helm angepasst werden. Bei praller Sonne hilft selbst der Fahrtwind nicht vor Schweißperlen unter dem Schaumstoffpolster. Und für die Eitlen und Haaraffinen unter uns ist ein drückender Helm bestimmt nicht förderlich für eine, einem gewissen Anspruch entsprechende Frisur. Dass ich von diesem Eitel nicht viel halte, lasse ich an dieser Stelle einfach unerwähnt.

Trotzdem fühlt es sich so an, als hätte sich die Norm des “Man-trägt-halt-einfach-keinen-Helm” so sehr manifestiert, dass es mehr auffällt, wenn Menschen sich dieser widersetzen und doch ihr Haupt damit schmücken. Dabei wäre der Schutz unseres Nervenzentrums ein durchaus sinnvolles, begründetes und auch sehr eigennütziges Ziel, da die “Nicht-Helm-tragende” zuletzt die “Konsequenzen-tragende” Person ist. Das scheint nicht zu reichen, sonst könnte ich jetzt nicht den Staub vom Rand meines Helmes pusten. 

Dennoch will ich hier zuletzt erwähnen, dass denjenigen, die trotz der quantitativ überlegenen, wenngleich unergründlichen, gesellschaftlichen Ablehnung des Helms, eben jenen auf ihren Köpfen platzieren, ihrer persönlichen Integrität wegen mein höchster Respekt gebührt. Auf Erfurts gefährlichen Straßen sollten wir uns an ihnen ein Beispiel nehmen und den vor Regen und Sonnenschein schützenden Plastikschalen eine Chance geben. Um uns zu beweisen, dass manche gesellschaftliche Normen überkommen sind und, um unsere und eure Sicherheit auf der Straße zu wahren! Fahrt vorsichtig!

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