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Weinbar Bodega zur Backstube – Kiezkultur in der Krämpfervorstadt

Seit drei Jahren wohne ich in der Krämpfervorstadt. Drei Jahre, in denen ich keine Ahnung hatte, dass sich eine Straße weiter von meiner WG entfernt, die Weinbar versteckt, die ich in Erfurt noch vermisst habe. Bei einem Abendspaziergang durch die ruhigen Gassen zwischen Altstadtrand und Galgenberg mache ich das erste Mal vor der Bodega Halt, weil mir ein Schild auffällt: „Liebe Gäste, unser Wein-Biergarten ist ab 18 Uhr geöffnet“. Einen Tag später sitze ich mit zwei Freundinnen in besagtem Wein-Biergarten, im Innenhof von Peters Weinbar Bodega und genieße einen sommerlichen Riesling. Seit diesem Abend bin ich begeistert von meiner Entdeckung und gehe regelmäßig in die Bodega. Egal ob mit meinen Mitbewohner:innen auf ein Bier nach dem Abendessen, oder mit Freund:innen für einen langen Abend bei Rotwein und selbst gedrehten Kippen: Die Bodega ist für mich Charme, Authentizität, Kiezkultur und gute Gespräche – alles, was man für einen entspannten Sommerabend in der Krämpfervorstadt braucht.

Von Montag bis Mittwoch und von Freitag bis Samstag öffnet die Bodega ab 17 Uhr für alle, die nach Uni oder Feierabend noch ein Glas Wein genießen wollen.

Wer steckt hinter der Bodega?

Besitzer der Bodega ist Peter, ein gesprächsfreudiger Erfurter, der die Weinbar vor einem guten Jahrzehnt als sein Herzensprojekt eröffnet hat. An einem frühsommerlichen Nachmittag im Juni treffe ich mich mit ihm im Innenhof der Bodega,bevor gegen 17 Uhr die ersten Gäste eintrudeln, um ihren Feierabend zu beginnen. Geboren im Kreis Ilmenau, ist Peter 1972 mit 14 Jahren nach Erfurt gezogen, um an der Erfurter Kinder-und Jugendsportschule seinen Traum als Leistungssportler wahr werden zu lassen. Weltweit bekannte Namen wie Roland Matthes oder Gunda Niemann Stirnemann, ehemalige Mitglieder des Leistungssportvereins SC Turbine Erfurt, brachten Peter zum SC. Dort verbrachte er erst als Mittelstreckenläufer und später als Sportdirektor viele Jahre, bis sich der Verein 1989 im Zuge der Wende auflöste und Peter in die Arbeitslosigkeit entließ. In der Hoffnung auf einen sicheren Job im Sportbereich, entschloss sich Peter sein Glück in den USA zu versuchen, doch die erfolglose Jobsuche brachte ihn zurück in seine Wahlheimat Erfurt, wo er in den 90ern als Finanzdienstleister zu arbeiten begann.

Jahre später nahm Peters Leben eine Kehrtwende, als er 2010 auf die Idee kam in dem zuvor erworbenen Häuschen in der Iderhoffstraße eine kleine, einfache Weinbar – spanisch „Bodega“ – zu eröffnen. Nach schweißtreibenden Umbaumaßnahmen und kleinteiligen Handarbeiten, gelang es ihm, das etwas heruntergekommene Haus in die Weinbar zu verwandeln, die ihm vorschwebte. Ihren vollen Namen verdankt die Bodega zur Backstube ihrem alten Backofen, den Peter bei den Renovierungsarbeiten durch Zufall entdeckte. Wie er später von einem Gast erfuhr, war das Haus bis 1979 die Bäckerei Pfütze – eine von damals mehreren Bäckereien in der Krämpfervorstadt. Die Eröffnung der Weinbar sei damals durchaus mit Risiken verbunden gewesen, erzählt mir Peter, denn der Ruf des zu DDR-Zeiten prekären Viertels rund um die Iderhoffstraße hinterließ Spuren bis in die frühen 2000er. Obwohl es anfangs mit Gästen eher schleppend lief, behielt Peter seine läuferische Ausdauer und fand immer mehr Gefallen an seinem Projekt. Heute, 13 Jahre später, ist die Bodega für ihn ein Erfolg: „Jetzt ist es so, wie ich es mir immer vorgestellt habe.“

Abseits von der überfüllten Innenstadt lässt es sich in der Bodega im Wein-und Biergarten ganz ungestört zur Ruhe kommen.

