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Der Fußballplatz als Ort des Unwohlseins?

Sexistische Äußerungen, Belästigungen oder Beleidigungen: Immer wieder kommt es auf und rund um Fußballplätze zu unangebrachten Handlungen. Zwar existieren keine offiziellen Zahlen zu sexualisierter Gewalt im Zusammenhang mit Fußball in Deutschland, jedoch machen Erfahrungen betroffener Personen deutlich, dass es sich hierbei um keine Seltenheit handelt. Das Netzwerk gegen Sexismus und sexuelle Gewalt – ein Kollektiv weiblicher Fans und Mitarbeiterinnen für bundesweite pädagogische Fanprojekte – verdeutlicht, dass die allgemeine Statistik, wie oft Frauen sexualisierte Gewalt erleben, vermuten lässt, dass dies auch im Fußball existiert. Es handelt sich beim Fußball um ein System, welches klar von Männern dominiert wird, weshalb sexualisierte Gewalt rund um diesen Sport umso ernster genommen werden müsse, so das Netzwerk (Tamsut, 2020). Trotz der aufgezeigten Relevanz für Maßnahmen sind Lösungen für diese Art von Problemen im Fußball eine Ausnahme.

Awareness-Teams im Amateur- und Profifußball

Das hat sich seit der Sommersaison 2023 in der Hochschulliga Erfurt geändert. Hier wurde ein sogenanntes Awareness-Team ins Leben gerufen, welches sicherstellen soll, dass sich alle Spieler*innen und Gäste wohlfühlen. Die Hochschulliga Erfurt wurde 2012 gegründet und ist deutschlandweit eine von 21 universitären Fußballligen. Regelmäßig kommen montags und donnerstags Spieler*innen zusammen, um gemeinsam oder gegeneinander anzutreten. Eine Geschlechtertrennung innerhalb der Mannschaften findet nicht statt. Gerade aufgrund dieser offenen Struktur ist ein Awareness-Team von großer Bedeutung. Es hat die Aufgabe, für strukturelle Diskriminierung zu sensibilisieren und übergriffiges, grenzverletzendes Verhalten zu thematisieren und anzugehen. Die Betroffenen sollen sich dabei nicht allein und hilflos fühlen und Unterstützung erhalten.

Grundsätzlich sind sexistische Bemerkungen, Beleidigungen und diskriminierendes Verhalten innerhalb der Hochschulliga Erfurt eine große Seltenheit, so der 1. Vorsitzende Lais Bashariar. Dennoch sieht es die Hochschulliga als ihre Pflicht an, durch das Awareness-Team präventive Maßnahmen zu ergreifen, um auch im Ernstfall helfen zu können. Auf professioneller Ebene sind in Deutschland bisher einzig der Bundesligaverein Werder Bremen mit einem vergleichbaren Konzept sowie Borussia Dortmund mit dem Konzept „Panama“ aufgefallen. Im Amateurbereich sucht man solche Angebote vergebens. Die Hochschulliga Erfurt hat es sich dahingehend auch zur Aufgabe gemacht, eine Alternative anzubieten und somit den dringend benötigten Startschuss für eine solche Entwicklung zu geben, so das Vorstandsmitglied Jakob Funke.

Eine FLINTA*-Liga für Erfurt?

Neben der dargestellten Relevanz eines solchen Konzeptes, war ein weiterer Auslöser der Vorschlag einer nicht-männlichen Hochschulliga – kurz FLINTA*-Hochschulliga -, die parallel zur bestehenden Liga hätte laufen sollen. Dieses Konzept wurde vergangenes Jahr von zwei Studentinnen erarbeitet. Die Motivation für die Initiative lag darin begründet, dass sich einzelne nicht-männlich gelesene Personen in der von Männern dominierten Liga unwohl fühlten. Die Idee umfasste, dass beide Ligen an unterschiedlichen Spieltagen stattfinden sollten, um eine Teilnahme an beiden Ligen zu ermöglichen. Es sollte keine Konkurrenzveranstaltung aufgebaut werden, sondern ein ergänzendes Angebot. Seitens des Vorstands der Hochschulliga wurde dieser Vorschlag klar abgelehnt und damit begründet, dass dies dem Grundsatz der Vereinigung aller Personen entgegenstehen würde. Bashariar äußerte dahingehend Bedenken, dass die Umsetzung automatisch zu einer Geschlechtertrennung führen könnte und somit das Ziel der Inklusion gefährden würde. Dennoch sah der gesamte Vorstand es als Notwendigkeit an, etwas für das Wohlbefinden Aller zu unternehmen, weshalb das Awareness-Team ins Leben gerufen wurde.

Allerdings könnte man auch argumentieren, dass es gerade dann inklusiv wäre, wenn man Personen, die sich weiterhin in der Liga unwohl fühlen, eine Möglichkeit aufzeigen würde, wie sie dennoch an der Hochschulliga teilnehmen könnten. In einem Gespräch äußerte sich eine der beiden Studentinnen, welche die Idee für diese alternative Liga hatten, enttäuscht über den Verlauf. Sie machte deutlich, dass das Awareness-Team zwar eine gute Idee ist, aber es nicht in der Lage sei, das Kernproblem, weshalb die Liga hätte gegründet werden sollen, zu lösen. Es bleibt offen, wie diese Problematik zukünftig angegangen wird. Dennoch soll dies nicht die Relevanz eines Awareness-Teams schmälern, welches grundlegend dazu beiträgt, das Wohlbefinden aller beteiligten Personen zu steigern.

Eine Partie der Hochschulliga

Das Awareness-Team der Hochschulliga

Dafür sind an jedem Spieltag vier Student*innen in auffälligen neongelben Leibchen präsent und stehen jederzeit als Ansprechpartner*innen zur Verfügung. Ihr Fokus liegt dabei besonders auf verbalen Übergriffen. Für physische Bedrohungen sind pro Spieltag zwei Sicherheitskräfte zuständig. Bisweilen war das Eingreifen des Awareness-Teams nicht erforderlich, so der Vorstand der Hochschulliga. Dies könnte zum einen auf die Sensibilisierung aller teilnehmenden Personen zurückzuführen sein. Zum anderen kann die Präsenz des Awareness-Teams allein schon einen präventiven Effekt haben, wodurch mögliche Taten verhindert werden. Gegenwärtig weisen die Mitglieder des Teams noch keine spezifische Schulung in diesem Bereich auf, weshalb sich dahingehend die Frage stellt, wie effektiv ihre Hilfe im Ernstfall tatsächlich sein könnte. Insbesondere zu Beginn der Saison war der Mangel an Erfahrung und Kompetenz seitens des Awareness-Teams spürbar. Es wurden eine geringe Präsenz auf dem Gelände sowie Unaufmerksamkeiten festgestellt. Zudem wurde das Konsumieren von Alkohol seitens eines Mitglieds des Awareness-Teams konstatiert. Laut dem Vorstand wurde dies im Laufe der Saison intern aufgearbeitet und das Team stärker für die Aufgabenfelder sensibilisiert.

Lais Bashariar betont, dass der Aufbau eines solchen Teams ein Prozess ist, bei welchem kontinuierlich dazugelernt wird und Verbesserungen im Vordergrund stehen. Das Ziel sei es, dass man sich pro Saison Stück für Stück verbessert.

Fehlende Schulungsmöglichkeiten

Die Suche nach Schulungsmöglichkeiten gestaltet sich dabei aufgrund der Seltenheit von Awareness-Konzepten im Fußball als herausfordernd, so der Vorstand. Sollte es weiterhin schwierig sein, eine externe Schulung durchzuführen, ist zumindest ein internes Aktionstraining für die Teammitglieder geplant. Ein Vorstandsmitglied, welches bereits eine solche Schulung absolviert hat, verfügt demnach über die nötigen Kompetenzen, um grundlegende Inhalte vermitteln zu können. Warum man dies nicht bereits früher in Erwägung gezogen hat, bleibt offen. Darüber hinaus soll es personelle Umstrukturierungen geben. So werden einzelne Personen nicht mehr Teil des Awareness-Teams sein, während gleichzeitig eine Erweiterung des Teams in Betracht gezogen wird. Die Verantwortlichen werden in der kommenden Saison zeigen müssen, welche Lehren sie aus der ersten Saison gezogen haben und welche Lösungen dafür existieren.

Die Einführung eines Awareness-Teams ist definitiv ein Schritt in die richtige Richtung, um auf grenzüberschreitendes Verhalten im Fußball aufmerksam zu machen und sich diesem nachhaltig entgegenzusetzen. Dennoch könnten zusätzliche Maßnahmen erforderlich sein, um ein wirklich inklusives Umfeld zu schaffen. Dass durch dieses Awareness-Team mehr nicht-männlich gelesene Personen in der Hochschulliga partizipieren werden, ist in Frage zu stellen. Es bleibt weiterhin ein sehr patriarchal und männlich geprägtes Umfeld. 

Dennoch besteht die Hoffnung, dass der Fußballplatz in Zukunft kein Ort des Unwohlseins mehr sein muss. Durch eine aktive Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen Herausforderungen kann der Fußball zu einem Ort der Gleichberechtigung werden.

Vertiefende Literatur:

Borussia Dortmund (14.10.2021). Borussia Dortmund richtet das Konzept „PANAMA“ an Spieltagen ein.

Deutsche Fussball Liga (05.12.2019). Netzwerk entwickelt Handlungskonzept gegen sexualisierte Gewalt.

Tamsut, F. (19.07.2020). Sexuelle Gewalt beim Fußball existiert. Made for Minds.

Werder Bremen (o. J.). Awarenesskonzept MIKA.

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