Ausgewählte Weine und Mojito nach Hemingway

Wer heute zur Weinbar kommt, kann den Abend gemütlich drinnen oder im schattigen Innenhof unter einem Weinrebendach verbringen. Neben von Peter selbst ausgewählten Weinen stehen in der Bodega auch Getränke wie Bier und Cocktails sowie Kleinigkeiten wie Fettbrot, Flammkuchen oder Knoblauchbrot auf der Karte. Und das auch noch bei studierendenfreundlichen Preisen: Ein Glas Wein gibt es für vier Euro fünfzig und einen Cocktail für knappe fünf Euro. Besonders stolz ist Peter auf seinen selbst gemachten Mojito, den er mit frischer Minze aus dem Garten zubereitet. Für seinen „besten Mojito der Welt“ ist er bis nach Kuba gereist, um in einer Bar in der Altstadt von La Havana nachzufragen, wie Ernest Hemingway seinen Mojito am liebsten getrunken hat. Ich entscheide mich bei unserem Treffen jedoch für Wein und werde von Peters persönlicher Weinberatung nicht enttäuscht. Die Gäste in der Bodega, so erzählt er mir, sind zu etwa 80 Prozent „junge, intelligente und offene Leute“. Aber auch zwei ältere Stammtischgruppen kommen in der Bodega regelmäßig zusammen. Dass sein Publikum zum großen Teil so jung ist und gleichzeitig mehrere Generationen vereint, macht ihn total stolz: „Das hätte ich mir so nie träumen lassen.“ Ab und zu richtet Peter in seiner Weinbar auch kleinere Veranstaltungen aus. Neben privaten Grillfeiern zum Semesterabschluss und Live-Musik-Abenden hielt die Bodega 2019 sogar schon als Location für eine Landtagswahlveranstaltung von Bodo Ramelow her. „Die fehlenden drei Prozentpunkte zum Wahlsieg hat sich die Linke hier in der Bodega geholt“, schmunzelt er. Auch für zukünftige Veranstaltungen gibt es schon vielversprechende Ideen: Im Herbst will eine Gruppe von Erfurter Studierenden einen Stand-Comedy-Abend in kleinem Kreis organisieren.

Die Weinbar liegt in der schönen Iderhoffstraße, am Rande der Krämpfervorstadt.

Seit 51 Jahren in Erfurt – so blickt Peter zurück

Während die ersten Gäste in der Bodega eintrudeln und sich unser Gespräch langsam dem Ende neigt, lässt mich, die ich seit überschaubaren drei Jahren in Erfurt wohne, eine Frage nicht los: Wie blickt Peter wohl auf die Stadt und ihre Leute, wo er hier seit Jahrzehnten wohnt und Erfurt in der DDR, im Kalten Krieg und nach dem Mauerfall erlebte? Mich interessiert seine Perspektive und ich frage ihn, wie sich Erfurt und seine Einwohner:innen für ihn in den letzten 51 Jahren verändert haben. In der älteren Generation gebe es auch Jahrzehnte nach der Einheit immer noch große Schwierigkeiten im Umgang zwischen „Wessis“ und „Ossis“, erzählt mir Peter. Teilweise beobachte er sogar ein weiteres Verhärten der Fronten. „In der älteren Generation ist leider immer noch nicht zusammengewachsen, was zusammengehört“. Hoffnung spürt Peter, wenn er mit seinen jüngeren Gästen in der Bodega ins Gespräch kommt. Da sei Ost und West gar kein Thema mehr, und wenn, dann fragt man aus Interesse. Erst ganz am Ende unseres Gesprächs erzähle ich, dass ich vor drei Jahren aus Baden-Württemberg nach Erfurt gezogen bin. „Na siehst du, das war doch jetzt gar nicht wichtig“, sagt er.

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